Freitag, 8. November 2013

Nachrichten dieser Tage

Da wäre zum ersten die Nachricht: 2020 droht Deutschland die Geburtenzahl wegzubrechen. Gab es 2012 noch ca. 674 000 Geburten, eine Rate von ca. 1,4 % wird es, bei unverändertem Verlauf, ab 2020 wohl stetig nach unten gehen - das viel beschworene Aussterben würde beginnen, die Rentenversicherung wäre in naher Zukunft gar nicht mehr machbar.


Einen Tag nach dieser Meldung fordert der Bundesrat, dass die sog. Pille danach rezeptfrei wird.

Gleichzeitig attestiert die Journalistin Dorothea Siems den Deutschen wachsende Kinderfeindlichkeit.
Und seit Jahren, vermehrt aber auch in den letzten Tagen, wird vor der teilweise dramatisch steigenden Anzahl von Neuinfektionen mit sexuell übertragbaren Krankheiten gewarnt. Syphilis, Tripper, Chlamydien, HIV und Herpes breiten sich wieder aus. (Am Rande: Herpes simplex kann tödlich verlaufen.)

Vor kurzem spendet eine Journalistin ihre Preisgeld des erhaltenen katholischen Medienpreises (für einen berührenden Beitrag über eine Überlebende des Breivik-Massakers und deren Wertschätzung für das Leben) einer Organisation, die sich die Be- und Verhinderung des Marsches für das Leben, einer stillen Demonstration gegen Abtreibung, auf die Fahnen geschrieben hat.

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Diese Zusammenstellung der Meldungen der letzten Tage sprang mich heute regelrecht an. Auf der einen Seite wird eiskalt diskutiert, von Journalisten, Wissenschaftlern und Kommentatoren gleichermaßen, welche wirtschaftlichen Folgen die ausbleibenden Geburten haben, welche finanziellen Belastungen Kinder bedeuten, welche finanzielle Verantwortung die Kindsväter (geschieden oder nie verheiratet) gegenüber der Mutter haben, wie sehr die Selbstbestimmung der Frau durch verhütende und abtreibende Mittel gefördert würde.
Die Verantwortung für Neuerkrankungen wird oft genug auf Prostitution und Urlauberverhalten abgeschoben - obwohl die Daten keineswegs einseitige Erkrankungsbilder aufzeigen.

Und die Schar Weniger, die sich für das Recht ungeborener Menschen auf Leben einsetzt wird dann noch vor den Kopf gestoßen, beleidigt, diffamiert als Ärgernis, als Störfaktor, als ewig Gestrige.
Dabei verbindet viele, vielleicht sogar die Meisten dieser Lebensrechtler ein weiterer Gedanke dahinter: verantwortungsvolle Sexualität. Monogamie oder zumindest langjährige Treue erfüllen zumindest was die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten angeht eine wichtige Schutzfunktion.
Von den Gegnern wird Monogamie mit Monotonie gleichgesetzt. Was in meinen Augen eher ein Zeichen eigener Unfähigkeit oder Unwillens ist.
Auch Enthaltsamkeit oder Keuschheit sind heute verpönt. Der Trieb wird als auszulebende Gegebenheit ausgelegt. Dazu passt eine oben unterschlagene Meldung so gar nicht: Junge Japaner verzichten auf Sex und Beziehung. Für die dahinter stehenden Zahlen: fast 50 % weiblicher Studenten sind noch Jungfrauen, 36% der Jugendlichen zwischen 16 und 18% hatten 2010 kein Interesse an Sex,  ein Drittel der Japaner unter 30 hat sich noch nie verabredet, gibt es dann in unseren Medien eine Vielzahl von Erklärungen. Die Technik biete Alternativen, die Frauen wollen nicht die Karrieren aufgeben (und, wie die schweizer 20min. uns wissen lässt: es gibt auch keine religiöse Autorität die dies verlangt), die Männer nicht die finanziellen Probleme auf sich nehmen usw. usf.
Warum auch immer, die jungen Menschen in Japan haben schlicht keinen Geschlechtsverkehr. Ob sie ihrem Trieb anderweitig nachgeben, darüber mag spekuliert werden - aber immerhin wird nicht so getan, als sei die Selbstbestimmung der Frau nur durch die Möglichkeit der Abtreibung zu gewährleisten. Es liegt bei den jeweiligen Individuen, wieviel (Eigen)Verantwortung sie übernehmen, wie viel Risiko, welche möglichen Zukunftswege sie einschlagen.
Die demographischen Folgen haben dann aber nicht allein die Individuen zu tragen. Und in Deutschland tragen die Kosten einer Ansteckung auch nicht die Individuen allein. Wo ist da die autarke Selbstbestimmung?




