Montag, 1. August 2016

Tolkien und Martin, eine Replik auf einen Vergleich

Marco Gallina hat in seinem Blog einen (für unser Medium) ausführlichen Vergleich zwischen Martin und Tolkien gezogen.
Was Martin angeht, so sehe ich vieles anders, aber vor allem in Dingen des Geschmacks und darüber läßt sich bekanntlich (nicht) streiten. In der Causa Tolkien aber möchte ich verschiedlich widersprechen.
G. R.R. Martin












Mit folgendem möchte ich beginnen.
Wir müssen hier aus postmoderner Sicht ganz ehrlich sein. Kein Verlag würde den Herrn der Ringe heute mehr verlegen.
Dieser Annahme stimme ich nicht zu, schon gar nicht als absolutistische Vorgabe. Angesichts des Schundes, welcher heute veröffentlicht wird, sowohl "Kunst", Belletristik als auch triviale Literatur kann ich diese Einschätzung nicht teilen. Vor allem aber aufgrund der tolkienschen Veröffentlichungsgeschichte selbst und dem Vergleich zu heutigen Vorgängen.
Tolkiens Werk entstand in einer Zeit, als Fantasy keineswegs ein angesehenes und gut eingesessenes Genre war, offen gelesen und beliebt bei Millionen, den Markt mitunter sogar dominierend. Vielmehr haben Autoren wie H.P. Lovecraft und R.E. Howard mit ihrer "Low Fantasy" und zahllose kleine Autoren und Heftverlage das Ansehen (keineswegs dabei stets das Niveau) von Fantasy und Science Fiction drastisch gesenkt, nachdem Autoren wie Mark Twain, Mary Shelly oder Jules Verne eigentlich lesenswerte und beliebte Grundlagen geschaffen hatten.
In dieser Situation kam Tolkien denn auch nicht mit dem Lord of the Rings sondern The Hobbit in die Öffentlichkeit. Und zwar nicht durch eine Bewerbung bei einem Verlag und dessen verhaltener oder euphorischer Zustimmung sondern über Beziehungen. Der Zufall wollte es, dass der Professor sein Werk über eine Studentin an einen Verlag bringen konnte, und dieser wiederum verließ sich nicht auf Rezensenten und Literaten, sondern auf das Urteil des damals 12jährigen Sohnes des Verlegers, Rayner Unwin.
Es war also ebenso seinerzeit kein Lektor und auch heutige Verleger verlassen sich oft auf Intuition und die Meinung verschiedenster Personen, um zu entscheiden, ob sie ein Buch auflegen oder nicht.
Das Silmarillion, welches Tolkien in einer früheren Version anbot, lehnte dieser Verlag ab. Zu komplex, zu lyrisch, zu wortgewaltig - und das kein Lektor zur Korrektur und Straffung dran durfte, machte die Sache aus Verlegersicht schlimmer. Es sind also damals bereits jene vorgebrachten Schwierigkeiten existent gewesen - und sie haben die Veröffentlichung nicht verhindert. Es ist daher nicht so einfach zu behaupten, dass sich heute, im Gegensatz zu damals, kein Verlag finden würde.
Es führte im Gegenteil dazu, dass sich Tolkien erfolgreich einen anderen Verlag suchte - obwohl er teilweise unverschämte Forderungen in Sachen Werksbehandlung stellte, die schließlich doch zu seiner Rückkehr führten. Auch hier greift wieder "die Beziehung", denn sein seinerzeit kindlicher Fürsprecher war nun in leitender Funktion.

