Freitag, 19. April 2013

Von Minaretten, Demokratie und vom Kriege

Dieser Beitrag ist eigentlich Teil einer Diskussion die im Kommentarbereich von "Die Nacht ist vorgedrungen" begonnen hat. Da meine letzte Antwort viel zu lang für den Kommentarbereich geworden ist, habe ich sie kurzerhand zu einem Beitrag hier gewandelt.

Theodred: Die christlichen Parteien in Deutschland wie Europa haben nie dafür gestimmt Minderheiten Grundrechte zu entziehen, wie bspw. ein Verbot öffentlicher Präsenz anderer Religionen oder der Bau bzw. die Renovierung nicht-christlicher Heiligtümer.
DeBenny: In Deutschland fällt mir da auch nichts ein auf Anhieb, europaweit denk ich da aber ganz schnell an das Minarettverbot in der Schweiz, das nicht nur von der rechten SVP, sondern auch christlichen Parteien unterstützt wurde (wobei es da eher evangelische waren, während die CDU/CSU ja vor allem von Katholiken gewählt wird).

Es hat eine Weile gedauert, da ich mich in die Minarettverbotgesetzgebung (ein tolles Wort...) erstmal einlesen musste.
An erster Stelle möchte ich daher auch hier wieder dem Vergleich widersprechen. Das Minarettverbot als Ausdruck von Unterdrückung, Rassismus, Intoleranz, Einschränkung von Religionsfreiheit usw. sehe ich nicht. Hier geht es, laut den Urhebern der Initiative, um ein symbolhaftes Bauelement des islamischen Gotteshauses, nicht um das Gotteshaus an sich. Das Symbol bzw. Bauelement hat nicht nur Bezug auf den Islam sondern auch auf alle außerhalb der Umma.
Würde man im Umkehrvergleich bspw. im Iran, der Türkei und Saudi-Arbien den Bau von Kirchen mit der Einschränkung auf Türme zu verzichten erlauben, würde dies als Zeichen der Toleranz und der Annäherung verstanden werden, worin ich mich anschließen würde auch wenn mir bei den Bauten emotional und ästetisch natürlich etwas fehlen würde. Unsere Politiker, Zeitungen und gesellschaftlichen Größen würden wohl nicht müde, dieses Beispiel zu betonen ohne eine Einspruch in Sachen Kirchturm gelten zu lassen. Das die "christlichen Parteien" sich beim Titel- und Rückencover der Titantic zu Wort gemeldet hätten wüsste ich ebensowenig wie
Hätte die Schweizer Initiative sich gegen Moscheen und Gebetsräume gewandt, würde ich mich deiner (und wohl auch weiter Gesellschaftsteile) Bewertung anschließen, so aber sehe ich nur ein Bauelement, das zudem einiges ausdrückt und heute schlicht obsolet geworden ist.
Minarette sind Wachtürme, Leuchttürme, Botenpunkte, Schmuckelement und Machtsymbole. Keine dieser Funktionen ist heute mehr nötig, letzterer sogar schädlich. Warum Wach- und Leuchtfunktion überholt sind dürfte klar sein. Um die Menschen zum Gebet zu rufen gibt es heute praktischere Wege, bspw. eine Handyapp (die nach der Anzahl und Downloadzahlen bei googleplay ohnehin gut frequentiert sind), da der Islam in unseren Staaten keinen Anspruch erheben darf das Leben und den Glauben aller zu bestimmen wird die ausgerufene Botschaft (Adhan) ohnehin fragwürdig.
Als Machtsymbol finde ich, angesichts der steten Beteuerung die zehntausenden Terrorattacken der letzten 12 Jahre seien von isolierten und wenigen Extremisten entgegen den Lehren des Islam begangen worden und diverser machtgreifenden Islamistengruppierungen von Algerien bis Zentralafrika, sind sie extrem unangebracht.
Dann gibt es noch die Stimmen der kulturellen Tradition. Das Argument zieht nicht, immerhin geht es um Zuzug in einen anderen Kulturraum und das maximale Ziel sollte und dürfte sein, eine Symbiose zu aller Wohl zu erreichen. Da hat jede Gemeinschaft und jeder Staat das Recht zu bestimmen, zumal in einer Volksabstimmung, welche Bauvorschriften gelten, solange die Ausübung der Religion gewährleistet bleibt.
Womit wir beim Punkt der Notwendigkeit sind: das Minarett ist sowohl nach Koran als auch nach Hadith nicht notwendig und war in den Zeiten Mohammeds noch gar nicht "erfunden". Es existieren, parallel zu Kirchen ohne Turm, auch Moscheen ohne Minarett.
Ganz offen wird die Rolle der Minarette in islamischer Literatur besprochen. Ziya Gökalp schrieb die von Erdogan in den späten 90ern zitierte Drohung: "Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten".
Auch historisch gesehen ist der Bau von Minaretten eigentlich eine eindeutige Geste. Als das Zentrum der Ostkirche von den Osmanen erobert wurde signalisierte man die Entweihung der Hagia Sophia, in der zuvor die dahin Geflüchteten abgeschlachtet (und schlimmeres) wurden, und die Umnutzung als Moschee durch die Errichtung von Minaretten. Das gleiche findet sich in der gesamten islamischen Welt die sich auf ehemals (oder wieder) christlichem Raum ausgebreitet hat.