Dienstag, 5. November 2013

Kein Mitleid - kein Wunsch nach Diskussion

Nach der vorletzten Messe, einer Familienmesse, hatte ich mir die Frage gestellt, ob dies noch Gottesdienst ist. Als Ergebnis der Diskussion mit mir selbst (und vielleicht auch mit DeBenny) entschloss ich mich, mit einem unserer Patres darüber zu sprechen, meine Gedanken und Sorgen zu teilen in der Hoffnung, wenigstens gehört zu werden.
Diesen Sonntag saß ich also mit einem gewissen nervösen Gefühl in der Messe, neben meiner lieben Frau, und versuchte meine Gedanken auf die kommende Messe zu konzentrieren. Das wurde mir allerdings schwer gemacht. Denn zum zweiten Mal in zwei Wochen war das Singbärchen wieder dabei und zupfte kräftig auf ihrem Instrument herum. Zwar nicht so intensiv wie in der Familienmesse, aber durchaus für mich störend.
Mein Gesprächswunsch endete jedoch abrupt während der Predigt. Nicht nur, dass unser Priester sich an "komm vom Baum herunter" aufhielt und daraus einen wirklichen langen Vortrag zum Thema NSA machte (und das wir da doch alle selbst schuld daran sein und was wir von Geheimdiensten denn anderes erwarten würden), er kam denn auch auf den "Bischof da in Limburg, diesen van Elst". Letzteres klang für meine Ohren fast schon verächtlich. Der Nachsatz machte es dann auch deutlich. Man spräche von Lügner, Betrüger und wasweißGottnochalles. Aber auch er sei ja daran selbst schuld, darum habe er (unser Pater) "absolut kein Mitleid".
Das saß bei mir wie eine Ohrfeige. Jetzt bin ich in vielen Diskussionen in meinem Umfeld schon gewohnt, dass die Menschen gar keinen Faktencheck in Sachen van Elst bzw. Limburg hören wollen und falls doch nichts hängen bleibt außer den Zahlen der Gesamtkosten.
Aber das ein Priester sich über einen Bischof derart äußert ohne die Fakten zu prüfen, und dann einen Verzicht auf Mitleid verkündet... Mir fehlen jetzt noch immer die Worte. Ich kann nicht beschreiben, wie entsetzt und ja, auch verletzt ich bin.
Natürlich bin ich nicht besser. Wenn ich von einem dieser unbeschreiblichen Verbrechen höre, die Menschen an anderen Menschen oder Lebewesen begehen wünsche ich den Tätern oft schlimmste Dinge. Höre ich von einer schweren Strafe oder einem Unglück, dass solchen Tätern wiederfährt spüre ich mitunter eine innere Zufriedenheit. Und nicht selten ertappe ich mich bei Gedanken, wie viel friedlicher die Welt ohne eine bestimmte Gruppe von Menschen wäre, vor allem, wenn ich Nachrichten aus Ägypten, Syrien, Irak, Nordkorea usw. bekomme.
Aber diese Gefühle und Gedanken, dafür muss ich kein Theologe sein, sind falsch. Es sind meine Fehler, meine Schwäche. Ich schaffe es nicht den Worten und Taten des Herrn zu folgen und selbst meinen Feinden oder den Feinden meiner Liebsten, meiner Familie, meiner Glaubensgemeinschaft und Mitmenschen mit Liebe zu begegnen. Stets zu vergeben. Spätestens wenn ich mal wieder, dumm wie ich bin, auf einen Bericht, ein Photo oder gar ein Video von Hinrichtungen von Andersgläubigen unter "Allah" rufen stoße ist selbst mein Wunsch mich zu bessern erneut für einige Zeit vergessen.

Ich predige aber auch nicht das Wort Christi. Ich teile nicht die Kommunion aus. Und selbst wenn ich es täte, ich würde keiner Gemeinde sagen: Mitleid ist nicht angebracht. Mitleid ist immer angebracht.