Schon zu diesem Zeitpunkt wurde ihm "mangelnder Bezug zur Realität" vorgeworfen und die "abstrakte, unglaubwürdige Welt" angelastet.  Ganz Professor reagierte er darauf in einem Essay.
Weder der "Hobbit" noch der "Lord of the Rings" war ein Kassenerfolg - zu Anfang. Es war eine illegale Veröffentlichung als Taschenbuch, also der Zugriff eines Verlages ohne Autorisierung, der das Werk verbreitete und populär werden ließ.
Hier in Deutschland wurde an die erst in den 60ern erfolgende Übersetzung maßgeblich durch Tolkien selbst beeinflußt - was manchen in seiner Kritik an der Lesbarkeit dieser ersten Übersetzung kurz innehalten lassen dürfte. Die Übersetzerin, M. Carroux, gab sich viel Mühe. So sind die Bände nicht für jedermann leicht zugänglich - aber wer sich darauf einlässt erlebt eine wunderschöne Sprache die eine große Geschichte zu erzählen weiß.
Es folgte ein Experiment, um die Leserschaft zu vergrößern. Anfang der 2000er Jahre kam eine Neuübersetzung heraus. Sie sollte dem Zeitgeist angepasst sein und Jugendlichen einen leichteren Zugang gewähren. Dafür wurde bsüw. aus "Master" (Meister, Herr) ein jovales "Chef". Eine Unmöglichkeit, die es in sämtliche Kritiken und auch Lexikon-Artikel geschafft hat (ja, auch wikipdia...).
Das Experiment wäre also beinahe missglückt.
Für Interessierte: die Neubearbeitung von 2012 ist trotzdem lesenswert. Beide Übersetzungen haben ihre Vor- und Nachteile.

Martin hingegen war und ist Teil der großen Unterhaltungsindustrie, mit längst gefestigten und routiniert genutzten Wegen. Sein Weg zum Verlag führte über einen Verleger UND Förderer wie dem zu früh verstorbenen Robert Jordan, dessen "Das Rad der Zeit" sehr unterhaltsame und innovative Fantasy war, bis er die Story ins Unerträgliche verlängerte.
Die Veröffentlichungsgeschichte der beiden könnte also unterschiedlicher nicht sein - aber auch Martins Werk "boomte" erst, seit der zweiten Verfilmung (der erste Film ist unerträglich) und war ebensowenig von Beginn an ein Kassenschlager.

(....) Bücher sollen filmisch zeigen was geschieht, statt großväterlich zu erzählen. Und das so präzise, knapp und klar wie möglich.

Die Werke Martins haben dabei ihren Ursprung in den 90ern - und wie sein Förderer Robert Jordan, ist sein Werk ebensowenig "knapp und präzise" wie Tolkiens. Auch Martin benötigt einen Anhang, und seine vorweg geloberte Neigung, Protagonisten unvermittelt ableben zu lassen, macht die Zahl der Namen der es zu kennen gilt ebensowenig kleiner, wie seine seit den 90ern ausgearbeitete und überarbeitete "Welt". Handlungsstränge, die keinerlei Relevanz für die eigentliche Handlung haben, sich plötzlich und unerklärlich ändernde Konditionen (der einstmals wendige und athletische Kleinwüchsige wurde erst nach der Aufklärung des Autors über die körperlichen Probleme der "größenmäßig Benachteiligten" seinen realen Vorbildern ähnlicher - ohne das in den Werken erklärt würde, warum. Dies muss der Interessierte in den Erläuterungen nachlesen und erfährt besagte Information.
Wie R. Jordan sind die Bücher Martins zu umfangreich, um sie einfach so zu übersetzen und auf den Markt in Deutschland zu bringen. Sie werden geteilt. Von "knapp" und "übersichtlich" ist hier also bei weitem keine Rede.

Tolkien muss schon deswegen verlieren, weil sein Stil nicht mehr in eine Zeit passt, die von sozialen Medien mit 140 Zeichen dominiert wird. In den 30er Jahren war es eben noch kein Fauxpas, sich auch einmal ins Langschweifige zu verirren, oder einfach die Sprache der Sprache Willen zu Wort kommen zu lassen