Es spricht also viel dafür, dass ein Islam, der in Europa und den heutigen Ländern der Rechte und Freiheiten ein solches Symbol also mehr als unangebracht ist, das Pochen darauf ein Indiz der eingeschlagenen Richtung vorgibt.
Solange Muslime Moscheen errichten dürfen und ihren religiösen Pflichten nachkommen können, bspw. auch durch die exklusiv muslimischen Friedhöfe, ohne dass diese von staatlicher wie von allgemeiner Seite bedroht sind (wie wir es bspw. gerade in Libyen, Türkei und Syrien erleben mussten), ist m.E. die Religionsfreiheit gewährt. Das gilt andersherum auch für Kirchen.

Und ein Vergleich muss zudem gezogen werden: auch andere Religionen haben einen Platz in Deutschland und Europa. So gibt es mittlerweile Hindu-Tempel, Buddhistische Tempel und natürlich Synagogen. Auch diese Gemeinschaft gestalten das Äußere ihrer Heiligtümer teilweise, für den europäischen Geschmack, sehr ausgefallen. Ein ähnliches Problem, eine solche Diskussion oder das Gefühl der Diskriminierung hört man von diesen eher selten. Außer von den Juden, dort aber nicht in Form von Bauvorschriften sondern in der realen Bedrohung durch Vandalismus, Brandstiftung und offenen Attacken. In letzter Zeit vermehrt aus Berlin zu hören.


DeBenny: Auch da wär ich vorsichtig. Ja, selbst haben sie da wohl nicht viel getan, weil ihr Aktionsgebiet die Bundesrepublik ist, und da ist die politische Situation zum Glück (noch) etwas ruhiger. Allerdings denke ich grad an Waffendeals mit Staaten, die die Menschenrechte nicht gerade höher achten als die Islamisten in den Ländern, die Du gerade genannt hast.
Warum wir Waffen an Staaten verkaufen, die einen Dreck auf Menschenrechte geben kann ich ebenfalls nicht verstehen. Ein Blick auf die Waffendealskandale der BRD-Geschichte (auch unter Strauss) offenbart aber, dass die meisten Waffen an Israel gingen. Man mag Perspektive wählen wie man möchte, aber die meist kleingeredeten Pogrome gegen Juden im islamischen und gerade im heute israelischen Raum sind ebenso aufrüttelnd wie die vielen Angriffe und Drohungen der Auslöschung gegen Israel seit dessen Gründung. m.W. werden in Israel die Menschenrechte geachtet, auch wenn die Palästinenser dank Paliwood oft das Gegenteil postulieren.
Die Lieferungen des Panzers Fuchs an Saudi-Arabien sehe ich nur kritisch weil wir überhaupt Geschäfte mit diesem Land tätigen, also auch andersherum seit Jahrzehnten Öl beziehen. Der Fuchs selbst ist kaum als Waffe zu bezeichnen. Die meisten Fahrzeuge seiner Art die ich in meiner Dienstzeit kennenlernte dienten ABC und Sanitätstrupps, einige wenige als Transportfahrzeuge. Kritisiert man dies steht auch der Handel mit mobilen Baukränen in den Iran zur Debatte, an denen regelmäßig Menschen stranguliert werden. Ja selbst die Frage nach Stahl- und Betonlieferungen nach Afghanistan oder Gaza müsste dann gestellt werden, vom Geldfluß in eine riesige Zahl Länder mal ganz zu schweigen.
Kürzer gesagt: würde man den Handel mit solchen Staaten unter den Aspekt der Verantwortung stellen müsste die Isolation erfolgen.
Daraus hervor sticht die Ausbildung von Polizisten und die Lieferung von Kampfpanzern. Letztere sind zwar kein Mittel um einen Volksaufstand zu bekämpfen (Kampfpanzer sind gerade im urbanen Gebiet sehr anfällig selbst für schlecht ausgerüstete und ausgebildete Gegner), ersteres aber sehr wohl. Ganz zu schweigen von der damit unterstützten Diskriminierung.
In der Beziehung hast Du, Benny, sicher recht. Kein Ruhmesblatt, eher eine Schmach.

