Freitag, 3. Juni 2016

Türken, Armenier, Deutsche, der Bundestag und die Kanzlerin

Heute war es endlich soweit. Der Völkermord an den Armeniern wurde offziell und ein für alle Mal als Genozid, als das organisiertes Morden an Armeniern und anderen, zumeist christlichen, Minderheiten mit dem Zweck ihrer Auslöschung  benannt. Durch unseren Bundestag, dem ich so viel Rückgrat gar nicht mehr zugetraut habe. Nunja, ein Bundestag, der betonte, es ginge bei der Resolution nicht um die Türkei, sondern die deutsche Verantwortung an den Vorgängen...
Armenier und deutsche Armenier im Bundestag
Aber immerhin, die Wahrnehmung liegt anders.

So weit, so für mich als Historiker befriedigend. Theoretisch hätte dieser etwa 100 Jahre zurückliegende Völkermord gar nichts mehr mit unserer Zeit zu tun und wäre eben ausschließlich für die historische Betrachtung und die Analyse von Menschenrechten im globalen Kontext interessant. Denn die Türkei hat sich seit den Zeiten des Osmanischen Reiches grundlegend verändert, von den Verantwortlichen lebt keiner mehr und selbst von den zehntausenden ausführenden Mördern dürfte keiner mehr auf Erden wandeln. Mir sind auch keine Fälle von Familien bekannt, die sich brüsten "mein Urgroßvater hat daran teilgenommen" - aber das könnte auch schlicht mangelndes Wissen meinerseits sein.

Es gab sogar kurz nach den Geschehnissen Prozesse gegen die verantwortlichen Paschas.
Die Erinnerung der überlebenden Opfer und die Folgen sind noch da und könnten nur durch einen gemeinsamen Bewältigungsprozeß gemildert werden. Viele Türken behaupten, man erkenne ja an, dass Unrecht geschehen sei, dies aber kein Völkermord gewesen war - meist mit dem nachgestellten Anlaß, dass die Osmanen sich lediglich selbst geschützt hätten, weil die Armenier sie verratten hätten.
Und hier brökelt die Theorie und weicht der Realität. Dort ist der Völkermord noch immer ein gestaltendes, ein wirkendes, ein spaltendes und sogar gewalttreibendes Element. Armenier (wie mehrere andere Minderheiten) haben noch immer in der Türkei einen schlecht stand, wie der Mord an Hrand Dink 2007 ausgesprochen deutlich demonstrierte  - und dem ausbleibenden Terrorismusprozeß bzw. der Verfolgung der Hintermänner.
Insbesondere aber die Leidenschaft vieler Türken (ja, längst nicht aller), die sie nicht nur leugnen lässt sondern sie in einen regelrechten Hass auf Armenier und alle "Sympathisanten", alle die jene Bezeichnung der Vorgänge in den Mund nehmen erhält den feindseeligen Geist am Leben und lauert im Hintergrund um die Lage zu verschlechtern.
Dies gilt natürlich umso mehr für die Politiker der Türkei, allen voran Erdogan, welcher sogar ein Zeichen der Versöhnung, aufgestellt durch einen Bürgermeister einer Grenzstadt nahe Armenien hatte einreißen lassen. Diese eskalieren derzeit mit politischen Mitteln. Der deutsche Botschafter in der Türkei wurde (schon wieder) einbestellt, der türkische in Deutschland zumindest kurzfristig zurückgerufen.

