Freitag, 26. April 2013

Was würden Sie tun?

Bitte stellen Sie sich folgende Szene vor:
Ein nicht mehr ganz junger Mensch wird auf offener Strasse von einigen aufgeregt wirkenden Leuten aufgehalten. Sie schreien wild durcheinander, aber Sie hören heraus, dass dieser Mensch anderen Angst einjagen soll. Er würde Geschichten erzählen, die andere als bedrohlich empfänden. Außerdem versuche er, allen anderen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben, verbiete vieles. Darunter würde er versuchen, denen die ihm zuhören den Mund zu verbieten und sie zu manipulieren, dass sie nur gutes über ihn und seine Anliegen sagen würden.
So geht das eine Weile. Der Mensch will offensichtlich antworten, kommt aber nicht dazu. Dann endlich, in einem kurzen Moment der Stille sagt er: ich bin morgen auf dem Marktplatz, dann diskutiere ich mit euch und erkläre mich euch.
Die Leute scheinen zufrieden, ein paar murren, einige sagen, er würde kneifen oder versuchen allen den Kopf zu verdrehen.
Sie gehen am nächsten morgen auch hin. Da steht schon der Mensch, neben ein paar anderen die offensichtlich mit einer großen Zahl aufgeschriebener Anklagen gekommen sind. Dann geht es los.
 Erster Punkt:
Er wolle die Meinungen die abweichen verbieten und allen die widersprechen gebieten zu schweigen.

Bevor der andere aber einen Satz vollenden kann, springen ein paar Leute die Sie noch nie in diesem Ort gesehen haben aus der Menge, kippen ein Fäßchen Teer und einen Sack Federn über ihn, während sie auf ihn einschreien. Es sind Beleidigungen und Anschuldigungen wie "er wird uns alle ermorden".
Um Sie herum schauen viele verwundert, einige runzeln die Stirn. Viele stutzen kurz, stimmen dann aber in die Beleidigungen mit ein. Ein paar wirken so, als wollten sie mit nach vorne um es ihnen gleich zu tun, andere scheinen zu überlegen, ob sie einschreiten sollen.

Der Mensch steht nur still da, legt die Handflächen aufeinander und schliesst die Augen. Er rührt sich nicht, während man ihn immer weiter beschimpft und mit Dreck bewirft. Manchmal zuckt er ein wenig, etwa wenn sein Gesicht getroffen wird, sonst wirkt er aber nur ein wenig verkrampft. Dann nimmt jemand ein Symbol aus einer Tasche, welches genauso aussieht wie jenes, dass der Mensch um den Hals trägt. Er spuckt drauf, wirft es vor ihm auf den Boden und trampelt darauf herum. Noch immer rührt sich der Mensch nicht. Und die Menschenmenge um Sie? Die scheint von all dem gar nichts mitzubekommen.
Was tun Sie?

Möglichkeit 1: Sie schweigen ebenfalls, drehen den Kopf in eine andere Richtung und warten ab.

Möglichkeit 2: Sie rufen, man solle aufhören.

Möglichkeit 3: Sie stimmen in den Chor der Leute ein, die den Menschen beschimpfen.

Möglichkeit 4: Sie zwängen sich zwischen der Menschenmenge nach vorne, dort stellen Sie sich zwischen den Menschen und den wütenden Mob.

Möglichkeit 5: Sie verlassen den Platz.

Wie entscheiden Sie sich? Überlegen Sie gründlich, versuchen Sie ehrlich zu sich selbst zu sein. Stellen Sie sich vor, wie es sich anfühlt, während sich die Szenerie entwickelt.


Möglichkeit 1: Nach scheinbar endlosen Minuten wird es vorne ruhiger. Der Mensch ist von Kopf bis Fuß verdreckt. Er wirkt verstört, aber nicht verängstigt. Die Aktion hat aber auch ihn Kraft gekostet, er scheint nicht mehr in der Lage zu sein, zu diskutieren. Ein paar seiner Gesprächspartner sind ohnehin weg, von den übrigen wirken einige verärgert, die meisten aber grinsen breit. Der Mensch verabschiedet sich mit der Bitte ihn zu entschuldigen und will durch die Menge den Platz verlassen. Niemand will berührt werden, aber viele Lachen ihn aus. Hin und wieder fliegt ein Schuh oder ein Ei, meist treffen diese Dinge aber nicht. Sie gehen weiter Ihren Geschäften nach, vergessen die ganze Geschichte bald oder spüren Gewissensbisse, weil Sie nichts taten.

Möglichkeit 2: Die Menschen um Sie herum schauen zu ihnen herüber. Einige wirken erfreut und erwartungsvoll, die meisten blicken kurz darauf wieder nach vorne, eine weitere Gruppe sieht Sie böse an. Die Menge und die Leute vorne haben Sie gar nicht gehört. Ihr rufen ging im Lärm unter. Sie haben erneut die Wahl etwas zu tun oder zu gehen.