Auch hier muss ich widersprechen. Der Hauptstreitpunkt Tolkiens mit seinen Verlegern war stets die Länge, der Umfang und der Wunsch Erläuterungen, Anhänge und Vorgeschichten dazu zu legen. Das im Vergleich zu Martins Buchreihe regelrecht überschaubare Epos um den Ring sollte dramatisch gekürzt werden. Zwar ist die Konzentration heutiger Leser in der Tat beängstigend gering, aber damals waren die Groschenhefte das dominierende Format für "phatastische Literatur" und Novellen wurden allemal vorgezogen.
Man muss schon eine Weile suchen um außerhalb von Fachliteratur solch umfangreiche Werke zu finden. Wer durch die Reihen der Klassiker schreitet findet wohl Tolstoi, die Manns und Fontane in Umfang und ausufernden Beschreibungen. Twain, Vernes, Dickens uvm halten ihre Erzählungen i.d.R. knapper. Und gerade die Sagen- und Mythenwelt protzt eher selten mit vielen und endlosen Seiten und Erklärungen.
Die Zeitgenossen Wagners haben daher seine gewaltige, stundenlange Umsetzung der Nibelungen durchaus auch als künstlerischen Wahnsinn wahrgenommen.
Wenn auch unsere Zeit heute mit weniger Konzentrationsfähigkeit und permanentem Zeitmangel trumpft, so ist auch damals der Umfang keineswegs begrüßt worden und galt als Hindernis.
Umgekehrt sind die Filme Kassenschlager und die Veröffentlichung des dritten Teiles fand am Premierentag als Event statt, bei welchem zuerst die beiden anderen gezeigt wurden. Obwohl der zweite Teil in der Kinofassung im allgemeinen Urteil als schlecht gilt waren die Säle stets rappelvoll - für ca. 10 h (oder mehr, ich erinnere mich nicht mehr).
Auch was den Stil angeht, bieten Filme und Werk einen guten Vergleich. Wie gesagt ist Teil zwei schlecht angekommen als Film. Einer der Hauptgründe war der schnelle hin und her Schnitt - eine Versuch des Regisseurs moderne Sehgewohnheiten wie man sie aus "24 hours" kennt zu übernehmen.
Die Qualität wurde durch dezidiert "tolkiensche" Momente in der Extended Edition wieder angehoben.
Gesang ist bspw. heute eher in Disneyfilmen zu finden in einer unerträglich gekünstelten. Die Einfügung bspw. des Grabgesanges von Eowyn für Theodred treibt mir beim Anblick des Filmes die gleiche Gänsehaut (jedesmal!) auf, wie der Abschiedsgesang für Boromir, wenn die verbliebenen Gefährten ihn in einem der Boote auf die letzte Reise schicken.
Was auch in meinem Umfeld oft als "abgeschmackt" oder "veraltet" bezeichnet wurde, die Gesänge, entpuppt sich bei Lektüre wie Verfilmung als glaubhaft und ergreifend eingefügtes Leben. In den meisten Filmen die sich der Verangenheit annehmen oder mittelalterlich gestaltete Fantasy anbieten vermisse ich Gesang. Denn "früher" wurde gesungen. Gesang war Teil des Alltages. Soldaten beim Marsch, Arbeiter bei monotonen Handgriffen (nb. auch einige der schönsten Szenen in "Die sieben Samurai"), Seeleute auf Fahrt oder beim Löschen, Grablegungen usw. usf.
Ich fordere jeden Leser auf, das Experiment zu machen und einen HdR Teil in der Kinoversion und einen anderen mit Augenmerk auf die eingefügten Gesänge als Extended zu sehen. Die Qualitätssteigerung wiegt die noch größere Länge auf. Garantiert.
Besonders gelungen in Hinsicht auf die Einbindung des Gesanges in den Alltag und das Leben, wenn auch stark vom Buch abgewandelt ist der Trauergesang für Gandalf. Ruiniert natürlich die "Comedyeinlage"


