Sie ist die Oberbürgermeisterin der Stadt am Rhein, die auf ihren Dom so unendlich stolz ist - nur nicht auf das, was damit eigentlich verbunden wird. Köln. Ich lebe nicht allzu weit entfernt von dieser Stadt und habe mich als junger Mann durchaus vom Lokalpatriotismus und dem damit verbundenen "wir sind die besseren Guten" anstecken lassen. Mittlerweile halte ich die Stadt und ihre offiziellen Vertreter (kulturell wie politisch) für einen ziemlich verheuchelten und verlogenen Haufen, denen die meisten Menschen schlicht am Allerwertesten vorbei gehen. Also nicht viel anders als bspw. in Hamburg oder Bremen, nur eben mit einem anderen Markendesign.
Die "neue" Oberbürgermeisterin aber schiesst in vielerlei Hinsicht den Vogel ab. Arrogant, moralisch und informativ selbstüberschätzt, schuldabwälzend uvm. durfte man ihren Worten entnehmen.
Das Interview selbst überschlägt sich in seinem Verständnis und seiner Zurückhaltung. Man kann den Fragen und Kommentaren des Interviewers regelrecht ansehen, wie sie vorsichtig nach den alten Verletzungen tasten um sie ja nicht wirklich zu berühren. Da muss kritischer Journalismus gegenüber einem Politiker eben zurückstehen. Ist ja nicht Schäuble, der da im Rollstuhl vor einem sitzt, oder die Familie von Arbeitgebervertretern, die von der RAF ermordet wurden...
Ich starte daher mit der zweiten Frage, denn die erste ist lediglich ätzend und die Antwort realitätsfern. Also gleich auf zur großen Fehleinschätzung:
Wer hat Ihnen mitgeteilt, dass Sie die Wahl gewonnen hatten?
Es war an dem Tag, als ich aus dem künstlichen Koma erwacht war. Mein Mann sagte: „Die Mehrheit der Kölner Wähler hat entschieden, dass du Oberbürgermeisterin bist.“
Die Mehrheit der Kölner Wähler also. Bei 40,28 % der abgegebenen Stimmen der Wähler sollte man das genauer umschreiben, denn wenn weniger als die Hälfte der WahlBERECHTIGTEN zur Wahl geht, dann ist schon von Bedeutung, dass es von diesen ohnehin zu wenigen Bürgern dann auch etwa die Hälfte waren, nämlich 52,66%. In einem Land und einer politischen Landschaft, die durchaus in der Lage ist dem demokratisch gewählten US Präsidenten Trump die Gratulation und Anerkennung zu verweigern, bei einem deutlichen Sieg bei einer Wahlbeteiligung von ca. 59% - also nahezu 20% mehr als in Köln, ist es verwunderlich, dass dies nicht zur Debatte gestellt wird und so ein Satz unkritisch propagiert wird.
Auch nicht, dass es eine "Regenbogenkoalition" hinter ihr gab, der bis auf die SPD alle großen Parteien und einige kleine angehörten. Der Vermerk, dass es lediglich einen ernsthaften Gegenkandidaten in einer pluralistischen Politklandschaft gab, wäre nicht unwichtig gewesen in der Ergebnisübersicht. Wenn die Kandidatin fast aller Parteien weniger als ein Viertel der Kölner möglichen Stimmen erhält und dann als "Mehrheitsvertreterin" gefeiert wird, sich selbst feiert, dann sollte man ernsthaft den Gesundheitszustand unserer Demokratie prüfen.
Ihr erster Satz nach dem Aufwachen soll aber zu einem Mediziner gelautet haben:
„Es ist schwer, angegriffen zu werden.“Ahja. Komisch, dass sie dies nicht dazu bewogen hat, anders auf die Opfer der Silvesternacht einzugehen. Während sie von einem einzelnen Rechtsradikalen und scheinbar angegriffen wurde.... aber gut, dazu später. Weiter im Interview. Eine absolut irrelevante, rein persönliche Frage.
Haben Sie damals geglaubt, dass Sie Ihr Amt jemals antreten könnten?Und warum auch nicht. Der Mann hatte ihr einen Schnitt in die Luftröhre zugefügt. Eine lebensgefährliche, schwere Verletzung, ein klarer Versuch, sie zu ermorden. Richtig, rechtzeitig und kompetent versorgt aber mit dem offensichtlichen Ergebnis behandelbar.
Ich habe den Ärzten geglaubt. (...)
Immerhin einen Monat später war sie wieder auf den Beinen und nahm Termine wahr. Kramen Sie, werter Leser, mal im eigenen Verletzungsschatz oder dem von Freunden und Bekannten und schauen Sie, wie lang dort schwere Verletzungen außer Gefecht setzten und wie lange sie ihre Schatten warfen.
