Samstag, 31. Oktober 2015

Journalismus, was er ist, war und sein sollte

Hanns Joachim Friedrichs
In diesem Jahr wiederholte sich der Todestag von Hanns Joachim Friedrichs zum 20. Mal. Dieser Journalist, der heute fast vergessen scheint und dessen ihm huldigender Preis gerne an Menschen vergeben wird, die seine Lehren ignorieren, sagte wichtige Sätze zur Haltung der Presse. Journalisten sollten sich "nie gemein machen" mit einer Sache "selbst mit einer Guten". Nur so würde man das Vertrauen der Leser behalten.
Und das ist in der Tat so. Wenn ich mir unsere heutigen Zeitungen so ansehe, so erinnern die meisten Artikel doch vielmehr an Meinungsäußerungen als an Berichterstattung. Das beginnt meist bereits in den gewählten Titeln. Je nachdem wer beteiligt ist oder um welche Sache es geht, werden die Worte gewählt, statt sie möglichst wertneutral zu halten.
Man achte einmal darauf, wo "Prügeleien" stattfinden, und wo "totgeschlagen" wird. Wo es sich um eine "Schießerei" handelt und wo "Schüsse auf XY abgegeben werden". Wann werden Worte wie "Einzelfall" betont und wann wird pauschalisiert mit "Die Deutschen / Israelis / Ossis" und Verantwortung ausweitet bis ins Absurde.

Ziemlich aktuell ist dabei das Beispiel der Pegida und AfD Auseinandersetzung. Mehrere Politiker, wie Katrin Göring-Eckardt oder unser derzeitiger Justizminister haben beiden Gruppen vorgeworfen, für die Brandanschläge auf (zukünftige wie bereits genutzte) Flüchtlingsheime und den Mordanschlag auf die neue Kölner Oberbürgermeisterin verantwortlich zu sein.
Ein solcher Vorwurf ist noch nie in Richtung von Parteien oder Staatsorganen oder Vereinen gemacht worden, welche bspw. die AntiFa unterstützen, die ihrerseits bereits vielfach leichte und schwere Körperverletzung, z.T. mit Tötungsabsicht, und diverse direkte Mordversuche auf ihrem Konto hat. Allein in den letzten beiden Jahren gab es rund ein dutzend mir bekannter Attacken auf Politiker der AfD, ProNRW und Besucher von Demonstrationen wie Pegida oder HogeSa. So wurde u.a. ein 85jähriger erst vor ca. zwei Wochen schwer am Kopf verletzt, als er auf einer AfD Veranstaltung von einem Gegendemonstranten angegriffen wurde. Ein Teilnehmer der Pegida-jahrestag-Versammlung wurde schwer verletzt mindestens eine Radiostation in Berlin behauptete dann rotzfrech, der Verletzte sei in Wirklichkeit ein Gegendemonstrant gewesen, der von Pegida-Anhängern angegriffen wurde.

Jedes Jahr am 1. Mai, und das seit mittlerweile Jahrzehnten, befinden sich ganze Stadtviertel in Aufruhr. Hunderte Polizisten werden Jahr für Jahr verletzt, viele davon schwer. Das die dazu führenden Veranstaltungen zwar im Auge der Betrachter aber kaum personell getrennt werden, verdankt die Gesellschaft den Medien und Politikern. Vielleicht kennt der ein oder andere den Fall Katharina König, die thüringische Landtagsabgeordnete der Die Linke, welche in einem mittlereile nicht mehr online stehenden Beitrag des ZDF zu sehen ist, wie sie bei einer Versammlung der sächsischen Parteivertretung den gewaltätigen und extremistischen "Schwarzen Block" als wichtigen Teil linker Protestkultur darstellt, der es ermögliche "Polizeiketten zu durchfließen". Gemeint ist natürlich, dass diese Leute Polizisten, die eine Absperrung aufrecht erhalten angreifen, damit andere Teilnehmer unrechtmäßig und entgegen polizeilicher Anweisung  durch können. Das geht sogar so weit, dass bis auf damalige Links auf einem doch recht weit rechts aufgestellten, mittlerweile sehr großem Blog und einigen Kommentaren unter Nachrichten über diese Dame von dieser Story nichts mehr im Netz zu finden ist.