Wo wir schon bei der Haupthandlung, also dem eigentlichen Plot sind: während man bei Martin in all den Intrigen oftmals gar nicht mehr weiß, was als nächstes kommt, erscheint die Geschichte des Altmeisters sehr einfach gestrickt.
 Ist dies als Vorteil gemeint? Ich persönlich empfinde dies als einen der negativen Punkte auf der Liste. Für mich leidet daran die Glaubhaftigkeit. Gemessen an der Kürze des Zeitraumes und der "Überschaubarkeit" der Personen im jeweiligen Handlungsraum ist die Zahl der Intrigen, Machenschaften und Verrätereien zu groß. Fast jeder hat seine eigene Suppe und spielt ein doppeltes Spiel. Selbst geistig stark eingeschränkte werden so dargestellt, dass man sich nicht sicher sein kann.
Das sorgt für Unvorhersehbarkeit aber eben auch für ein sehr abstraktes Bild. Viel zu oft wird jemand gemeuchelt und man hat den Eindruck, die Intrige war jetzt lediglich zur "Belustigung" des Lesers inszeniert, um diesen zu überraschen. Nichts gegen ein oder zwei gute Intrigen oder ein langfristiges Spiel um Macht - aber oft wirkt es, als habe sich ein Haufen Schachmeister versammelt und alle spielten auf dem gleichen Brett, ohne dass einer von ihnen merkt, dass mehr als zwei Spieler beteiligt sind.


Und hier sehe ich in der Tat das Problem der Aufmerksamkeit erneut. "erscheint" ist das richtige Wort. Man kann sich jahrelang mit Tolkiens Werk auseinander setzen, und trotzdem manche Nuance, manche "Facette" wie es Marco nennt, übersehen. Das weitaus Meiste, was einfach erscheint ist beim Altmeister in Wirklichkeit sehr komplex. Wie Marco später schreibt: das Böse ist immanent, das "reine Gute" und das "reine Böse" sind im Allgemeinen nicht zu finden. Galadiel zeichnet dramatisch vor, dass selbst das "gefundene" reine Gute zu etwas Bösem werden kann, weil es einen Funken in sich hat, der das Böse birgt. Boromirs Verrat ist aus dem Wunsch geboren, zu retten und schützen und die Zauberer sind in der Tat eigentlich eine Art Engel - und ausgerechnet ihr Anführer wird zum Feind der Schöpfung, zum gnandelosen Tyrann der sich mit Sauron mindestens auf einer Stufe sieht, eher darüber.
Wer ehrlich behaupten will, alle Entwicklungen und Nebenstränge im "Lord of the Rings" zu kennen und zu verstehen, der muss sich einem intensiven Studium ausgesetzt haben, um den Nachweis auch erbringen zu können.
Ein typisches wenn auch relativ einfaches Beispiel ist die Kritik, welche nach den Filmen besonders laut wurde. Warum sei man nicht von Anfang an auf den Riesenadlern direkt dorthin geflogen? Auf diese Frage gibt es eine ganze Batterie von Gründen zu antworten.
So sind die Adler eine eigene, intelligente Rasse voller Stolz. Sie lassen sich nicht "kommandieren". Man kann sie bitten - und zum Zeitpunkt der Reise lagen sie, das erfährt man nicht in den Bänden selbst, im Krieg mit den Riesen und hatten nicht einen einzigen "Vogel" zur Verfügung, der als Helfer hätte dienen können. In der Tat sah es wegen der zerstörten Horste sogar sehr schlecht für sie aus.
Saurons Blick unterdessen wanderte über Mittelerde, stets auf der Suche. Angesichts der Schwierigkeiten, die sich den Reisenden immer wieder in den Weg stellen und der gewaltigen Kräfte, die gegen "die Guten" aufmarschieren, ist es offensichtlich, dass der direkte Weg ungefähr so erfolgreich gewesen wäre, wie der Frontalangriff der Reiter Gondors. In den Filmen erscheint der Blick oft wie eine Art Flakscheinwerfer. Es hätte mit minimalem Aufwand schon klar sein können, was passiert, wenn man im deckungslosen Himmel unterwegs darauf zuhält.
Die Ablenkung durch die Schlacht am Schwarzen Tor demonstriert dies ebenfalls deutlich. Sich, nach einem glorreichen Sieg, so in Gefahr zu bringen und weitere Leben zu opfern schreit nach der "warum" Frage. Genaues wissen die Gefährten über die Hobbits und den Ring nicht mehr.
Eigentlich also "offensichtlich" - aber eben nicht so brachial dem Leser (oder Zuschauer) um die Ohren gehauen, dass er ohne den Einsatz des Hirns darauf käme, wie man durch die kritischen Frager erfahren durfte.