Es folgen weitere hochbrisante Fragen:
Hat man Sie im vergangenen Jahr oft gefragt, welche Erinnerungen Sie an das Attentat haben?Ich spare mir den Versuch, alle Interviews in Radio, Zeitung und TV zu durchforsten um die erste Behauptung zu untersuchen. Ich erinnere mich daran, dass sie vor Gericht und damit vor versammelter Journalistenmannschaft aussagte, was ihrer Erinnerung entsprechend passierte. Dümmer kann also weder die Frage noch die Antwort ausfallen.
Ehrlich gesagt: Das hat mich fast niemand gefragt. Sie sind einer der Ersten, der das fragt. Mir erzählen immer nur alle, wie sie den Vormittag erlebt haben, wo sie die Nachricht von dem Attentat auf mich erhalten haben und so weiter. Das ist sicher ganz lieb und nett gemeint. Der Attentäter griff blitzschnell an, es tat noch nicht einmal besonders weh. Was so unfassbar war, war dieses entwertende Gefühl, abgestochen zu werden.
Der letzte Satz aber macht mich ehrlich fassungslos. "Entwertende Gefühl"? Sie, die mit ihren Reaktionen und Kommentaren zur Silvesternacht einen Tiefpunkt neudeutscher Politik formulierte, behauptet, die "so schnell" geschehene Tat sei ihr aufgrund der Tatwaffe besonders erniedrigend vorgekommen?
Im Zeitalter des IS, der regelmäßig in Videos demonstriert, wie er Gefangene erst erniedrigt und quält, bevor er sie, meist grausam und blutig, oft unendlich langsam umbringt. Da ist auch zu sehen, was unsere Schreiberzunft gerne als "Köpfen" bezeichnet. Taschenmesserbewährte Meuchler, die minutenlang am Hals ihrer Opfer herumsäbeln. Das ist Frau Reker mit Sicherheit bekannt.
Was es bedeutet, auf offener Strasse mit einem Messer attackiert zu werden ist auch in Köln nicht neu.
Berühmt wurde die Notwehr eines jungen Mannes mit Migrationshintergrund gegen Räuber mit Migrationshintergrund, der zu wochenlangen Protesten und Morddrohungen führte. Natürlich durch Landsleute des in Notwehr getöteten Räubers.
2009/2010 war auch sonst ein Jahr des Messers in Köln. Ehrenmorde und Familiendramen (die beiden sind nicht identisch miteinander sondern sogar im Motiv mitunter gegensätzlich) gab es genügend. Viele davon schafften es in der Hauptstadt des WDR nicht mal in die Landesnachrichten.
Manche Opfer überlebten wie Frau Reker. Um dann vor Gericht nicht die gleiche Unterstützung zu erfahren. Andere werden wahrhaftig "abgestochen". Minutenlang und ohne Hilfe von beherzten Passanten. Sogar vor den Augen der eigenen Kinder.
Erdal stach seine Frau und die Mutter seiner Kinder Ayse Ende Juli 2009 in der Ostheimer Strasse ab. Immerhin der Express berichtete darüber. Einer Frau Reker blieb das wohl nicht im Gedächtnis oder besonderer Aufmerksamkeit bedürftig.
Und Ostheim ist auch kurz vor dem Prozess von Frau Reker Schauplatz einer Tat fast identisch zu dem Angriff auf sie gewesen - nur erneut ohne die Aufmerksamkeit, das Mitgefühl, den Niederschlag. Dafür mit einer Toten.
Gleiches galt im Januar für den Mord zweier Brüder an ihrer Schwester - ein Flüchtlingsehrendrama in Deutschland. Zwar nicht in Köln, aber immerhin bundesweit in den Medien.
Frau Rekers Angreifer stach ein einziges Mal zu, wie er vor Gericht sagte nicht in Tötungsabsicht (was ich ihm nicht glaube). Sie sagte aus, sie habe es nahezu nicht mitbekommen. Am Ende will sie sich "abgestochen" fühlen - und verwehrt nur zwei Monate später den Opfern von Massenvergewaltigung und -belästigung jegliche Sympathie und Hilfe...
Mir fällt es schwer, diese Frau in jenem Amt anders als einen Ausdruck politischer Geisteskrankheit zu sehen.
Der Interviewer sieht dies anders.
Eine schlimmere Entwertung kann man sich kaum vorstellen...Man muss im Land von Regenbogen und Heidschnuckenteitei leben, um solch einen devoten und schleimigen Kommentar glauben zu können. Wirklich nicht? Wie wäre es mit Menschen, die von den eigenen Eltern von Kindesbeinen an für Sex verkauft worden zu sein? Von Menschen die in orangfarbenen Gefangenenanzügen wie Hunde aus Käfigen geführt zu werden um sie dann kopfüber aufzuhängen und ihnen die Kehlen auch wirklich aufzuschneiden, damit sie wie Schlachtvieh ausbluten. Wie wäre es mit Sklavenmärkten, auf denen Frauen erst zusehen müssen, wie ihre minderjährigen Töchter nackt vorgeführt und von geifernden Vergewaltigern für unsägliche Qualen ersteigert werden, nur um anschließend für einen viel niedrigeren Preis dem gleichen Schicksal anheim gegeben zu werden. Wie steht es um Frauen, die miterleben mussten, wie ihre Schwester von der eigenen Familie zum Tode verurteilt wird, weil sie den falschen Mann liebt. Um dann erfahren zu dürfen, dass die gleichen Prediger von Toleranz und Mitgefühl ihnen nicht glauben wollen?