Möglichkeit 3: Ihr Geschrei vermengt sich mit dem der anderen. Um Sie herum stimmen immer mehr mit ein. Die Luft wird spürbar aufgeladen von  Zorn. Schließlich stürmen immer mehr Leute nach vorne, längst wird nicht mehr mit Dreck geworfen. Schuhe, Eier, faules Gemüse und schließlich auch Steinchen, dann Steine und schließlich Brocken treffen den Menschen. Er beginnt zu bluten, zuckt immer häufiger schmerzhaft zusammen. Schließlich fangen einige an, mit Stöcken und Stangen auf ihn einzuprügeln. Vielleicht bekommen Sie Gewissensbisse, vielleicht stachelt Sie das aber nur noch mehr an. Ein Gefühl der Gemeinschaft verbindet Sie mit den Anderen. Sie haben den Eindruck, das Richtige zu tun. Der Mensch geht zu Boden, wird dort aber weiter tracktiert. Vielleicht versuchen Sie jetzt, die Sache zu beenden, aber niemand hört auf Sie, man stößt Sie beiseite. Vielleicht lassen Sie jetzt Ihren Stein, den Sie gerade werfen wollten sinken und sehen weiter zu. Vielleicht drängen Sie nach vorne und schleudern das Geschoß in Richtung Kopf.
Irgendwann bewegt sich der Mensch nicht mehr. Um ihn herum ist viel Blut zu sehen, auch Hautfetzen. Die Menge zerstreut sich schnell, ein paar jubeln, viele sind still. Was mit dem Leichnam passiert bekommen Sie gar nicht mit. Sie gehen nach Hause. 

Möglichkeit 4: Die Leute halten kurz inne, dann bekommen auch Sie etwas Teer und ein paar Federn ab, aber andere beteiligen sich und wehren die Leute ab, die schließlich murrend abziehen. Der Mensch dankt Ihnen und Ihren Helfern und lächelt Sie verzagt an. Er bittet um eine kurze Pause, um sich zu säubern, bevor er sich der Diskussion stellt.
Kaum ist er wieder da, wird er mit Vorwürfen überschüttet, darunter der, andere mundtot zu machen.

Die Diskussion ist laut, teilweise sehr emotional und am Ende ziehen die meisten ab, immer noch der festen Überzeugung, dass dieser Mensch ihnen Schaden zufügt. Ihnen aber dankt er nochmal und lädt Sie ein, an einer Gemeinschaft teilzuhaben. Unverbindlich. Ob Sie mitgehen oder nicht, ist Ihre Entscheidung.

Möglichkeit 5: Sie hören, der Mensch hat auf der Versammlung die anderen beschimpft und bedroht, den anderen Rednern ständig das Wort abgeschnitten. Wenige Wochen später hat ein Mob ein Geschäft von jemandem gelündert und Feuer an das Haus gelegt, in dem dieser wohnt. Er war ein Freund des Menschen auf dem Marktplatz. Nach und nach eskaliert die Situation. Aber man hört, die dort zu Schaden oder ums Leben kommen haben es verdient. Sie wollten der Gesellschaft schaden.




Natürlich ist das eine Geschichte mit meinen Vorgaben, vielleicht hätten Sie ganz anders gehandelt. Vielleicht glauben Sie das aber auch nur. Ich kann für mich nicht sagen, ob ich den Mut gehabt hätte, etwas zu tun, ja noch nichtmal die Einstellung, dass es falsch ist.
Ich hoffe es aber. Im Falle der Gemeinschaft, der ich angehöre, verspüre ich jedenfalls den Wunsch etwas zu tun. Gerade erst wurde in Belgien ein Bischof während einer Konferenz, in welcher es um das Thema Meinungsfreiheit ging, von Femen-Aktivisten angegangen. Sie bespritzten ihn mit Wasser aus Lourdes-Flaschen und schrien ihn an, bis andere beherzt eingriffen und die Sicherheitskräfte die Frauen aus dem Saal brachten.
Die meisten Zeitungen berichten, wenn sie den Fall überhaupt aufnehmen, von den angeblich homophoben Äußerungen des Bischofs, kaum eine berichtet über das Thema der Konferenz. Viele lassen bestimmte Details aus, etwa die Lourdes-Flaschen oder die Reaktion des Bischofs. Kaum eine aber verzichtet auf die Abbildung der halbnackten Frauen. Das deren Gesichter vor Wut und, ja ich glaube auch, Hass völlig verzerrt sind, ihre Körpersprache geradezu vor Gewalt schreit, wird nicht thematisiert. Wenn, dann geht es um die Brüste.
Und die Diskussion? Wen interessiert die Meinung von Katholiken, wenn sie nicht dazu taugt, andere in Wut zu versetzen?

Wofür dieses Ereignis aber steht, wohin die Reise geht, das hat die Kirche doch schon viele Male erlebt. Wenigstens ihre Exzellenz Erzbischof Müller hatte dies mal angesprochen. Es wäre an der Zeit, dass der Klerus und die Gemeinde die Augen aufmacht und klar, ehrlich und laut ausspricht, was hier geschieht.



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