In jedem Fall finde ich aber den Vergleich mit den Einschränkungen, Diskriminierungen und Verfolgungen in den diskutierten Ländern extrem unpassend. In nahezu allen diesen "nicht positiven" Entscheidungen sind weder die Parteien noch das Volk befragt worden, geschweige denn eine Mitentscheidung. Neben den Skandalen, in denen Einzelne die Verantwortung tragen sind es die Vertreter der jeweiligen Regierung (nebenbei auch Rot-Grün), die diese "Deals" so leise als möglich ablaufen lassen.
Will man dies auch nur ansatzweise mit dem Verhalten der AKP in Richtung Armenier vergleichen muss man sich Millionen von Menschen in der Türkei einfach wegdenken.
Geht man den Schritt weiter, den Du, Benny, ja auch ablehnst, und zieht den Vergleich zur Hamas oder den Muslimbrüdern, dann wird es absurd. Da vergleicht man dann die Ausbildung von Ordnungshütern, die AUCH zur Unterdrückung und Diskriminierung beitragen mit Mördern und Attentätern, die ihre auf Zivilisten gerichtete Raketen aus zivilen Wohnhäusern verschiessen um dann die Opfer der Riposte als Propagandamittel auszunutzen.

Wie es um die Christlichkeit unserer sog. christlichen Parteien allgemein bestellt ist kann man an der Weihnachtsrede unseres Präsidenten sehen. Zwar ist dieser parteienlos, als Präsident aber durch die CDU nominiert worden. Als Pfarrer das Kunststück zu vollbringen, aus der Feier der Geburt Jesu einen multireligiösen und -kulturellen Begegnungstag zu machen und auf den Hintergrund so wenig einzugehen sendet zumindest mir ein bestimmtes Signal.
Das führt mich zu:
De Benny: Werte christlicher Prägung wie Feindesliebe und Vergebung würden in einer Gesellschaft wohl zum Himmel auf Erden führen. Ich würde eher sagen, daß wir zumindest mal bei Auge für Auge angekommen sind


Ich schrieb ja auch:
Theodred: Demokratie ist erst dann etwas gutes, wenn sie auf bestimmten Werten / Maximen basiert.Ich bin der Überzeugung, dass diese Maximen oder Werte christlicher Prägung (Mitleid, Nächstenliebe, Feindesliebe, Vergebung) sind.
Ich schrieb nicht, dass diese Werte bestmöglich umgesetzt wurden. So blind bin selbst ich nicht. Aber das wir aus der Sklaverei gefunden haben (und dies später zynischerweise im Kolonialismus verbreiteten), dass wir tötliche Kämpfe nicht mehr als politisches Mittel zur Popularitätssteigerung mehr nutzen etc. das ist der Basis von der ich sprach zu verdanken. Gerade dieser Tage, wo die beiden Koreas nicht vergeben und verarbeiten können, wo China und Japan wieder um Inseln rangeln, in denen Konvertiten in einigen Ländern weiterhin vor laufender Kamera mit einem Taschenmesser geköpft werden ist doch der Unterschied ziemlich deutlich.

De Benny: Hinzu kommt, daß wir durch die Aufklärung durch sind. Die nicht. 
 Das ist eine ziemlich faule Ausrede unserer Tage die der Aufklärung viel Ehre zukommen lässt. Blickt man auf bestimmte Päpste und ziemlich düstere Entwicklungen Europas und auch des Christentums, dann mag das "Licht der Aufklärung" in der Tat wie eine Reinigung erscheinen. Sieht man aber durch den Schleier der literarisch-historischen "Beweihräucherung" hindruch, dann hat sich, bei aller Wertschätzung für die elementaren Änderungen, gar nicht so viel geändert und so manches von dem, was sich geändert hat ist durch das Christentum bzw. einige seiner Vertreter angestrengt worden. Da sind die Jesuiten ganz vorne mit dabei, auch wenn andere Christen und christliche Orden sie dabei durchaus angriffen.
Japan bildet für mich da ein sehr gutes Beispiel. Das dortige Christentum kam ohne Conquistadores gut voran - strahlte etwas aus dass die kriegsgebeutelten Japaner ansprach, bis es durch die Christenverfolgung, an der die (christlichen) Holländer und Engländer nicht unbeteiligt waren um profitable Geschäfte zu übernehmen, aufgehalten und nahezu ausradiert wurde. Da steckte die Aufklärung noch in den Kinderschuhen.
Die Frage kann also statt "Heutige Verhältnisse ohne Aufklärung" auch lauten "Hätte es ohne Christentum die Aufklärung gegeben"?