gleich den Rittern der Tafelrunde müssen die Gefährten zugunsten eines magischen Artefaktes unendliche Mühsale auf sich nehmen. Der spannende Unterschied: der „Eine Ring“ Tolkiens ist das genaue Gegenteil des Heiligen Grals. Er ist das Geschenk des Teufels, das die Geschöpfe Mittelerdes verführt
Der Gral wurde, als Lebensspender und heiliges Relikt gesucht, also eine richtige "Queste". Der Ring, als korruptes Element der Macht und unmittelbares Hilfsmittel des Truges (Unsichtbarkeit) sollte fortgebracht und vernichtet werden. Gut, das ist kleinliche Wortglauberei, aber mancher Vergleich hinkt eben mehr aber gelangt doch zum Ziel.
Die Darstellung des Ringes als "Geschenk" hat in Tolkiens Werk selbst Einzug gehalten, immerhin werden "die Ringe", den Herrschern geschenkt - aber im Zeitalter des Ringkrieg vehement als solches abgelehnt zu werden. Die Diskussion dieses Gegenstandes ist dabei schon nach der Schlacht gegen Sauron an den Hängen des Orodruin.  Es ist also nicht "des Teufels Geschenk", er ist ein Fluch der durchaus unabhängig von des Teufels Willen genutzt werden könnte, sogar zu dessen Vertreibung (s. Galadriel).
Bester Marco, dass Sauron ebenfalls auch ein Verführter ist und eben nicht der ursprüngliche und dominierende Anstifter, wie es der Lichtbringer ist, macht ihn ebenfalls zu einer mehrschichtigen Figur.

Aber in diesem Fluch steckt auch Gutes, wie Galadriel erläutert. Die Ringe der Elben haben diesen geholfen, unterstützten deren Herrscher. Sicherten lange Zeit das Überleben ihrer Art auf Mittelerde. Nach der Vernichtung des Einen verlieren auch ihre Ringe ihre Macht und den Einfluß, woraufhin sie sich zurückziehen und Mittelerde verlassen. Selbst Elrond.
Der Einfluß auf weniger "reine" und "starke" Wesen, Menschen und Zwerge, die eben weit mehr "charakterliche (Un-)Tiefe" besitzen, war hingegen zerstörisch. Bei den Menschen mehr als bei den Zwergen, deren Schicksal als Kinder Aules sich nicht so dramatisch von den Ringen beeinflussen ließ. Wohl wurden die Herrscher "dunkler". Die Gier, die den Zwergen ohnehin bereits anhaftete, wurde verstärkt - etwas, dass man im Verrat der Zwerge unter Thorin an den Menschen vom See bereits im "Hobbit" erfahren konnte.
Und hieran sieht man auch, dass der Vorwurf der mangelnden Charaktersgestaltung nicht nur aufgrund vergangener Stile ungerecht wäre, sondern schlicht nicht trifft. Die Charakter sind häufig alles andere als einfach. Sie leben innere Konflikte nur nicht so demonstrativ aus, formulieren ihre Gedanken und Wünsche nicht für den Leser, streben eben nicht alle nach Macht oder verbergen bzw. bekämpfen diesen Drang innerlich. Der Leser muss darauf achten, wie Schlangenzunge den Geist verdirbt, wie Liebe selbst eine Elbin zerreißt, wie Versprechen und Gastfreundschaft hochgehalten werden, um dann, keinen Deut besser oder schlechter als bei Martin, von Protagonisten mit Füßen getreten zu werden.
Zwischen "blinder Gefolgschaft", heimlichem Widerstand und offener Rebellion schwankt mancher Charakter, welcher oft gar nicht wahrgenommen wird.
Bestes Beispiel für mich ist da der Namensgeber dieses Blogs. Theodred spielt als handelnde Figur keinerlei Rolle. Er wird erwähnt, sein Tod betrauert. Das dieser ergebene Sohn, aufgerieben zwischen der Pflicht seine Leute und sein Land zu verteidigen und den offensichtlich wahnsinnigen Anweisungen seines Vaters, selbst kaum rebellierte, aber andere dazu anregte einen letzten Appell an den Herrsche zu richten und dann nicht mehr zu folgen (inklusive ihrer folgenden Existenz als Verfehmte, die trotzdem die Landesgrenzen schützen) hat mit Sicherheit nicht weniger Tiefe, als ein Gastgeber, der die Konkurrenz während eines Festmahles abschlachten lässt.
Und während Martins Charaktere mitunter auch nicht vor Inzest und Morden innerhalb der Familien zurückschrecken, dreht die Komplexität der Beziehung zwischen dem Truchsess Denethor und seinen beiden Söhnen eine Ehrenrunde durch reale Haushalte. Ungleich behandelte Kinder mit stark unterschiedlichem Charakter, Pflichtgefühl und Ehrgeiz, Kontrollzwang und Arroganz. Mündend in komplettem Wahnsinn und einer Eskalation, die so falsch in Ort und Zeitpunkt erscheint, dass es im Hinterkopf kratzt.
Wer es noch intensiver haben will, der muss dann schon ein anderes Genre lesen.
Und diese Charaktere und ihre Entwicklung läuft, im zeitlichen Rahmen, vor den Lesern ab - ebenso aber in den Anhängen und Erläuterungen, wenn sie zeitlich nicht in den Büchern untergracht wurden. Denethor dreht vor den Augen des Lesers durch, behandelt seinen überlebenden Sohn während der Handlung völlig anders als er es in seiner Trauer um den anderen ausdrückt. Woher diese Haltung kommt, warum der Truchsess so schwach wirkt, dies muss der Interessierte nachlesen. Tolkien versuchte so eben das trotzdem kritisierte Ausufern zu vermeiden.

