Freitag, 15. Juli 2016

Wieder und wieder und wieder - kranker Terror, kranke Gesellschaft

Natürlich ist es wieder passiert. Wer wirklich davon überrascht ist, der muss so naiv sein zu glauben, dass sich mit unserer bisherigen Verhaltens- und Vorgehensweise irgendetwas ändern oder auf Dauer verhindern lässt.
Und wieder hat es Frankreich getroffen. Diesmal fällt es sogar unseren Medien auf. Wenn auch die FAZ scheinbar mit einem Gedächtnis in der Größe eines Reiskornes gesegnet ist und die Liste erst 2015 beginnt.
Die Tat macht mich betroffen, ängstlich, wütend, mitleidig. Und es ist diese ständige Wiederholung, die mich zermürbt - so unbedeutend dies angesichts des Leides in Nizza und bei den Familien ist.

1. Heuchelei
Mitleid ist ein Wort, dass sich schnell in den Mund oder auf die Finger nehmen lässt. Ich glaube den Journalisten und Politikern nicht und auch den meisten Organisationen und Einzelpersonen nicht. Selbst jene, die vielleicht Mitleid bekommen, wenn sie das Leid anderer erleben, bleiben in Wirklichkeit eher unberührt von dem, was nun in den Medien so detailliert und doch so distanziert berichtet wird.
Alle jene würde ich gerne zwingen, sich das Video anzusehen, welches die Opfer unmittelbar nach der Tat zeigt. Eine Strasse voller Toter und Verletzter. Diese Worte sind bildlich, geben aber nicht wieder, was man zu sehen bekommt, was die Menschen erlebten und eben durchlitten.
Es ist nicht wie in den Filmen. Da liegen nicht einfach Menschen und sind still, atmen nicht mehr und das ist es. Da liegen Menschen, ihre Gliedmaßen sind zerfetzt und liegen in blutigen Klumpen um die ehemaligen Besitzer. Da zucken, stöhnen, schreien Sterbene und Verletzte. Leises Weinen, als wollten diejenigen, die da Tränen vergießen niemand stören, bis man registiert, dass es Verletzte, vielleicht eben auch gerade Sterbende sind. Kleine Kinder sind im Hintergrund in Agonie, Panik und Verzweiflung zu hören. Sie schreien und weinen ebenfalls und man hofft und betet, dass sie nicht zu den Opfern zählen.
Dieses Video MACHT betroffen, selbst wenn man sich eine Distanz angewöhnt hat. Es sich anzusehen, bevor man eines der üblichen Kondolenzschreiben aufsetzt oder eine Betroffenheitsrede schwingt, in denen von "Bedauern" und "Opfern" die Rede ist, nur um direkt anzuhängen, dass man "nicht überreagieren" solle oder trotzdem "differenzieren" müsse.
Hier ein Link zu einem Video. Wer sich oben durchgelesen hat, weiß jetzt wohl, ob er es sich ansehen will und kann oder nicht. Link zum Video - clicken auf eigene Verantwortung.


Andere Videos zeigen, wie die Menschenmenge erst kurz von einem Unfall ausgeht - um dann das sich schnell wiederholende Geräusch auftreffender Körper richtig einzuordnen und in Panik zu verfallen.

 2. Ignoranz und Ablenkung
Statt sich nun aber allen Vorgängen der letzten Jahre zu stellen und rational zusammen zu zählen, wird wieder spekuliert oder ignoriert. So kommt die FAZ, nachdem sie darauf verwies, dass Kritiker die Sicherheitsvorkehrungen Frankreichs für zu lasch hielten, zum Schluss, dass es die hohe Zahl an Radikalen ist, die aus dem Irak-Syrienkonflikt zurückgekommen sind.
Das diese "Rückkehrer" überhaupt erst aus Frankreich aufgebrochen sind ist scheinbar nicht so problematisch, ebensowenig wie die hohe Zahl an Funden während der massiven Durchsuchungen in der Folge des Anschlages vom November. Die Zahlen, die da kursieren sind erschreckend hoch und machen dem Begriff "Minderheit" keine große Ehre.

