Donnerstag, 3. März 2016

Rainer Balcerowiak erklärt uns klassische Musik, deutsche Kultur und Benehmen

Rainer Balcerowiak ist Journalist und schreibt derzeit (u.a.) für den Cicero. Für dieses hervorragende Debattenmagazin mit Platz für verschiedene Haltungen berichtete er nun über ein kürzlich in Köln abgebrochenes Konzert des Iraners Mahan Esfahani. Dieses musste aufgrund von Pfiffen, Buhrufen und Schmähungen vorzeitig beendet werden.
So weit, so zu Recht empörend. Konzerte aufgrund des eigenen Geschmackes zu stören (bis hin zum Abbruch) geht gar nicht. Die beste aller besten Ehefrauen und ich ziehen es vor, wenn uns eine Inszenierung völlig gegen den Geschmack geht oder musikalisch auf unseren Zahnwurzeln gerieben wird, aufzustehen und zu gehen. Das ist leider sehr unüblich, so dass wir dann meist von der Garderobiere "informiert" werden, dass jenes Stück noch weiter geht. Zuletzt geschehen in Köln bei der Aufführung einer Verdi-Oper, an der sich Katharina Thalbach vergangen hatte. Dazu vielleicht ein andermal.
Jedenfalls ist dieser passive Protest natürlich von ein oder zwei Zuschauern vorgetragen völlig wirkungslos und interessiert die Künstler und Verantwortlichen nicht die Bohne. Wenn dutzende oder gar der halbe bis ganze Saal geht...
Durch Rufe zu irritieren finde ich daher unangebracht und würdelos. Erledigen die Künstler auf der Bühne und im Graben ihre Arbeit so wie es Regisseur und Intendant vorgegeben haben, so ist es sogar hochgradig beleidigend.
War die Modernität und das betreffende Stück im Programm angekündigt, so ist der "Zorn" zudem ungerecht. Wer sich in ein Konzert setzt, das darüber informiert, gleich nervenzerreibende Töne zu präsentieren sollte schon zu der Gattung Kunstliebhaber gehören, die auch Kot unter Folie auf Säulen einen geistigen Mehrgewinn abgewinnen können - oder zumindest sehr geduldig und nervenstark sein.
Bis zu diesem Punkt stimme ich Balcerowiak also zu.
Der Rest seines Artikels ist blanker Unsinn und sagt mehr über ihn aus, als über das Geschehene. Denn zur Geschichte gehört mindestens noch ein Detail.


Aber ich würde den Artikel lieber von oben angehen.

Die Einleitung. 

Vermutlich hat der Journalist das Metier verwechselt. Gleich einem schlechten Kinofilm welcher den Begriff  "totale" totalitär auslegt und aus dem Weltall auf die Erde und schließlich eine heimische Couch fährt, zoomt er sich aus dem größtmöglichen Blickwinkel ein. Was der Anschlag auf Frau Reker mit seinem geradezu ironischen Verweis auf die der Ansicht ihres Angreifers "zu große fllüchtlingsfreundliche Art" sowie das anschließende Silvesterdesaster (nach dessen publik werden Reker sagte: "Wir wissen noch nichts über die Täter, aber die Flüchtlinge waren es nicht"... um dann widerlegt zu werden) mit der Philharmonie zu tun haben, wird nur durch die am Ende geschilderte Geisteshaltung klar. Ohne die Ereignisse wäre eine so voreingenommene Haltung nicht möglich gewesen. Darum verdienten die Teilnehmer den Begriff Mob. Hirnlose Massenbewegungswesen.
Die auch noch einem Iraner zubuhten, der betonte, wie in seinem Land (dessen Regierung dank uns und einem völlig anderen Publikum zukünftig nicht nur morden und vergewaltigen darf für solch abscheuliche Dinge wie Homosexualität oder Konversion, sondern auch endlich die Atomkraft "voll ausschöpfen") solche Musik verboten sei. Dem Journalisten ist dieses Statement des einzigen Beteiligten den er zu Wort kommen läßt offensichtlich wichtig.
Als müsste diese Musik darum allen gefallen...