Oder auch die religiöse Debatte. Seit vielen Jahren müssen wir es am Karfreitag ertragen, dass Gegner des Ruhegebotes vor Kirchen und Kathedralen, wie dem Kölner Dom, "abfeiern"- aus Protest, dass sie nicht feiern dürften. Die Polizei ist meist gar nicht erst präsent - was nicht selten zur Einschränkung der Religionsfreiheit geführt hat - freilich ohne größere Reaktion der Justiz, Medienwelt oder Politik. Anders als bei Zeichnungen zeigenden Demos vor Moscheen. Das da die Piratenpartei dieses Jahr unter dem Motto "Zum Teufel mit dem Tanzverbot" eigentlich mindestens gleichwertig provozierte - gleichgültig.

Ich könnte vermutlich beliebig viele Themen bearbeiten, ob Ukraine-Krieg, Syrien, Flüchtlingskrise oder TTIP - guten Journalismus, der sich bemüht neutral und ausgewogen zu berichten, ohne zu kommentieren, den findet man heutzutage fast gar nicht mehr. Ich erinnere mich an TV Nachrichten aus meiner Kindheit, in welchen in wenigen Minuten ein Ereignis nach dem anderen vorgestellt wurde - und zwar durch schlichte Darstellung des bestätigten Geschehenen. Heute wird sofort und ausführlich durchgekaut, was die Redakteure für interessant und wichtig erachten - entweder mit den bereits zur Verfügung stehenden und meist unbestätigten Informationen oder mit einer handverlesenen Auswahl der bestätigten. Und wenn das Bild erstmal gesendet wurde, dann lässt es sich kaum revidieren.
Trayvon mit 14
Trayvon, eine der letzten Aufnahmen
Ein paar Beispiele: Trayvon Martin, der junge Afroamerikaner George Zimmermann erschossen wurde, fand sich auf Photos und Plakaten die direkt nach der Veröffentlichung des Ereignisses als 14jähriger wieder. Zur Tatzeit war er 17. Zum Tatzeitpunkt befand sich Diebesgut in seinem Schulspind und er hatte an mehreren Strassenkämpfen teilgenommen, Zimmerman beschimpft und bedroht. Da unsere Nachrichten allerdings von Anfang an auf die "unschuldiger, unbewaffneter, schwarzer Teenager von weißem Waffenbesitzer erschossen" Story setzten, erhielten wir in Deutschland derartige Informationen gar nicht oder nur an nachgerückter Stelle. Die US Presse hat da immerhin einige kleinere Konkurrenten zu bieten. Auch der Rest der Vorgänge, die Zimmermann glaubhaft und für eine Grand Jury, die ermittelnden Beamten und die Staatsanwältin nachvollziehbar wiedergab, ist bei uns mehr lückenhaft als zusammenhängend angekommen.
der von
Das Spiel wiederholte sichim berühmten Fall des "gentle giant" Michael Brown. Hier war die Berichterstattung in den USA wie bei uns derart unvollständig, dass wir zuerst über eine Hinrichtung eines unbewaffneten schwarzen Teenagers erfuhren. Immerhin noch im "Zeugen berichteten" wurde meist angehangen, der Junge sei mit erhobenen Händen und von hinten  erschossen worden.
Einmal berichtet bleibt solch ein Bild.
Wie sich in den folgenden Tagen herausstellte, war der "Teenager" knapp 1,93 groß, wog 132 kg und hatte nur wenige Minuten zuvor einen Laden beraubt und den Besitzer bedroht. Der Polizist hatte ihn aber wegen seines Verhaltens angehalten und wurde noch im Streifenwagen sitzend von Brown angegriffen -worauf es zu den ersten Schüssen kam. Auch die Raptexte des Jungen erinnerten mehr an ein Gangmitglied einer berüchtigten Bande als einen liebevollen Riesen. Aber da war es schon zu spät - drüben wie bei uns, in den USA allerdings mit dramatischeren Folgen.
In beiden Fällen wird "unbewaffnet" als Synonym für "ungefährlich" verwendet - was natürlich nicht stimmt.
Hier in Europa ist ähnliches beim Terroristen Breivik zu vermelden. Als dieser in Norwegen die sozialistische Regierung und deren Jugendlager angriff, wurde er durch die Polizei zuerst zu einem christlichen "Fundamentalisten" erklärt. Zwar analysierten kurz darauf einige Zeitungen dies, andere aber übernahmen es ungeprüft und bis heute schwirrt der Begriff durch die Gegend. Wie die FAZ zwar richtig feststellt, bemüht Breivik zwar "kaum" die Bibel - aber sie vermisst zu erwähnen, dass er in seinem Pamphlet auch gesteht weder Gebet noch Kirchenbesuch seit seiner Jugend praktiziert zu haben. Weder Rechtfertigung, Grundlage noch Hintergrund der Tat sind also christlich - lediglich einige seiner historischen Bezüge - zu denen aber auch islamische und nationalistische gehören. Niemand kommt auf den Gedanken ihn deswegen Islamist zu nennen.
Aber die Zeit nutzt die "Gunst" der Stunde um Saskia Wendel zu Wort kommen zu lassen - und diese erklärt ausführlich, warum Breiviks erkannte oder angebliche Positionen zu bestimmten Themen wie Frauenordination ihn zwangsläufig zu einem katholischen Fundamentalisten machen. Später setzt sie nochmal nach mit der schmissigen Überschrift "Al Quaida für Christen". Zu Wendels Einlassungen hat Matthias Matussek übrigens eine sehr passende Antwort geschrieben.