Die Sicherheitsvorkehrungen zu kritisieren ist legitim - aber geht am Kern des Problems vorbei und will nur so wirken, als ginge es um die Sicherheit der Menschen. Frankreich unternimmt deutlich mehr als jedes andere europäische Land im Kampf gegen den Terror und im Versuch den Islamismus in seinen Grenzen zu stoppen. (Ich erinnere bspw. an die peinliche Nachahmung eines Videos aus den USA, welches England als "Vorbereitung" verkaufte.) Der Ausnahmezustand wurde verhängt, das Militär ist im inneren im Einsatz, die Polizei hat mehrere Sonderkomissionen und Abteilungen und schiebt einen riesigen Berg an Überstunden und Sonderleistungen. Gleichzeitig schrumpft auch ihr Personal.
Sowohl das Militär als auch die Polizei haben Verluste im Kampf gegen Terror zu beklagen. Mohammed Merah tötete 2012 mehrere Soldaten und während des Angriffes auf Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt wurden Beamte getötet, verletzt und beschossen.
Die Kommunikation mag fehlerhaft sein - aber angesichts der starken Einschränkungen, welche gesellschaftliche und juristische Richtlinien den Behörden vorgeben ist die Kritik angesichts der immer wieder aktiv werdenden Terroristen auf den Überwachungslisten lächerlich. Kein Staat mit diesen Einschränkungen kann auf Dauer tausende Verdächtiger rund um die Uhr im Auge behalten. Stichproben und, so man sie mitbekommt, ein genauerer Blick bei Auffälligkeiten - mehr kann ein solcher Staat nicht unternehmen. Alles andere überfordert seine Kräfte und überschreitet die Kompetenzen. Man erinnere sich an die hierzulande geführten Diskussionen um die Dauerüberwachung von Kinderschändern und Vergewaltigern, welche vorzeitig entlassen werden oder die Datenschutzdebatten. Das Burka-Verbot, essentiell zur Personenerkennung und Vermeidung unterkannter Transporte und Schleusungen, ist bei uns schwer in der Kritik und wird in Frankreich nur an wenigen Orten de facto durchgesetzt. Es fehlen sowohl Mittel als auch gesellschaftlicher Rückhalt und Wille.

