Samstag, 23. Juli 2016

München

Auch wenn es grausame Routine wird: mein Mitgefühl, Beileid und Gebet gilt den Opfern, den Verletzten wie den Getöteten und den Hinterbliebenen und Zeugen. Ich hätte mir gewünscht, dass niemand mehr mit diesem Schrecken konfrontiert, auf solch brutale Weise aus dem Leben oder seinem Gefühl der Sicherheit gerissen wird.
Das wir über euch, wie die vielen Opfer vor euch, nun nicht als die Menschen schreiben und sprechen, die ihr wart und im Fall der Überlebenden hoffentlich so weit es möglich ist wieder sein werdet, bereitet mir ein Gefühl der Schuld. Über euch zu sprechen sollte erstmal bedeuten, eure Namen zu kennen, eure Zukunftsträume, eure Stärken und Schwächen, euren Charakter, Freunde und Familie. Aber das ist nicht möglich. Nicht nur, weil es so viel wäre, sondern vor allem, weil es den Schmerz vergrößern, den Verlust näher an uns bringen würde. Ihr würdet es verdienen.
Möget ihr in Frieden ruhen, so schnell und so weit möglich genesen und Gott stehe uns allen bei. 



Wieder sterben unschuldige Menschen. Neun Leben werden beendet, darunter wie wir nun wissen sechs Jugendliche und Kinder, 14 weitere werden z.T. schwer verletzt, darunter ein 12jähriger Junge.
Ich gebe zu, als Freunde und ich gestern die Meldungen lasen, glaubten wir an einen islamischen Anschlag. Drei mit Langwaffen bewaffnete hieß es - das klang zu sehr nach Paris und zu wenig nach Erfurt oder Winnende.
Auch als dann von einem Einzeltäter mit einer Pistole berichtet wurde, glaubte ich noch an einen islamischen Anschlag. Zu oft in den letzten Monaten und Jahren war es genau so. Man lag bislang nicht falsch mit der Vermutung. Der letzte Amoklauf liegt mehrere Jahre zurück, Breivik und Winnende verschwinden hinter einer Wand anderer Namen des Terrors.
Aber diesmal scheint es, trotz des Migrationshintergrundes des Täters, wirklich ein Amoklauf zu sein. Die Waffe, eine 9mm Glock, hat er sich illegal besorgt und besessen. Nicht "vermutlich", wie es der offensichtlich in den Gesetzen unbelesene Polizeichef in der Stellungsnahme sagte, sondern 100%. Der Täter war 18 Jahre alt. Das Gesetz erlaubt ihm gerade mal unter strengen Auflagen den Umgang mit solchen Waffen auf dem Schießstand. Eine zu besitzen erlaubt und ermöglicht sie nicht. Händler wollen und müssen die polizeiliche Erlaubnis sehen, die erst mit dem Bedürfnis über einen Schützenverein oder einen Jagdschein erworben werden kann. Er erfüllt mit seinem Alter die Mindestbedingungen dafür nicht.
Das sollte ein Polizeichef wissen und darum keine vagen Äußerungen treffen zu sicherem Erkenntnisstand. Wohin hier die Reise geht, steht bereits jetzt fest.

So wie nun alle gescholten werden, die von einem Anschlag muslimischer Terroristen ausgingen und damit "vorschnell urteilten", so sehr wird nun wieder ein Vergleich nach dem anderen mit vorherigen Amokläufen gezogen und am Ende wieder über die legalen Waffen diskutiert werden. Es wird nicht darüber gesprochen werden, wie schlimm es um die Verhältnisse steht, wenn es einem gerade mal 18jährigen gelingt, sich illegal eine Schusswaffe zu besorgen. Die Gesetze sind da - offensichtlich gelingt es nicht, sie umzusetzen.

Worauf sich momentan vor allem gestürzt wird, zumindest scheint es mir so, ist das Verhältnis der Mitschüler des Täters zu ihm. Er wird als Mobbingopfer beschrieben, als jemand der jahrelang frustriert und gedemütigt wurde. Bis er ausrastete. Ob das so war, wird schwer zu beweisen sein.
Letztlich aber hätte man diese Tat, wie die meisten Amoktaten verhindern können. Hinzusehen und einzugreifen, mit Liebe aber auch mit Durchsetzungskraft, bevor es so weit eskaliert, wäre möglich gewesen. Ein junger Mensch, der immer wieder vom Morden spricht, der sich intensiv mit Massenmorden beschäftigt und dies in einem eher lernenden als forschenden Sinn, sollte Alarmglocken läuten, die nicht mit ein paar Gesprächen und einem "so sind sie halt" wieder abgestellt werden.
Ob Columbine, Sandy Hooks, Breivik, der Amokläufer von Kalifornien, Erfurt oder Winnende. Alle hatten psychische Probleme, die nur unter einer dünnen Oberfläche verborgen lagen, aber mittels Videoblogs oder auffälligem Verhalten für die Umgebung sichtbar waren. Eine Gesellschaft in der Eltern es hinnehmen, dass ein Mitschüler ihrem Kind immer und immer wieder mit dem Tod droht sieht nicht genug auf den Menschen oder zögert zu sehr, einzuschreiten, etwas zu unternehmen.

Was bleibt ist: als hätten wir mit Terroristen nicht genug wahnsinnige Mörder. Es laufen nun auch Gestörte herum, welche die Kanäle illegaler Bewaffnung ebenso nutzen können. Schießen ist keine einfache Sache, der junge deutsch-Iraner hat es ohne Ausbildung erstschreckend "gut" gekonnt. Das er nicht sofort gestoppt wurde, dass die Zahl der Opfer nicht kleiner gehalten werden konnte, dass die Streife die ihn früh stellte ihn dann aus den Augen verloren hat, dass so viele völlig falsche Meldungen rumgingen, dass die Medien und Zeugen pietätlos auf Verletzte und Leichen mit ihren Kameras und Handys hielten... all das liegt neben Angst, Mitleid und Wut in der Luft. Aber das es mehr davon geben könnte, dass wir es nicht schaffen wenigstens diese eine Bedrohung abzustellen, das ist das größte Problem - nach dem Verlust dieser Mitmenschen.


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