Dienstag, 9. Juli 2013

Konfrontation?

Zwei Erlebnisberichte von Berichterstattern, die sich selbst als Journalisten bezeichnen.
Beide haben in Syrien bestimmte Personen getroffen oder begleitet und lassen diese Männer nun zu Wort kommen, um ihre Motivation und ihre Taten zu erklären.
Nun ist es ja nicht ungewöhnlich, dies zu tun - allerdings ist es relativ ungewöhnlich im Falle von Personen und Gruppen, die sich zwar als "Good Guys" vorgestellt haben, durch Beweise aber als die eigentlichen "Bad Boys" entlarvt sind - oder zumindest als zweite Gruppe eben solcher.
Aber das dies so einseitig und mit so viel unverhohlener Sympathie stattfindet, das war mir neu.
So berichtet Paul Wood für die BBC von jenem Kommandeur der FSA, der "Freien Syrischen Armee", der vor kurzem in einem Internetvideo zu sehen war während er einem gefallenen Feind ein Organ herausschneidet, unter Gelächter und spöttischen Kommentaren seiner Kameraden. Anschließend hält er eine Rede und beisst dann in das Organ hinein. Dieser Mann, Abu Sakkar, ist es, den Wood zu Wort kommen lässt. Dem Briten muss man immerhin anrechnen, dass er auch die Widersprüche in dessen Aussage wiedergibt und wenigstens halbwegs daraufhin weist, bspw. als Sakkar zuerst abstreitet so etwas getan zu haben.
The video says otherwise.
Andererseits fehlt jeder investigative Anspruch. Die Behauptung, der Geschändete hätte Handyvideos von Vergewaltigung und Mord bei sich gehabt versucht er nicht mal zu überprüfen. Auf die Entschuldigung des FSA Generals Salim Idris
But he commands his own battalion, which he raised with his own money
fragt er nicht nach, woher Sakkar, den Wood selbst kurz vorher als
Before the uprising, he was working as a labourer in Baba Amr.
also als Hilfsarbeiter, als Knecht vorstellte, das Geld hat um ein eigenes Battalion aufzustellen und zu finanzieren. Hier geht es nicht um ein paar Euronen, es geht um tausende von Dollarn - Verpflegung, Munition, Waffen, Reinigungsmittel, Kleidung, Sold u.v.m.