Und wenn dann die Haltung von Politik, Medien und Gesellschaft auch noch aus Verleugnung und Schönrederei besteht, dann ist jede Prävention undenkbar.
So schreibt die FAZ nicht nur "was wir bisher wissen" sondern auch gleich noch "was wir nicht wissen". Es ist für mich immer etwas besonderes, wenn mir Nachrichten erklären, was ich nicht weiß, wissen kann oder darf.
Und natürlich steht dort im Absatz des Unwissens nichts über die Bezugsquellen seiner Anscheinswaffen, warum er sich keine Echten besorgte (was in Nizza nach allem was man so hört sehr einfach ist)  oder über seine Kontakte.
Was dort steht:
Bisher ist nichts über das Motiv für die Tat bekannt. Präsident Hollande sagte, das ganze Land sei vom islamistischen Terror bedroht. Ob der Täter einen islamistischen Hintergrund hat, ist aber unklar. Der Mann sei nur durch allgemeine Vergehen zuvor kriminell auffällig gewesen, heißt es in französischen Medien unter Berufung auf Ermittler. Der Mann sei den Geheimdiensten nicht als politisch und islamistisch radikalisiert bekannt gewesen, hieß es weiter. 
3. Verleugnung und Schuldzuweisung
Wie auch bei den vergleichbaren Vorfällen der letzten Jahre (ja, dass Personen mit islamischen Migrationshintergrund in Menschenmengen gefahren sind, kam in den letzten Jahren mehrfach vor, vor allem im Rahmen von Weihnachtsmärkten) wird erstmal in Frage gestellt, ob es einen islamisch-religiösen Hintergrund gibt. Selbst wenn die Täter von mehreren Zeugen laut den bekannten Schlachtruf schreien gehört werden, wurden sie bislang am Ende als "Geisteskrank" bezeichnet.
Es ist wohl die Wahl des Mordwerkzeuges, die unsere Politiker und Medienschaffenden dazu bewegt, hier anders zu urteilen, als bei Akten mit Schusswaffen und Sprengstoff.
Angesichts der erfolgreich geschürten Angst vor Schusswaffen wäre eine Panik angesichts von Millionen von Fahrzeugen die spielend leicht in die Hände zu bekommen sind nicht völlig auszuschließen.
Und 84 Tote, 50 Schwerverletzte, dutzende weiterer Verletzte - das ist ein überaus erfolgreicher Anschlag, der sich angesichts des massiven Aufgebotes im November als Fanal herausstellen könnte. Bislang tröstete man sich damit, dass automatische Waffen und Sprengstoff angeblich nicht so leicht zu bekommen wären, was nicht nur falsch ist sondern sich auch als unnötig entpuppt.
Die Terroristen mussten damit umgehen, trainiert sein. Ein Plan musste erarbeitet werden.
Das dies alles nicht so ist, wurde nun bewiesen.
Jedenfalls, wenn die Menschen darüber nachdenken. Sich ein Fahrzeug zu besorgen und in eine Menge zu rasen, jedes Kind kann das. Ganz spontan.
Die EU wird vermutlich in Kürze das europäische Waffenrecht verschärfen. Die Novelle wurde nach den Anschlägen vom November forciert (sie war bereits in Vorbereitung) und trifft ausschließlich gesetzestreue Bürger. Sammler, Jäger und Sportschützen. Nicht ein Terrorist wird davon beinträchtigt werden, nicht eine der benutzten Waffen wäre so von der Nutzung während der Teilnahme betroffen - sie waren bereits illegal. Aber man kann damit die Waffen und nicht die Menschen oder ihre Religion zur Verantwortung ziehen und zeigen, dass man etwas unternimmt.
Selbst die zuständigen Kammern der EU haben die Novelle als unsinnig und irreführend abgelehnt - aber die Vertreter der Linken, die Sozialisten und Grünen Parteien aus Frankreich, England, Italien und den Niederlanden haben es trotzdem durchgesetzt, dass die Überarbeitung fast durch ist.
Aktionismus und Ablenkung. Beruhigungsmittel und ein Wollknäuel für die Bevölkerung. Und diese schluckt die Pille und spielt mit.
In Nizza war es ein LKW und es war angeblich ein mutiger Mann, der versuchte den LKW zu stoppen, der schließlich den Terroristen Mohamed Lahouaiej Bouhlel zum anhalten bewegte und der Polizei den Zugriff durch massierten Beschuss ermöglichte.
 
Statt also zu fragen: was können wir tun, damit nicht bald wieder unschuldige Menschen ihr Leben verlieren, ihre Angehörigen, ihre Gesundheit, debattieren wir lieber wieder darüber, womit dies ja alles auf keinen Fall etwas zu tun hat und das man auch nicht verallgemeinern dürfe.
Wir haben Angst davor, die Rechte einer bestimmten Minderheit einzuschränken.Wir haben Angst vor einer Eskalation nach dem ersten Schritt, was sein könnte und was vielleicht so werden würde, wie es bereits einmal verlief. Und dafür nehmen wir hin, dass die Zustände rapide schlechter werden und Mittlerweile Jahr für Jahr Europäer ihr Leben oder ihre Nächsten verlieren. Wir nehmen nicht nur hin, dass es "no go areas" in unseren Städten gibt, wir demenetieren trotz Verletzten und Videoaufnahmen diese Tatsache. Wir nehmen hin, dass die verletzten Gefühle einer Minderheit unsere Meinungs- und Kunstfreiheit einschränken. Wir nehmen hin, dass im Namen der Toleranz gerade für diese Minderheit Radikale einer anderen Richtung freie Fahrt bekommen, selbst das Gesetz und die Gewalt in die Hand zu nehmen.
Wir nehmen hin, dass wir Milliarden aufwenden müssen, um die Sicherheit bei öffentlichen Veranstaltungen zu gewährleisten. Wir nehmen übergriffe auf andere Minderheiten hin und machen dabei lieber unsere hauseigenen Radikalen dafür verantwortlich.
Vor allem aber nehmen wir die Opfer hin. Wir nehmen hin, dass Menschen aus unserer Mitte herausgerissen werden. Wir sehen zu, wie sie versklavt werden, wenn man sie zu einer Ehe zwingt, die sie nicht wollen in der sie einem Mann hörig sein müssen, den sie nicht kennen und der sie nicht liebt. Wir nehmen hin, dass Zugreisende auf herrenlose Gepäckstücke und merkwürdige Geräusche aus der Zugtoilette achten müssen, um nicht zerfestzt, erschossen oder erstochen zu werden.
Das Besucher eines jüdischen Museums unbeweint erschossen werden können.
Das Das Rockkenzerte Todesfallen unserer demilitarisierten Gesellschaft werden.
Wir lesen, dass über 50 Kinder von einem LKW überfahren wurden, wir lesen, dass zwei kleine Kinder während der OP gestorben sind. Wir bekamen ein Video zu sehen, in welchem ein 8jähriges kleines Mädchen, welches gerade den Tod seiner beiden Brüder und des Vaters miterleben musste von ihrem Peiniger, Mohammed Merah, gequält und terrorisiert wird, bevor er ihr aus nächster Nähe in den Kopf schießt und diese Tat als großes Werk preist - weil sie Jüdin war.
Wir nehmen hin, dass sich ein junger Mann nur durch Videos aufgerufen fühlt, eine Pistole zu greifen, in den Bus von US Militärs zu steigen und diese zu erschießen.
Wir nehmen hin, dass Menschen unter qualen der Kopf abgeschnitten wird und behaupten entschuldigend, dies sei "Köpfen wie im Mittelalter".