Tolkien hat gerade durch seine Adaptionen der alten Heldensagen auch ihr Innerstes mitgenommen; heißt, wir treffen auf den Thronfolger, der gegen alle Widerstände sein rechtmäßiges Reich erobern muss; auf den geheimnisvollen, weisen Alten, der die Jungen auf ihren Dienst vorbereitet;

Und doch sind diese Figuren nur die Basis und es ist eben Tolkiens Verdienst, aus den "Holzschnitten" und "Archetypen" mehr gearbeitet zu haben, was zugegeben mitunter schwer zu erkennen ist und bestimmt bei manchem Charakter mehr gelungen erscheint als bei anderen.
Der "Thronfolger" strebt nicht nach dem Thron, nimmt ihn nur pro forma ein und ersetzt auch nicht den Truchsess (wie Denethor befürchtete). Er bringt nicht die "alten Zeiten" wieder und erfüllt oder gibt auch keine Versprechen von "in Zeiten der Not", wie es in den betreffenden Sagen oft der Fall ist. Eine Restauration gibt es nur in engem Rahmen.
Der "weise Alte", obwohl selbst ein Gesandter und übernatürliches Wesen, ist alles andere als Allwissend. Zahllose Stunden und teilweise zum Schaden der Gefährten die er begleitet, zieht er sich zurück um zu studieren und mehr über Aufgaben, Gegebenheiten und Möglichkeiten zu erfahren. Dabei lässt er mehr als einmal die Helden im Stich. Ist nicht da, als man ihn brauchte.
Er läuft unwissend in Gefahren und Fallen, wiederholt. Übersieht charakterliche Entwicklungen und verbringt viel Zeit mit "menscheln". Merlin, als genanntes Urbeispiel, erlaubt sich eine einzige menschliche Schwäche, die jedoch für ihn letztlich auch fatal ist. Bis dahin tritt er als vorrauschsehender Planer auf, dessen Handlungen auf Jahre und Jahrzehnte ausgelegt sind und Früchte tragen. Nur in Morgana täuscht er sich, durch deren Verführungskunst geblendet. Die Artussage lebt wirklich die lediglich in Grundzügen angelegten Figuren aus. Ein Kind seiner Zeit und seines Sinnes.