Sprachbarriere

Vorher aber kurz die völlig unverständliche Kritik an der in englischer Sprache vom Künstler vorgetragenen Einleitung, die bereits auf Unverständnis und den schlimmen Zuruf "Sprechen Sie gefälligst Deutsch" traf. Schon hier wurde der herrschende Rassismus im Publikum deutlich, zusammen mit urdeutschen Untugenden. Denn es heisst immer noch "Sie Arschloch" und nicht "Du"...
Wie gesagt, störende Zwischenrufe sind wirklich keine Form - aber bislang war es bei allen Inszenierungen in denen ich mich einfand üblich, fremdsprachiges in irgendeiner Form zu übersetzen. Sei es durch einen Dolmetscher, wenn der Künstler die entsprechende Sprache nicht beherrschte und sich an das Publikum wenden wollte, eine Leinwand mit "Untertiteln", wie sie in den meisten größeren Häusern heute üblich ist, oder eine Handreichung, ein Programmheft oder ähnliches.
Sollte dies unterblieben sein, und wie auch bei so vielen anderen Dingen bemüht sich der Autor nicht um Aufklärung, wie auch die übrige Presse nicht, so ist Unmut zu verstehen und bricht sich verständliche Bahn - völlig unabhängig von Rekers Oktobererfahrung.


Das deutsche Monster

Aber deutsche Konzertbesucher sind ja ohnehin "Biedermeier" und können dank eines "konservativen" Denkens "deutscher Hochkultur" nicht über Richard Strauss und mehr oder minder deutsche Komponisten davor hinaushören.
Hat jemand noch nicht genug Rassismus abbekommen? Vielleicht noch ein wenig Militarismusvorwürfe, Imperialismus, Rape Culture? Alle Deutschen sind Schlächter vielleicht? Alles Nazis?
Diversität wie sie Deutschland wünscht
Drunter scheint es jedenfalls nicht zu gehen. Aber bitte. Ich persönlich bezeichne mich als konservativen Hörer und Zuschauer. Moderne Inszenierungen (ob Theater oder Oper) sind mir ein Graus. Ich besuche keine Musicals weil mir Inhalt und Darbietung meist die Fußnägel aufrollen (ich bin der Auffassung, einem Ausnahmekünstler Tanz, Gesang und Schauspiel abzuverlangen geht in Ordnung - ein ganzes Ensemble inklusive Komparsen dazu zu bringen ist nachweislich unmöglich) - Menschen die mit Tierköpfen auf dem Kopf rumlaufen, um entsprechende Tiere darzustellen erwarte ich bei animistischen Religionen, nicht bei Stücken aus den 2000er Jahren. Und wenn das Ensemble
von unter Vollmaskerade Tiere spielenden Künstlern dann noch vorwiegend aus Schwarzen besteht (weil, spielt ja in Afrika...) dann soll mir bitte niemand mit abstrakten Interpretationsmöglichkeiten kommen.
Ja, ich hänge an "alten" klassischen Stücken. Puccini (1924 gestorben, sein letztes Stück zwei Jahre nach seinem Tod uraufgeführt), ist mir einer der liebsten Komponisten überhaupt. Besagten Verdi (verstarb 1901) liebe ich ebenso wie Carl Orff - einen Deutschen, der nicht nur ungewöhnlich komponierte, bemerkenswertes Material vertonte sondern auch erst 1982 verstarb.
Natürlich weiß ich Bach, Mozart, Schubert und Schuhmann ebenso zu schätzen wie die unbekannten Autoren hinter Shantis wie "Spanish Ladies" - auch wenn die Qualität, die dahinterstehende Kunst auf völlig unterschiedlichen Ebene zu finden ist. Das bedeutet aber nicht, dass ich alles von ihnen oder in dieser Form mag. Rezeption von Musik, Fernsehn, Theater usw. liegt immer am Betrachter bzw. Zuhörer.