Und auch hier ist der weiterführende Vergleich wieder entlarvend. Wie steht es um andere Religionen und Kulturen. Gab es im Buddhismus eine Aufklärung, im Hinduismus, Schamanismus, Polytheismus usw. usf? Wo stehen diese heute? Besonders beliebt ist dabei der Buddhismus. Viele wissen nicht um seine dunklen Züge in der Vergangenheit. Sie kennen den Dalai Lama und einige Hollywoodschauspieler wie Richard Gere. Von den kriegslüsternen Mönchen in Japan und dem Einfluss des Zen-Buddhismus auf den Kriegerkult sowie dem Kaiser als Gott bis zum 5. Dalai Lama und seinen Eroberungszügen durch Tibet wissen sie nichts. Und doch ist der Buddhismus heute als DIE pazifistische Religion bekannt, denkt man an Gewalt und Buddhismus kommen einem eher selbstverbrennende Mönche in den Sinn als lanzenschwingende Banden in Kutten.
Findet man eine Zäsur, eine Aufklärung des Buddhismus? Eine Zäsur (oder mehrere?) vielleicht, eine Aufklärung eher nicht. Und trotzdem gelingt es recht gut, Menschen der buddhistischen Kulturkreise MIT ihrer Religion zu integrieren, ohne dass Botschaften brennen, sobald Buddha karrikiert wird. Auch ohne Tempel mit vergoldeter Pagodenform. Und ohne Aufklärung.

De Benny: Hmm, vorher haben wir auch one Demokratie einen Krieg angefangen, aber ich verstehe, was Du meinst.
Das ist ein recht einseitiges Urteil. Die "Kriegsschuldfrage" kann nicht einseitig Deutschland zugeschoben werden, auch nicht allein Kaiser Wilhelm II. Der Mann hinterlässt ein sehr undurchsichtiges Bild von militäristischer Begeisterung auf der einen und zaghafter Unsicherheit auf der anderen. Während sich Einträge und Äußerungen finden, in denen er Blut fließen sehen will gibt es auch Schlichtungsbriege. Ich gehe mit Röhl nicht oft konform, aber seine Meinung, dass der Mann höchst instabil, aufbrausend war teile ich. Aber das ist ein eigenes Thema.

De Benny: Ich würde nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, daß da nicht auch Geld abgezeigt wird, um eine Miliz aufzubauen – nur für den Notfall natürlich…
 Ich gehe mit Sicherheit davon aus, dass Kopten und Säkulare sich eine Miliz bilden würden und auch eine Menge Geld durch Korruption versickern würde (was es zusätzlich zum Missbrauch auch jetzt bereits tut). Meine grundlegende Überlegung ist eher die Selbstdarstellung der Muslimbrüder. Diverse Ägypter wie Hamed Abdel-Samad legen dar, dass die Muslimbrüder vor allem stärkste Kraft geworden sind, weil die Armen sowie die Ungebildeten sie von ihren sozialen Projekten her kennen. Das Geld dafür stammt meist aus den sunnitischen Ölstaaten (wie jüngst die Mrd. Spritze aus Katar). Würden die Europäer dafür sorgen, dass auch die säkularen und christlichen Kräfte diese Optionen haben (und auch nutzen!) würde diese, konstant verfolgt, für einen Ausgleich sorgen.
So aber sehen viele Ägypter die "Wohltaten" der Muslimbrüder, durchaus vergleichbar mit den Vorgängen in der krisengeschüttelten Weimarer Republik.
Die Menschen zu überzeugen gelingt vor allem durch Liebe und Zuwendung. Auch wenn ich niemals behaupten würde, dass unter Säkularen und Christen nicht auch eine stattliche Anzahl mieser Charaktere zu finden ist. Die gibt es leider überall.

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