Nachdem schon das letzte Mal von mir auf die Kommunion verzichtet worden war, und da ich die zwei Wochen zuvor verhindert war, ging ich, noch immer unter einem kleinen Schock, nach vorne - auch wenn das Singbärchen wieder die ganze Zeit über zupfte. Wie erwartet konnte ich danach keinen klaren Gedanken fassen, keine Ruhe finden. Aber einen Beschluss fasste ich: das Gespräch lasse ich sein. Wie sollten meine Sorgen Gehör finden, wenn Mitleid nicht obligatorisch für den Priester ist.
Nächsten Sonntag suchen wir eine andere Gemeinde auf. Hoffentlich eine, die Mitleid hat.

Sonntag, 3. November 2013

Allerseelen

Als ich klein war ging meine Familie an Allerseelen stets nach Einbruch der Dunkelheit auf den Friedhof. Es gab (und gibt noch immer) kurz hinter dem Eingang zwei parallel laufende Wege, zwischen denen eine etwa 3 Meter breite Rasenfläche leer steht. Ab Allerheiligen wurden Kerzen von der Stadt, der Gemeinde und allen die wollten aufgestellt. Für einen, später zwei Groschen konnte man sich Kerzen direkt am Friedhof kaufen und dort aufstellen. In der Mitte ruhte auf einem Gestell ein Rahmen in Kreuzform, in dem unzählige Kerzen ihr Licht ausstrahlten.
Immer haben wir dort ein paar Kerzen aufgestellt, für all jene, die niemanden haben um ihrer zu gedenken und für all jene, derer sich längst niemand mehr erinnert.
Danach ging es zu den Gräbern der unbekannten Soldaten und Bombenopfer, die während der sinnlosen Bombardierungen unserer Stadt im zweiten Weltkrieg umkamen. Darunter etwa zwei dutzend junge Männer, denen der Luftschutzwart in einer Bombennacht den Eintritt in den städtischen Luftschutzbunker mit den Worten "nur für Zivilisten" verwehrte. Nur Momente bevor eine Bombe den Platz vor dem Eingang traf und sie alle umbrachte.
Daran erinnerten wir uns stets, bevor wir die Gräber der Familienangehörigen aufsuchten. All die Onkel, Tanten, Urgroßeltern. Es dauerte immer seine Zeit. Aber die fast greifbare Trauer, die stille Würde, die Anteilnahme, das Gedenken haben die Zeit nie lang werden lassen. Immer wurde etwas erzählt von den Verstorbenen.
Seitdem sind viele Jahre ins Land gegangen. Einen Teil davon habe ich mich nicht um die Familie, die Religion oder gar das Andenken gekümmert. Selbst als ich es wieder tat, hatte ich keine Zeit diesen Feiertag angemessen zu begehen. Dieses Jahr war es das erste Mal seit zwei Jahrzehnten.
Wir fuhren in meine Heimatstadt zu meiner Großmutter, die fast weinte vor Freude über die Gelegenheit an diesen Tagen auf den Friedhof zu kommen. Das machte mir meine Schuld, mein Versäumnis intensiv bewusst. Zwar hat es die letzten Jahre immer jemand anderes aus der Familie geschafft, sie dorthin zu bringen, aber ich war eben nicht da. Dieses Jahr, als niemand sonst Zeit oder Gelegenheit hatte, war ich da. Ein Grund zur Dankbarkeit für mich.
Auf dem Friedhof erwartete uns ein Bild, dass mich auf den Boden der heutigen Realität zurück holte. Zwar war der Friedhof gut besucht, aber die Atmosphäre war eine mir völlig fremde. Die Menschen waren laut. Laut im Sinne von lärmend. Die Trauer anderer kümmerte die Meisten nicht. Auf dem Rasen am Eingang stand eine handvoll Kerzen, kaum mehr als zwei dutzend. Der Rahmen war aufgestellt, aber darin standen vielleicht sechs oder acht Kerzen von sonst mindestens hundert.
Auf dem Weg zu den Gräbern unserer Verwandten passierten wir Gräber, die unter dem Laub gar nicht mehr sichtbar waren. Einige waren völlig zugewuchert. Ein großer Teil der Gräber trug keinerlei Schmuck, keine Blumen, kein Licht.
Dafür gab es immer wieder Zeichen von Vandalismus. Zerstörte Bänke, zerschlagene Flaschenreste, Graffiti-Teile, die nicht abwaschbar oder überstreichbar waren.
Ist das die vielbeschworene Zukunft, die bessere Welt? Ob ungeborenes Leben, Mitmenschen oder die sterbliche Hülle - Würde, Respekt, Anstand schwinden. Zum Trauern bleiben wir an Allerseelen zukünftig in Kirche und Heim - und besuchen unsere Verwandten einmal mehr an einem anderen Tag.