Sonntag, 9. März 2014

Vater und Mutter ehren?

Eine junge Frau macht Schlagzeilen. Rachael Canning verklagt ihre Eltern auf die Kosten ihrer Schul- und Collegebildung sowie die Kosten des Rechtsstreites. Die 18jährige war im Streit kurz vor ihrem 18. Geburtstag aus- kurzzeitig bei ihrem Freund ein- und dann zu einer Freundin und deren millionenschweren Anwaltsvater weitergezogen. Allerdings sagt Rachael selbst, sie sei nicht ausgezogen sondern rausgeschmissen worden.
Was war passiert? Eigentlich nichts ungewöhnlich. Eltern und Tochter hatten unterschiedliche Vorstellungen vom Familienleben. Die Eltern erwarteten von ihrer Tochter, dass diese sich an ihre Hausregeln und an die Gesetze des Landes hielte. So sollte die junge Frau um 23 Uhr daheim sein, möglichst nüchtern, und neben ihren schulischen Aufgaben auch im Haushalt helfen. Dies "verweigerte" Rachael. Als Beispiel dient dabei der Streit, der zur "Trennung" führte. An jenem Morgen kam Rachael um halb vier sturzbetrunken nach Hause.
Nun mag man noch glauben, dass dies ein Einzelfall war. Wer sich die Berichterstattung um den Prozess durchliest, erfährt etwas anderes. So soll die Tochter der Cannings ab dem Alter von 15 Jahren durch eben jene Eltern, die ihr jetzt Obdach und Klagemöglichkeit geben, mit Alkohol versorgt worden sein, bis hin zur völligen Trunkenheit. Das ist in Deutschland mittlerweile kein Grund zur Aufregung mehr, in den USA, wo es z.T. erst ab 21 erlaubt ist zu trinken zumindest zur leichten Aufregung. Anderer Leute Minderjährige mit Alkohol zu versorgen gilt dort nicht unbedingt als akzeptabel.
Im Haushalt zu helfen kam gar nicht in Frage, wie sie selbst vor Gericht aussagte.
Es geht aber noch weiter. Rachael wirft ihrer Mutter, also jener Frau deren Regeln sie keinen Beachtung und deren Strafen sie von nichts abhalten konnten, vor, sie habe durch Beschimpfung mit "Schweinchen" und "fett" sie zur Magersucht getrieben. Die Mutter hingegen verweist auf Versuche, ihr eben bei dieser Essstörung zu helfen und auf deren Motivation beim Abschlussball in ein bestimmtes Kleid zu passen.
Außerdem klagt die Schülerin, ihr Vater habe sich ihr unschicklich und in eindeutiger Absicht genähert. Dies wurde jedoch schon vom Jugend- und Sozialamt untersucht und als frei erfunden klassifiziert - die Tochter hingegen mit dem unschönen Wörtchen "spoiled" geehrt, was man am ehesten mit "verzogen" oder "verwöhnt" übersetzen kann.
Dagegen spielte die Verteidigung (ja, die Eltern müssen sich "verteidigen" lassen), eine Aufnahme vom Beantworter des Handys der Mutter vor. Darin beschimpft Rachael die Eltern aufs unflätigste, so dass selbst der Richter meint, sowas habe er lange nicht gehört, und beendet das Gespräch mit dem Wunsch, nie wieder etwas mit den Eltern zu tun zu haben und einfach nur ihr eigenes Leben zu leben.