Gerade im Abgleich der Kämpfe möchte ich sogar den Eindruck umkehren. Die Schlacht zwischen John Snows und Ramsey zählt in meinen Augen sowohl im Buch als auch im Film zu den unglaubwürdigsten und unlogischsten Momenten der populären Fantasygeschichte. Snow reitet allein und weit vor seinen Truppen auf den Feind zu und wird durch die Gegenmaßnahmen (wenn ich mich richtig erinnere im Fernsehn weit spektakulärer als in den Büchern) nicht sofort getötet. Massiv unterlegen und von Anfang an unter schweren Verlusten am leiden halten seine Truppen durch - er allein mitten zwischen den sich treffenden Kavalleristen treffend, ohne dass er niedergetrampelt würde oder von einem der Gegner erreicht.
Und am Ende siegt sein Haufen auch noch. 
Ich kann damit in Fantasy-Romanen leben - aber wenn man einen grunsätzlich "realistischeren" und "zeitgemäßen Ansatz" beansprucht, stellt sich bei solchen Szenen die Frage nach genauso diesem Anspruch.
Tolkiens Schlachten sind keineswegs realistischer. Aber zumindest in diesem Vergleich plausibler. Und obwohl Rohans Reiter nicht wirklich charakterisiert werden ist die Ansprache vor dem Angriff auf die Belagerer der Weißen Stadt auf den Punkt treffend. Da ist nichts heldenhaftes. Man steht am Abgrund. Es geht nur darum, das Unvermeidliche so gut zu tun, wie es geht und Tod zu bringen, bevor man ihn empfängt. Diesen kleinen Funken Hoffnung. Der dann nicht dazu führt, dass die Reiter das feindliche Heer niedermachen - sondern die Moral greift. Und gerade dieses Momentum, die Moral der Truppen und Protagonisten erscheint mir bei Tolkien menschlicher und glaubwürdiger als bei Martin.
Das aber ist eben ein Eindruck.


Marco hat noch einiges mehr geschrieben und sein gesamter Text lohnt der Diskussion. Allein die Zeit... vielleicht komme ich noch dazu. Vielen Dank auf jeden Fall für diese ausführliche Darstellung Deiner Ansichten.

Tolkien ist trotzdem "to towering".

2 Kommentare:

  1. Liebe Geschichtsgelehrte,

    eine kurze Bitte: Bitte etwas knapper, wenn das nicht als Zwiegespräch ausarten soll.
    Meine erste Fantasyerfahrung war in den 80ern das Schwert von Shannara (ja ich weiß, und die aktuelle Serie habe ich nach 5 Minuten abgeschaltet ). Tollkien kam später und ich bekenne, dass ich ihn in weiten Teilen abschweifend und langweilig fand. Ganz im Gegenteil zu den ersten beiden Filmen, die bis heute zu meinen Lieblingsfilmen gehören.
    Schon die wenigen Minuten der Schlacht am Schicksalsberg zu Beginn des ersten Teiles, als noch auf Computeroverkill verzichtet wurde, haben mich fasziniert.
    Als Romantiker hat mich natürlich die Szene auf der Brücke zwischen Arwen und Aragorn begeistert und die Minen von Moria und der Aufmarsch nächtliche Aufmarsch vor Helms Klamm und meine absolute Lieblingszene "König Theoden steht allein" - "Nicht ganz..." - Ich bin halt ein schlichtes Gemüt und stehe in der Beurteilung wohl ein wenig zwischen Ihnen beiden.
    Schon der dritte Teil hat mir kaum gefallen und die Verfilmung des Hobbits war mit Computeroverkill, noch mehr Klamauk und durch die Luft fliegenden Elben nicht mehr meiner (lediglich Teil 3 hat mich durch die starke Leistung des Zwergenkönigs etwas versöhnt).
    Was nun Martin angeht, bin ich hier mit der Fernsehserie gestartet und nach wie vor sehe ich diese recht gern, auch wenn das "Kasse machen" durch endlose Ausdehnung und viel Leerlauf gerade in den letzten beiden Staffeln den Sehgenuss stört.
    Bisher steht in Buchform nur der erste Band in meinem Regal und er wird es wohl auch bleiben. Ich fand ihn gerade zur Serie eher fad und die Charaktere der Serie sind einfach hervorragend umgesetzt.