Ziemlich gut in das so vermittelte Bild passt der Bericht "No time for tears" von Kurt Pelda (zumindest so der in ICH-Form beschreibende youtube-Hochlader), der von der Deutschen Welle ausgestrahlt wurde. Hier wurde "Anwar" begleitet, ein junger Mann, der "trained as a teacher" - als Lehrer angelernt, war und plante zu heiraten, als "die Revolution kam", wie uns der Kommentator erklärt.
Im Laufe der wiederholten Besuche macht Anwar mit den Reportern eine "crash-site" Tour, Besuche an Orten von Einschlägen, er zeigt Videos von Leichen und Dokumente mit Bildern die sagen, dass ...ja was eigentlich? Ich konnte nicht lesen was dort stand. Handelte es sich um eine Bewerbung, eine Autopsie mit Passfoto des Betreffenden, ein Verhörprotokoll wie es der Kommentator impliziert aber nicht direkt sagt, oder oder oder.
Ich zweifle nicht daran, dass von Assads Schergen Menschen umgebracht oder gefoltert wurden. Ein Verbrechen, für das er in der Tat abgesetzt und vor Gericht gestellt werden müsste - wie unzählige andere Machthaber auch. Aber ist der gezeigte einer von ihnen? Viel zu oft haben die Medien uns Opfer dieser oder jener Konflikte gezeigt, und am Ende waren es uralte Bilder oder zeigten Opfer einer anderen Gewalttat oder Konfliktes. Gerade Gaza und die dort operierende islamistische Hamas ist dafür bekannt, man erinnere sich an den Fall von Mohammed Al-Durah, der bis heute von Palästinensern propagandistisch ausgeschlachtet wird und zu einer großen Zahl tödlicher Anschläge führte. Längst widerlegt, bspw. durch die ARD Doku "Das Kind, der Tod und die Wahrheit" wird er trotzdem von einigen Medien und Politikern Europas als Rechtfertigung genutzt.
Im Video sieht man dann, wie Aktivisten zu Beginn der Revolte Schilder schreiben, auf denen sie fragen, wo die Araber und der Westen bliebe um ihnen zu helfen. Wie schon kurz vorher, als der Berichterstatter erklärte, Anwar habe an "internationale Menschenrechtsorganisationen" geschrieben, wird im Kommentar daraus ein Vorwurf an den "Westen".
Auf den Plakaten der Demo die wohl im April 2012 stattfand, zu einer Zeit also, als ein Verhandlungsfrieden noch denkbar war und die Kämpfe noch nicht das halbe Land in Schutt und Asche gelegt hatten, ist zu lesen, dass der Westen Syrien nicht helfe, weil sie Muslime seien. Auch andere Plakate zeugen von einer religiösen Überzeugung hinter diesen Protesten.
Darauf nimmt Pelda keinerlei Bezug. Er bleibt bei Anwar und seinem Umfeld, berichtet hierbei auch von der guten Internetanbindung dieser Leute, die Videos und Stellungsnahmen unmittelbar online Stellen können.
Viel zentraler aber wird postuliert, dass sich Anwar nach Intensivierung der Kämpfe "betrayed" also betrogen fühle vom Westen. Niemand helfe ihnen gegen Assad. Das Anwar zu diesem Zeitpunkt bereits einen Bart nach Manier der Salafisten, wenn auch mit einem kurzgehaltenen Stoppelbart an der Oberlippe trägt wundert scheinbar niemanden. Zugegeben, Mode muss nicht unbedingt etwas aussagen, aber einem Eindruck zu begegnen - das wäre hier schon interessant gewesen.
Als die Bilder vom belagerten Aleppo einen Markt zeigen, auf dem es von Fleisch über Früchte bis Elektronik alles gibt wird einem solchen Eindruck, dem der funktionierenden Infrastruktur, eben begegnet. Schlüssig ist die Argumentation allerdings kaum.
"But as we speak with the locals all express their fear of air raids and the heavy artillery. - (kurze Pause) - Yet somehow life goes on." 
Aber als wir mit den Einheimischen sprachen drückten alle ihre Angst vor Luftangriffen und der schweren Artillerie aus. - kurze Pause - Irgendwie geht das Leben trotzdem weiter.
Die pausenlosen Luftangriffe werden angesprochen - rauchende und nicht übermässig nervöse Männer warten auf einem Balkon in einem oberen Stockwerk auf das Erscheinen der Bomber um sie zu filmen. Wackelnde Bilder von durch die Strassen laufenden Familien und einer großen Gruppe Männer demonstrieren die Angst vor den Bomben. Und ein getroffenes, ziviles Gebäude bezeugt von der Berechtigung dieser Angst. Der Kommentator erklärt fairerweise, dass dieses Gebäude aber nicht das Ziel des Angriffes war, sondern ein Stützpunkt der Rebellen, die mitten in der belebten Stadt Posten unterhalten, so wie die Männer um Anwar ebenfalls bewaffnet ofensichtlich in einem zivilen Gebäude warteten. Das Wort "Kollateralschaden" wird eingebracht.
Ein anderer Fall, einige Monate später, den Anwar "untersucht". Auch hier betont der Reporter fairerweise, dass beide Seiten die Schuld dem jeweils anderen geben - mehr Analyse erhält man nicht. Vielmehr bekommen die Schilderungen der Assad-Gegner nun Raum. Flugzeuge hätten Raketen auf eine Schlange von Wartenden vor einer Bäckerei abgeworfen und dabei 100 Menschen umgebracht. Bilder von Körpern zwischen Trümmern auf einem Handy und der Ort des Geschehens werden als Belege gezeigt.
Allein: wer die Bilder des Gebäudes ein paar Minuten vorher gesehen hatte, das infolge eines solchen Luftangriffes eingestürzt war könnte bemerkt haben, dass der Bürgersteig, auf dem diese 100 Menschen gestorben sein sollen zwar beschädigt war, aber keineswegs in Schutt und Asche lag. Auch das Gebäude hatte Schäden vorzuweisen, aber die Wand unmittelbar neben dem Einschlag wirkt relativ intakt. Derartige Auffälligkeiten rufen danach aufgeklärt zu werden. So verstärkt sich bei mir der Zweifel an den Aussagen, nicht aber das Mitleid mit den Ermordeten. Nur, wer hat sie auf dem Gewissen? Und war ihr Tod gewollt?
Statt Antworten oder wenigstens den Fragen: ein Gräberfeld und die berührende Geschichte eines jungen Mädchens, welches in der Schlange beim Warten auf Brot getötet wurde.
Kurz darauf schließt sich der "erschöpfte Anwar", bei einer Tasse Kaffee einer der islamistischen, nach einem Gottesstaat trachtenden Gruppen an. Der Macher betont Anwar sei kein Gläubiger, nicht mal beten würde er. Aber die Untätigkeit des Westens, die gute Organisation und Bewaffnung der Islamisten würde ihn dazu zwingen bei ihnen mit zu machen. Anwar selbst gibt in einem Interview an, dass die Religion, gemeint ist der Islam, Frieden und Stabilität bringen würde. Hier prallen Kommentar und Aussage aufeinander, widersprechen sich entschieden und lenken den Blick erneut auf die Erscheinung Anwars. Dessen Bart ist noch immer da und passt hervorragend zu denen seiner neuen Kameraden. Dabei trägt er eine Splitterschutzweste, landläufig als Schussweste bekannt, der Bundeswehr. Und keiner fragt nach, woher die Islamisten die Mittel für Waffen, Munition und einen laufenden PC inklusive Ballerspiel für ihren 13jährigen Rekruten haben.
Was bleibt ist das Fazit der Handelnden und der Macher: der Westen habe nichts unternommen, das führte zur Radikalisierung und Selbstverteidigung der Muslime.

Beide Dokus stellen weder die immer und immer wieder zur Rechtfertigung gebrachten Verbrechen Assads in Frage oder dokumentieren sie wenigstens mit harten Beweisen statt nur mit den Berichten dre Aufständischen. Dabei gibt es hier durchaus auch Substanz - die Berichte der Menschenrechtsorganisationen und der UN wären da angebracht gewesen.
Noch viel weniger aber wird bspw. Anwar mit den Gräuel konfrontiert, die seine "Brüder" an Christen und Aleviten verübten. Mit den Geldgebern hinter den Islamisten - Terrororganisationen und - wer hätte es gedacht - bestimmte Staaten im Westen.
Und warum die Verbrechen der Rebellen, zumeist von diesen selbst auf Handys oder Kameras gefilmt und eingestellt, in zunehmender Zahl im Netz kursieren, während andersherum die ja mit gleichen Mitteln und Absichten gefilmten Grausamkeiten kaum dokumentiert sind, diese Frage wird nicht gestellt.

So sind beide Berichte an Einseitigkeit und Parteinahme vielleicht nicht so lautsprecherisch wie vieles, das man aus der organisierten Propaganda türkischer oder palästinensischer Regionen kennt und erwartet. Aber sie lassen mehr Fragen offen, als sie beantworten, obwohl sie eindeutig Verständnis und Sympathie für ihre Protagonisten tragen.



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