Und das ist der Moment, wo ich mich vergleichen kann. Meine Eltern haben mir gegenüber einiges an Mist gebaut und seit etwa zehn Jahren habe ich zu keinem der beiden (getrennt lebenden) mehr Kontakt, davor eher sporadisch. Ich will nicht allzuviel persönliches hier ausbreiten, aber es waren einige wirklich heftige Dinge dabei. Trotzdem habe ich im Laufe der Jahre immer wieder Anläufe zur Versöhnung gemacht und bin jedesmal erneut vor den Kopf (oder weit tiefer) gestoßen worden, bis ich es aufgab. Keinen cent habe ich während meines Studiums (oder besser unseres Studienzeit) von meinen Eltern gesehen, aber auch nicht gewollt. Das eigene Leben leben war in der Beziehung mein Motto, und dafür haben wir hart gearbeitet. Meine Frau noch härter als ich, und das weiß ich in ewiger Dankbarkeit zu schätzen.
Der Punkt ist: beides ist nicht drin. Entweder will ich ein eigenständiges Individuum sein, dass sein eigenes Leben lebt, oder ich lasse mich füttern und kleiden und nähren und begebe mich in ein direktes Verhältnis. Rechte und Pflichten lassen sich nicht trennen, jedenfalls nicht ohne Einverständnis des Anderen.
Aber es geht noch eine Ebene tiefer. Rachael ist nicht das einzige Kind der Cannings, sie hat noch zwei weitere Schwestern. Die Eltern haben es ihr ermöglicht, eine katholische Privatschule zu besuchen, die Morris Catholic School. Wer sich ein wenig in den USA auskennt weiß, dass die öffentlichen Schulen keinen guten Ruf haben, die Privaten aber wie auch hierzulande einiges an Geld kosten. Nach Aussage von Rachael verfügen die Cannings über ein Einkommen von 250.000 Dollar bis 300.000 pro Jahr. Sean Canning ist ein Ex-Cop, wenn auch ein hochranginger. Wie es um die Mutter bestellt ist war mir nicht möglich zu erschliessen.  Woher also diese hohen Summen kommen sollen ist nicht ganz klar, aber auch nicht unmöglich. Die jüngeren Schwestern von Rachael werden wohl ebenfalls auf Privatschulen geschickt werden und nebenbei will das Leben bestritten werden. Rachael fordert wöchentlich einen Unterhalt von ca 650 $ plus die Schulkosten von ca. 6000$ plus die Gerichtskosten von mehreren tausend $ und natürlich das Geld für das College, welches im Schnitt an reinen Gebühren jährlich etwa 9 - 14 000 $ kostet, so sie an einer öffentlichen Uni studiert. Ihr Ziel ist aber eine Uni in Vermont, immerhin mit Stipendium. Mehrere tausend $ dürfte dies die Eltern trotzdem kosten.
Das dies zu Lasten der Schwestern gehen kann, zumal dank des Prozesses, scheint Rachael gepflegt an einem Körperteil vorbeizugehen. Im letzten eMailwechsel des Vaters mit Rachael, der auch Gegenstand der Verhandlung war, betont der Vater, dass seine älteste Tochter auch erst wieder Vertrauen bei ihren Schwestern aufbauen muss, die sie ebenfalls verletzt habe.
Wer jetzt noch meint, hier ginge es nicht um eine pubertären Ausbruch, der noch von jenen Erwachsenen angepeitscht wird, in dessen Villa Rachael derzeit lebt und von denen sie ihren ersten Alkoholexzess erhielt, der sehe sich die Haltung der Schule an. Diese hatte Rachael zwei Tage
suspendiert, weil sie in Verdacht stand auf dem Parkplatz der Schule mit mehreren Jungs Vodka konsumiert zu haben, während eine der sogenannten Homecoming-Bälle stattfand. Rachael drohte bei der Gelegenheit auch den Lehrern und der Schule mit Klagen.
Kommen wir noch einmal zum Band zurück.
Dieses Band bestätigt nebenbei auch die Mutter in Sachen Essstörung. Der Wortlaut (und nur der Vollständigkeit halber bringe ich das volle Zitat. Nachdrücklich distanziere ich mich vom Inhalt und vom gebrauchten Ton.)
Die Eltern beim abspielen des Bandes
Hi mom just to let you know you're a real f**king winner aren't you you think you're so cool and you think you caught me throwing up in the bathroom after eating an egg frittatta, yeah sorry that you have problems now and you need to harp on mine because i didn't and i actually took a s*** which i really just wanna s*** all over your face right now because it looks like that anyway, anyway i f***ing hate you and um I've written you off so don't talk to me, don't do anything I'm blocking you from just about everything, have a nice life, bye mom'

Die Übersetzung bis zur Beleidigung:
Hallo Mama, wollte dich nur wissen lassen, dass du echt ein **** Gewinner bist, oder? Du denkst, du bist so cool und du denkst du hast mich beim übergeben im Badezimmer erwischt nach dem essen des Eieromletts. Ja, tschuldige das du jetzt Probleme hast und jetzt auf mir rumhacken musst, denn ich hab es nicht getan (...)
Die Mutter soll also gemeint haben, die Tochter "zu erwischen", also etwas Verbotenes zu tun. Die Essstörung war also nichts, auf das die Mutter aus war und / oder etwas, dass die Tochter heimlich tat. Das passt zur Beschreibung der Mutter, die angibt, über ihre Intervention
bei Rachael in Misskredit gekommen zu sein, und nicht in das Bild der beschimpfenden Rabenmutter, die ihre Tochter dünn haben will.

Auch der Auftritt vor Gericht spricht dafür. Während die Eltern sichtbar verhärmt vor Gericht auflaufen, mehrfach ihren Schmerz über den Umgang der Öffentlichkeit mit ihrer Tochter äußern und in Tränen ausbrechen, wann immer es ins Detail geht erscheint Rachael in Schuluniform, lächelt und scherzt mehrfach mit ihren Freunden, gähnt bei den Ausführungen um die Ereignisse herzhaft und scheint allgemein wenig bedrückt.

Es mag der Eindruck entstehen, ich glaube hier würden die
Rachael mit ihrem Gönner
Die Eltern
völlig unschuldigen Eltern gegen ein Monster von Kind angehen. Dem ist nicht so. Sehr wohl habe ich den Trennungswunsch der Eltern von ihrem Freund wahrgenommen. Derartiges zu verlangen kann zu Eskalationen führen und ist mit Sicherheit nicht pädagogisch durchdacht oder allzu liberal. In meinen Augen ist das aber kein Grund für eine solche Reaktion, denn die 18jährige ist offensichtlich intelligent genug zu verstehen, dass ihre Eltern dies aus Sorge und Liebe verlangen, auch wenn es massiv mit ihren Gefühlen kollidiert.
Die Bilder von ihr beim Prozess lassen mich allerdings zweifeln, ob Gefühle der Verbundenheit wirklich so ein Problem sind.





Zum Schluss das Gute, welches daraus erwuchs. Es gibt noch eine Rachael Cannings bei Facebook und in den social networks. Diese wurde überflutet mit Freundschaftsanfragen aber auch hasserfüllten Nachrichten. Diese junge Frau, deren Bruder unter dem Asperger Syndrom leidet, machte aus der Not eine Tugend und schickte Rundnachrichten an jene auf Rachael verbal prügelnde Menschen, in denen sie erklärte, dass sie die Falsche hätten, aber aus ihrer unangebrachten Wut eine gute Tat des Tages machen könnten und für Autisten Spenden.
So if you woke up this morning thinking "hmm let me message the wrong Rachel Canning and tell her I hope she gets hit by a bus" here's an opportunity to turn your day around with some positivity!”
 Auf diese Weise hatte sie in wenigen Tagen 1000 $ für eine gute Sache gesammelt und vielleicht einigen Menschen vor Augen geführt, wie mies "cyberbulling" ist. Wie ich finde, eine gute Sache.

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