Und egal wie gut die Argumente, wie eindeutig die Fakten sind, die nach einer Erstberichterstattung kommen - das Bild ist gezeichnet, der geworfene Schmutz haftet an. Selbst wenn am Ende alles ganz anders war als dargestellt - in Erinnerung bleibt doch, was zuerst behauptet wurde.

Es wäre für die Presse, die Bevölkerung und den sozialen Frieden wirklich wichtig, wenn die Medien sich ihrer Verantwortung und der Bürde dieser Verantwortung bewusst würden. Sie ist nicht leicht zu ertragen. Umso trauriger, dass es heute kaum einer versucht.







2 Kommentare:

  1. Ein wirklich interessantes Blog...das Absurde am Fall Martin/Zimmermann ist, dass George Zimmermann zumindest in den US-Medien meist als "Weißer" dargestellt wurde. Nun betrachte man mal ein Bild von Herrn Zimmermann in seiner Jugend oder das mit der blutigen Nase...das ist nicht das, was normalerweise in den USA als "weiß" gilt. Wundert einen auch nicht, seine Mutter ist Peruanerin und hatte einen schwarzen Großvater. Aber die Story liest sich natürlich besser, wenn er "white" und nicht "hispanic" ist.

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    1. Vielen Dank für das Lob. Es freut mich, wenn mein Geschreibsel gefällt.
      Ich finde an dem Fall allerhand absurd. Das ein mehrere Jahre altes Bild verwendet wird, um einen Kleinkriminellen als unschuldiges Kind darzustellen, dass der Präsident sich in den laufenden Prozeß einmischt und Partei ergreift, dass viele Informationen nie von den Massenmedien aufgegriffen wurden.
      Ein angeblich ermordetes Unschuldslamm, bei dem Diebesgut gefunden wird - das wäre normalerweise eine Hauptschlagzeile.
      Der Rassist, der schwarzen Kindern unentgeldliche Nachhilfe gab und seinem gehbehinderten schwarzen Nachbarn kleine Hilfen gab...

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