Aber auch die türkischen Auswanderer tragen dazu bei, wie wir aktuell erleben müssen.
Bundestagsmitglieder, Journalisten und Vertreter armenischer Verbände meldeten in den letzten Tagen, dass sie Drohungen und Massenanschreiben erhalten hätten. Letztere, aufgesetzt von hunderten von türkischen Vereinen und Verbänden, drohten damit, dass ein solcher Beschluss "das friedliche Zusammenleben" gefährde. 
Mitten hinein in die Debatten von Integration und Miteinander werden solche Mails und Briefe verschickt. Und die Stimmen der Republik reagieren in Nebensätzen verwundert und enttäuscht.
"Du bist Deutschland" und die vielen Talkshowstunden, in denen uns Kaddor und andere erklärten, wie der "neue Deutsche" aussehe liegen hinter uns - und nun bekommen wir ein klares Signal von einer der auffälligsten Einwanderungsgruppen. "Wir sind nicht Deutschland - wir sind die Türkei IN Deutschland".
Wenn eine Einwanderungsgruppe anfängt, die Außenpolitik im Sinne ihres Herkunftslandes zu gestalten, dann sollte man meinen, würde dies Anlaß zu Sorge und Kritik geben.
Hier wird offensiv gedroht, von eben jenen Vereinen und Verbänden die so oft herhielten als Beispiele gelungener Integration und Miteinander. Als Bereicherung.
Wir hatten dies in Frankreich bereits gesehen. Als dort beinahe die Bewertung verabschiedet wurde, übte die Türkei, übten die Türken und auch die in Frankreich lebenden Türken imensen Druck aus und schreckten auch vor Drohungen und Hackerangriffen wie Massenkundgebungen nicht zurück.
Dabei skandierte Parolen dürftenden wabernden Hass, die unreflektierte Zurückweisung verdeutlichen.
Es ist ein weiterer Stein in der pottenhässlichen Mauer, welche die Türkei und viele, wenn auch dankenswerter Weise längst nicht alle Türken umgibt.

Aber, wie gesagt, wir Deutschen mauern da kräftig mit. Nicht nur, dass unsere Kanzlerin um eines fragwürdigen Deals halber kuscht und sich nahezu jede mögliche diplomatische Frechheit gefallen lässt. Sie tut es auch noch demonstrativ in dieser Angelegenheit.
Weder die Kanzlerin noch ihr Stellvertreter noch Steinmeier waren heute im Haus bei diesem Ereignis zugegenen.
Die fast einstimmige Verabschiedung (eine Enthaltung, eine Gegenstimme) kommt wohl von dem, was Özdemir in seiner Rede betonte. Es geht um "deutsche Verantwortung". Er ließt sogar ein Zitat des damaligen Reichskanzlers vor, welches belegt, dass die Untätigkeit des deutschen Reiches der Überlegung geschuldet war, den Verbündeten nicht zu verschrecken, und dass man darob bereit war, Massaker und Unmenschlichkeiten zu akzeptieren.
Die Tatsache, dass sich unzählige Deutsche, auch offizielle, anders verhielten, dass dieses Zitat auf wiederholte und dringende Eingaben erfolgte, dass wir Beweise sicherten und Prozesse zuließen wie führten - all dies zählt an diesem Tag nichts.
Und der gut geölte Schuldkomplex scheint seine Wirkung zu tun. Anders kann ich mir dieses zwar im Grunde positive doch in seiner Einstimmigkeit verwirrende Ergebnis nicht erklären.

Sei es wie es sei. Mein Dank an alle Zustimmenden, ich teile die Freude der armenischen Gemeinden und Organisationen und den türkischen Verbänden und Vereinen wie Einzelpersonen die meinen, über eine ihnen unliebsame Bewertung eines 100 Jahre zurückliegenden Ereignisses nicht nur ignorant sein zu müssen sondern auch noch zu drohen: kehrt zurück. Euer Herz, euer Hirn und eure Hand sind offensichtlich nicht bereit hier anzukommen und die Werte zu teilen. Ihr seht etwas anders als die Gemeinschaft der Historiker (die sich bis auf wenige Ausnahmen einig ist), glaubt ihnen nicht, weil es eure Nationalisten anders darstellen. So weit so euer Recht. Aber den Frieden darüber aufzukündigen ist das allerletzte und ihr erklärt euch damit selbst zu Feinden. Wir werden euch nicht so behandeln, bis ihr handelt - aber ein Miteinander wird es so bestimmt nicht geben.
Es ist eure Wahl. Umkehr und Reue sind noch immer möglich.

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