    Was ihr beider Zwiegespräch angeht: Ja, der Tom Bombadil und Silmarillon- Tolkien bleibt für mich (bis zum Beweis des Gegenteils) eine singuläre Erscheinung der Zeitgeschichte.
    Genauso, weil er so weit ich das beurteilen kann, seine Romane in fantasyfreier Zeit zum Welterfolg führen konnte.
    Martin profitiert von zeitgenössischer Mittelalterbegeisterung und der gekonnten Vermischung von Fantasyelementen mit jeder Menge sex und Gewalt - was die Serie einer breiteren Schicht von Zuschauern eröffnet.
    Von daher denke ich, dass Martin jeder Zeit reproduzierbar ist, Tolkien aber nicht mehr.

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    1. Am Shannara-Zyklus ist nichts auszusetzen. Habe ich zu Jugendzeiten mit Begeisterung und Stirnrunzeln verschlungen.

      Der dritte Teil der Verfilmung krankt etwas am CGI und der Actionlastigkeit, die zwar ein paar wenige gute Filmmomente bewirkt, dagegen aber für die Atmosphäre und den Buchinhalt eher giftig sind.
      Das Tolkien völlig außergewöhnlich ist und kaum erreicht werden kann, das sehe ich genauso. Das seine einzelnen Elemente nicht wiederholt würden, das stimmt schlicht nicht.
      Umfangreiche Nebenhandlung, verzweigte Handlungsstränge finden sich bei Martin und Jordan ebenso, wie die Shannara-Reihe.
      Hohe Anforderung an Sprache und Semantik? Terry Pratchetts Wortwitze wie Spracheinsatz sind göttlich aber keineswegs für jedermann einfach verständlich. Die Übersetzer haben an ihm ebenso hart zu knabbern, wie an Tolkien. Tad Williams schrieb mit seiner Homage an Tolkien ein für viele unleserliches und trotzdem erfolgreiches Buch (allerdings schon in den 80ern). R. Scott Bakkers Prince of Nothing - Reihe erschien hierzulande im letzten Teil 2009 bei Heyne. Es gilt wegen seiner erdachten Sprachen und umfangreichen Hintergrundentwicklung als einer der Nachfolger Tolkiens.
      Charaktertiefe und ein nur scheinbar einfaches Schubladensystem gibt es ebenfalls bei zahllosen Schreibern. Ich empfehle da David Gemell (möge er in Frieden Ruhen). Sein Druss, ein Held der seine Zeit überlebt hat und zur letzten Schlacht antritt, ist einfach und doch komplex.

      Das Martin jederzeit reproduzierbar ist, halte ich für eine Winzigkeit übertrieben. Der Erfolg liegt also wirklich beim TV. Und hier ist eine einmalige Konstellation von Erfahrung als Drehbuchautor, Beziehungen in die Produzentenkreise und eine extrem erfahrene Castingcrew zusammen mit tablulosen Auftraggebern und Regisseuren nötig gewesen.
      Das ist durchaus wiederholbar. Nur die besagten Erfahrungen müssen trotzdem dahinter stehen. Der erste Film über Martins Buch, ich glaube ich wiederhole mich, war ein Desaster. Aufgemacht wie die bis dahin übliche Fantasy-Klamotte wie Dungeons & Dragons und preiswerter, zeitgemäßer Tricks war es nicht sehbar.

      Tolkiens Erfolg kam ebenfalls erst mit der Zeit. Aber ohne all diesen Hintergrund. Seine "Erben" am Bildschirm nutzen eben nicht nur die Figuren und den Rahmen, sie nutzen auch bestimmte Elemente seines Stils. Manche mehr(ere), manche weniger. Manchmal erfolgreich, manchmal nicht. Aber oft genug publiziert.

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