Es gibt diesen berühmten Absatz. "Als sie die Kommunisten abholten, habe ich geschwiegen, denn ich war kein Kommunist. Als sie die Juden abholten, habe ich geschwiegen, denn ich war kein Jude."
Der Absatz endet mit dem Verweis, dass keiner mehr da war, als der Erzähler selbst abgeholt wurde.
Seit jene Weisheit verfasst wurde, sind wir einen Schritt weiter. Menschen glauben, "nicht zu schweigen", wenn sie jede Kritik am Islam, jedes kritische oder auch harsche Wort in Richtung der Muslime mit scharfem Aktionismus ablehnen.
Dabei schweigen sie dabei nur zu dem, was Menschenleben kostet. Bis es irgendwann sie selbst trifft. Und manchmal selbst dann.
Das macht mich krank.


Wir müssen einen Weg finden, uns zu schützen. Und das geht nur, wenn wir offen und ehrlich diskutieren. Wenn wir unser Utopiedenken als solches erkennen und einordnen. Das dabei Grenzen erhalten bleiben, steht ebenso außer Frage. Sicherheit und Freiheit stehen sich öfter unversöhnlich gegenüber. Aber Sicherheit UND Freiheit zu opfern, das ist so unglaublich, dass es sich selbst Orwell nicht ausdenken hätte können.

2 Kommentare:

  1. Ihr letzter Abschnitt verkennt aus meiner Sicht eins: Sie und ich und ein paar hundert, vielleicht wenige tausen mögen das so seheh.

    Aber wir sind eine zu vernachlässigende Minderheit. Mit Kahane ist die Stasi back, mit der Errichtung der Hate speech Gesetzgebung können Sie und ich und alle die sich in div. Blogs rumtreiben mit Leichtigkeit zur Zielscheibe von Geldstrafen und beruflicher Erledigung werden.

    Und Fakt ist: Das ist dem Großteil de Menschen da draußen egal, egal, egal.

    Gebot der Stunde scheint mir zu sein, Gold, flexible Aktiendepots und Cash anzusammeln, hier dürfte es demnächst ziemlich unangenehm werden.

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    1. Ich muss zugeben, dass der letzte Absatz rein von der Hoffnung getrieben ist. Ich sehe die Tendenzen ähnlich - auch wenn es sehr dystopisch-paranoid klingt.
      Wenn aber keine Hoffnung mehr da ist, dann naht die Verzweiflung. Das will und kann ich meiner Familie und meinen Freunden nicht antun.
      Sollte es so weit kommen, hoffe ich (ha, schon wieder die Hoffnung) den Zeitpunkt nicht zu verpassen, an dem es heisst: Koffer packen. Die Isle of Tears hat ja jenen Zuflucht gegeben, die rechtzeitig gingen...

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