Daneben tummeln sich allerhand Artikel unserer Medien, in denen die Arbeit der Historiker, so sie nicht berühmt und in den eigenen Medien omnipräsent sind, scheinbar komplett ignoriert werden.
Als Beispiel sei hier nur ein Artikel von Til Biermann angeführt, der in Welt mal eben sämtliche Quellenkritik der letzten Jahrzehnte links liegen lassend im bewundernden Tonfall die Eroberung Spaniens durch die Mauren bzw. "den Islam" aus seiner Recherche erklärt.
Für die Interessierten aber Themenfremden ein Beispiel: die im Artikel genannten Zahlen stammen aus arabischen Quellen und sind bereits seit mehreren Jahrzehnten von der Forschung als Übertreibung zum Zwecke der Siegesaufwertung erkannt worden, vergleichbar mit dem angeblichen Millionenheer der Perser, welches gegen die Griechen zog.
Zurück zur Ursache meines heutigen Unmutes: gestern erklärte Oliver Pocher, den manche mir unverständlicherweise als Komiker oder Comedian bezeichnen, wir müssten uns mehr um das Heute und weniger um das Gestern kümmern, um eine gefühlte Ewigkeit der schleppenden Diskussion später hinzuzufügen, in seiner Schulzeit wären nach ein wenig Römer und Ägypter bereits die Nazis behandelt worden und dies hätte sich so lange hingezogen, bis für die "Neuzeit" (sic!) keine Stunden mehr übrig waren. Herr Plasberg wies darauf hin, heute wären nur maximal 20 Unterrichtsstunden dafür vorgesehen.
Wo fängt man da an...
Zum einen habe ich ebenfalls einen Mangel an Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte im Unterricht erlebt. Klaus Hornung formuliert es im Vorwort seiner Scharnhorst-Biographie sehr prägnant.
"Nicht wenigen erscheint die deutsche Geschichte als bloße Vorgeschichte der Katastrophe von 1945. Der "braune Koloß der Nazizeit" versperrt vielen den Zugang zu unserer Vergangenheit." Sie wird entweder oft geradezu traumatisch verdrängt, oder die Beschäftigung mit ihr gerät zur Besserwisserei der Nachgeborenen, die genau zu wissen meinen, wie diejenigen, die früher lebten, hätten handeln sollen. So wird auch der Geschichtsunterricht allzu oft einer betont gegenwartsbezogenen "Gesellschaftslehre" geopfert, die der Geschichte bestenfalls bruchstückhaftes Wissen ohne Zusammenhang entnimmt - Versatzstücke zur Rechtfertigung populärer Meinungen des Tages und des Marktes."
K. Hornung, Scharnhorst, Soldat - Reformer - Staatsmann. Die Biographie, S.12, München, ²2001
So geht es noch eine Weile weiter. Wann immer ich diese Seiten konsumiere muss ich permanent nicken.
Ihm und Herrn Plasberg muss ich jedoch dahingehend widersprechen, dass die eingeplante Zeit für die Behandlung im Lehrplan stets begrenzt war. Gleichzeitig aber begegnet das Thema den Schülern eben nicht nur in Geschichte. Gesellschafts- oder Sozialkunde, deutsche Literatur bis hin zu Kunst und mitunter sogar in Religion oder Musik kann das Thema auftauchen und behandelt werden.
Damit will ich nicht sagen, dass die 30er und 40er Jahre es nicht verdienten, ausführlich behandelt zu werden, dass Schüler nicht mit den Gräueltaten der damaligen Deutschen und ihrer Verbündeten konfrontiert werden sollten. Aber in der Behandlung des Themas wird alles andere zur Nebensache, während die Entwicklung an sich so gar nicht mehr im Kontext gestellt betrachtet werden kann.
Geschichte beginnt nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt und endet dort auch nicht. Für das auch in der Sendung angesprochene Verständnis gehört mehr dazu, als ein paar Personen und Fakten der behandelten Zeit zu kennen und Zitate zuordnen zu können.
Dazu zitierte an anderer Stelle Herr Dreßler von der SPD den Philosophen George Santayana: "Wer sich des Vergangenen nicht erinnert ist dazu verdammt, es noch einmal zu durchleben."
Und hier beginnt das größte Ärgernis für mich. Denn was Herr Dreßler u.a. wohl meinen, ist der exakte Ablauf. Mein alter Professor sagte mir einmal bei einer privaten Diskussion, bei der ich ebenfalls dieses "damit nicht wieder das Gleiche passiert" vortrug mit aufgebrachtem Ton: "Exakt das Gleiche kann doch auch gar nicht passieren". Und in der Tat, ein Blick auf unsere Gesetze genügt um klarzustellen, dass die gleiche Personengruppe mit den gleichen Absichten und den gleichen Feindbildern in dieser Republik eigentlich keine Chance hat. Aber das Menschen, die meinen Gutes zu tun (oder zumindest "das Richtige") sich dabei zu Diktatoren aufschwingen, andere erst unterdrücken und irgendwann verfolgen, das hat es bereits vor den Nazis gegeben und das ist eine reale Gefahr. Darum ist in meinen Augen Buch und Film "The Wave" ein miss- und gleichzeitig gelungenes Beispiel zu demonstrieren, welche Mechanismen, die heute nicht in der Kritik stehen und z.T. auch nicht stehen können erneut genutzt werden. Es fehlt darin jedoch die Macht der Medien, die zwar im 20 Jh. als neuer Faktor dazu kamen, aber eine besonders wichtige Rolle etwa bei der Verbreitung und Dämonisierung der jeweiligen Feinde spielten. Misslungen, da nur zu leicht die scheinbare Militarisierung, die vor dem 20 Jh. bei derartigen Entwicklungen kaum oder gar nicht gab, wieder im Vordergrund auftritt.
Kurzum, obwohl in der Sendung immer wieder auf Komplexität der Geschichte verwiesen wird, auf die Notwendigkeit von Bildung und Grundverständnis der Vorgänge wurde trotzdem wieder heruntergebrochen, der Blick wieder nur in eine Richtung gewandt. Und wer immer nur nach hinten blickt, der sieht nicht, was vor ihm geschieht. Darum wäre es wichtig, sich stets in alle Richtungen umzublicken.
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