Sonntag, 10. April 2016

Kriegsverbrechen und ein verbreiteter Satz

"Geschichte wird von Siegern geschrieben". Ein wirklich oft zu hörender oder lesender Satz. Aber ist dem wirklich so? Eine solche Verallgemeinerung kann nun mal nicht vollends stimmen. Immerhin ist die Geschichtsschreibung mindestens seit Herodot, wenn man wirklich weite Züge anlegt seit Homer vorhanden und ufterte seitdem immer weiter aus. Interkulturelle Geschichtsschreibung ist ein noch weiteres Themenfeld - wie beschreiben Japaner, Chinesen, Nigerianer, Inder oder Australier die Weltkriege? Wie die Kolonialkriege?
Und wie diktiert der Sieger eigentlich Geschichte? War es den deutschen Historikern vorgeschrieben, was und wie sie über den zweiten Weltkrieg niederzuschreiben hatten? Ließ man sie nur bestimmte Quellen auswerten? Standen ihre Werke unter Zensur? Wie ging es den Japanern? Wie sieht dies in anderen Kriegen aus? Und was geschieht bei einem "Unentschieden"?
Fragen über Fragen die, man ahnt es, aus dem Satz eine Binsenweisheit oder Halbwissen machen.
Aber Halbwissen wäre nicht eben dieses, wenn nicht doch ein Funken Wahrheit enthalten wäre. In der Tat beeinflusst die Wahrnehmung des Siegers je nach dessen Informationspolitik mindestens die zeitnahe Berichterstattung - und diese natürlich dementsprechend die Geschichtsschreibung. Die Zahl der dabei noch mitschwingenden Faktoren ist erheblich größer, als hier unterhaltsam einzustellen ist - aber jeder kann sich denken, dass allzu brachiale Propaganda sowohl von Zeitgenossen als auch von nachfolgenden Generationen durchaus als solche erkannt werden kann und dementsprechend an Einfluß einbüßt.
Umgekehrt kann aber auch einiges an Informationen wenn nicht unterdrückt, so doch kleingeredet oder gerechtfertigt werden. Die Kriegsverbrechen an Deutschen und Japanern fallen in diese Kategorie. Wer sich heute, über 70 Jahre nach Kriegsausbruch mit dem 2. Weltkrieg beschäftigt, stößt auf Dinge, die auch schon vor 50 Jahren zu erfahren gewesen wären - aber eben kaum Beachtung fanden, da sie mit Schulterzucken und "die haben ja angefangen" abgehandelt wurden.

Da wurden Körperteile japanische Soldaten, Bilder von deren Familien und persönliche Gegenstände von den Leichen entwendet und daheim offen zur Schau gestellt - ohne jeglichen Schockeffekt. Mittlerweile gab es sogar Programme, welche die Rückgabe dieser für die Familien noch heute sehr bedeutsamen Gegenstände versuchen zu organisieren. Ein paar Beispiele, etwa die Rückgabe der von den Familien mit persönlichen Botschaften versehenen Fahne, welche als Stirnband oft unter dem Helm oder an dessen Stelle getragen wurde. Ein paar Beispiele als Videos, etwa von der Obon-Society, habe ich unter diesen Links hinterlegt.
Über manche dieser Verbrechen wurde in den letzten Jahren immerhin verhalten debattiert. So die massenhaften Vergewaltigungen durch Rotarmisten im Osten (nicht nur an deutschen Frauen), die Bombardierungen von Zivilisten in Japan und Deutschland, mitunter sogar leise der Hinweis auf die immensen Verluste unter den französischen Zivilisten durch die Flächenbombardements in der Normandie während der Landung.
Vor mehr als zwei Jahrzehnten wurde sogar über die Rheinwiesen diskutiert - ein Gefangenenlager der alliierten nach Kriegsende, in welchem Zustände herrschten wie in jenen der Deutschen nach den ersten Kesselschlachten im Osten. Hunger, Epidemien, mangelnde Unterkünfte und deren Folgen - ja sogar Berichte von Schüssen die allerdings nie bestätigt werden konnten.
Zur Diskussion über das Schicksal der Ostvertriebenen habe ich vor einiger Zeit etwas geschrieben.
Das diese Diskussionen stets mit dem Argument: "selbst schuld" oder "die Deutschen haben aber" konfrontiert wurden und dann auf diese Metaebene abgleiten mussten, hat ihrer Tiefe und der Aufarbeitung schwer geschadet.
Das Bewusststein, dass Unrecht nicht mit vorhergehendem Unrecht aufzuwiegen ist, schwand dadurch nahezu. Zumindest einseitig. Der Satz über die "Siegergeschichte" wurde auf der anderen Seite forciert und gab Revanchisten Raum - und diese wiederum der ersten Gruppe Grundlage für Anschuldigungen. Ein Teufelskreis.

Zu der langen Liste von Kriegsverbrechen an Deutschen und ihren Alliierten zählt auch das Schicksal von vielen tausenden Soldaten, die bspw. in sowjetischer Kriegsgefangenschaft zu Tode geschunden wurden oder für gefährliche Arbeiten hinhalten mussten. Ein neuer Film, "Unter dem Sand", nimmt sich nun des Schicksales von jugendlichen Soldaten in Dänemark an. Dort wurden diese zum Räumen der Minen eingesetzt - ohne Ausbildung und ohne Ausrüstung. Die genaue Zahl der dabei zu Tode gekommenen ist nicht zu ermitteln, man geht von mehreren tausend aus, die von Frankreich über Holland und Dänemark bis Norwegen bei solchen Unternehmungen ermordet wurden - und Mord ist es.
Filmszene - Kinder auf dem Bauch stochern nach Minen
Wer dem Link oben folgt, erfährt, dass es die Diskussion in Dänemark schon einmal gab - und genau so beendet wurde, wie weiter oben geschildert. Was die "Deutschen angerichtet haben..."
Das es nicht diese Kinder waren, das die Gesetze und die Moral anderes geboten - irrelevant.
Ich habe den Film noch nicht gesehen, aber die Bilder, die Inhaltsbeschreibung und die Rezensionen versprechen einen aufreibenden Film über ein wenig bekanntes Kapitel. Ich persönlich werde ihn mir wohl nicht ansehen. Ich habe seinerzeit den Film Strafbataillon 999 aus dem Jahr 1960 angesehen, und obwohl längst nicht so deutlich hat mich das Schicksal der darin gestraften tief getroffen. Nun diese Kinder noch deutlicher leiden zu sehen übersteigt mein Vermögen.
Aber wer es kann, dem sei es empfohlen. Zur Aufarbeitung.

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