Musik und Musikverständnis

Mir und vermutlich Millionen anderer deutscher Klassikliebhaber also derartiges vorzuwerfen, mich so zu beschimpfen und Unterstellungen, Pauschalisierungen zu treffen im Bereich des PERSÖNLICHEN GESCHMACKES ist unerhört und arrogant. Wie kommt der Autor darauf damit besser oder anders zu sein? Weil er einen Ort hat, dies öffentlich zu machen, bei dem er noch dafür bezahlt wird?
 Er hat eine andere Antwort.
Ungewohntes kann verstörend wirken, soll es auch. Die gesamte Musikgeschichte ist von Komponisten geprägt, die sich in ihrer Zeit gegen erhebliche Widerstände durchsetzen mussten, da sie „gültige“ musikalische Prinzipien über den Haufen warfen. Auch sind lautstarke Missfallensbekundungen und Schmähkommentare bereits aus dem 18. und 19. Jahrhundert überliefert. Den NS-Ideologen war es dann vorbehalten, den Begriff der „entarteten Kunst“ zu etablieren, der sich in der Musik nicht nur auf jüdische Komponisten, sondern auf alles „Undeutsche“ bezog.
Er verschweigt, wie viele Komponisten mit ihren Versuchen "musikalische Prinzipien" aufzubrechen scheiterten. Er verschweigt auch, dass dieses vermeintlich Neue eigentlich nicht neu ist und einfach nie ankam. Die Diskussion, wie weit die große, jahrhundertelang erfolgreichen Komponisten wirklich etwas "Neues" erarbeiteten und wie weit dies die Ohren in Relation strapazierte blendet er gleich ganz aus.
Das Stück um das es geht, stammt jedenfalls aus dem Jahr 1967 und besteht im wesentlichen aus 6 Tönen, die permanent wiederholt werden. Zwei Künstler sollen das Stück spielen - wie das in Köln aussah wissen wir nicht. Denn das ohnehin den meisten Ohren schwer zusetzende Stück (permanente Wiederholung von "Musik" wird auch als Foltermethode eingesetzt) hat als einzige Varianz die vom zweiten Spielenden gebotene Varianz des Tempos zusammen mit einer minimalen Änderung der Tonlage. Für bis zu 20 Minuten.
Ein Link im Artikel bringt den Interessierten zu einer kürzeren Darbietung auf Klavier.



Das Publikum in Köln, so also der Vorwurf, war nicht fähig, willens oder bereit Neues zu akzeptieren. Ab von Gewohntem. Das mag sein. Mal abgesehen davon, dass dieses Stück nicht "neu" ist. Muss das sein? Jemandem, der einen klar definierten Geschmack hat vorzuwerfen er sei kleingeistig ist einfach kindisch. Mir gefällt ausgesprochen viel Musik und ich finde es immer wieder bedauerlich, wenn andere diesen Geschmack nicht teilen und fühle mich leicht verletzt, wenn mein Geschmack beschimpft oder lächerlich gemacht wird - und tue es doch auch selbst. Suum cuique.

Und wenn etwas Kunst sein soll, obwohl das kein Können sondern eine (absurde) Erklärung der "Absicht" des Werkes, dann sollte Verständnis bestehen, dass nicht jeder davon begeistert, viele sogar abgestoßen sind. Umso mehr, wenn es sie Geld kostet.

Vor der völligen Verurteilung der Zuschauer als Musikbanausen steht die Frage: wussten sie, was auf sie zukommt? Konnten sie es wissen? Falls beide Antworten nein lauten - dann ist hier lediglich eine extreme Unhöflichkeit zu attestieren. Der Zusammenhang mit Fremdenfeindlichkeit aus der aktuellen Lage ist da denkbar aber eben nicht sicher. Buhrufe, Konzertabbrüche und unhöfliche Besucher gab es immer schon. Selbst in Bayreuth - dem "urdeutschen" Opernevent.



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