Entschuldigung, aber in welcher Welt darf ein seriöser Journalist so tief sinken, ohne dafür prompt seinen Artikel im Papierkorb landen zu sehen?
Immerhin hier reagiert Frau Reker richtig.
Da bin ich mir gar nicht so sicher. Ich weiß von einer Stewardess, die hat eineinhalb Stunden in einer Flugzeugtoilette mit einem Attentäter verbringen müssen, der sie mit dem Tod bedrohte. Das war bestimmt schlimmer als bei mir.
Das Beispiel drängt sich mir nicht direkt auf, aber immerhin. Leider ist der einzige für sie relevante Faktor die Zeit. Nicht, dass ich ihr als EIN Faktor nicht zustimmen würde, aber längst nicht der einzige.
Sie wurden aber körperlich verletzt, Ihr Leben hing an einem seidenen Faden.Danach feiert sie sich zudem. Und trägt zu dem bei, was doch angeblich nicht mehr geht: Fake News.
Aber bei mir ging eben alles schnell.
Ich habe das Bewusstsein nicht verloren, ich wusste, wie ich mich zu verhalten habe: Ich brachte mich in die stabile Seitenlage und versuchte, die Blutung in den Griff zu bekommen, indem ich den Finger in die Wunde am Hals steckte. So habe ich auf den Rettungswagen gewartet, während Wahlhelfer den Attentäter in Schach hielten.
Sie blieb scheinbar ruhig. Das gestehe ich ihr zu und finde dies bewundernswert. Auch der Finger in der Wunde ist eine richtige Maßnahme. Die stabile Seitenlage sollte in dem Artikel einen Einschub von einem Rettungsarzt erhalten. Ich kenne das aus den Lehrmaßnahmen für Rettungshelfer im Kampfeinsatz anders. Deutlich anders. Aber gut.
Wahlhelfer sind ihr wirklich zu Hilfe geeilt. Der Täter verletzte vier von ihnen. (Zwei FDP Politikerinnen, eine von der CDU und einen Grünen.) Danach, so berichteten die Zeugen, stellte er sich in einiger Entfernung an die Ampel und ließ sich von einem Bundespolizisten außer Dienst festhalten, bis die Polizei eintraf. Vor Gericht wurde bestätigt, dass keine Gegenwehr mehr erfolgte und der Täter entschuldigte sich bei den vier anderen Betroffenen. "Nur" Frau Reker sei sein Ziel gewesen.
Es so darzustellen, als sei der Attentäter auf ein Blutbad ausgewesen kann ich, da offensichtlich wider besseren Wissens getätigt nur auf zwei mögliche Hintergründe schieben: 1. Frau Reker hat Gedächtnisprobleme oder 2. es geht um ein gezieltes Narrativ.
Was mir wahrscheinlicher erscheint dürfte niemanden überraschen.
Als Vergleich lese man bitte die Berichterstattung zum Mord am britischen Soldaten Lee Rigby durch zwei islamistische Konvertiten mit Migrationshintergrund. Da ging es um Fakten - in der britischen Presse. Bei uns ging es um möglichst wenig Aufsehen.
Weiter mit der Selbstüberschätzung.
Wie konnten Sie so unglaublich besonnen sein?
Ich behalte in schwierigen Situationen die Nerven. Und von Arbeitsunfällen verstehe ich einiges, weil ich zu Beginn meiner beruflichen Karriere bei einer Berufsgenossenschaft gearbeitet habe.
Ihre Nervenstärke hat sie im Januar 2016 nicht unbedingt bewiesen - oder einen Funken Führungsstärke...
Ihre Erfahrungen mit Arbeitsunfällen würde ich gerne vertiefen, fand aber keine klaren Informationen.
Es folgt ihr Selbstlob der Besonnenheit und der Hinweis, dass sie ohne das Bewusststein zu behalten verstorben wäre - was den Reporter zur Frage bewegt, ob das nicht auch gelte, wenn sie sich nicht selbst "erstversorgt" hätte. Ich war nicht dabei, habe nur unzureichende Informationen und kein exaktes Protokoll der Ereignisse. Laut verschiedener Zeugen sei sofort eine Ärztin hinzugeilt und habe sie versorgt. Ob diese nicht rechtzeitig bei ihr gewesen sei ohne den Finger in der Wunde weiß ich natürlich nicht. Ich spekuliere, wie der Journalist und behaupte: da die Ader nicht verletzt war ging es um Sauerstoff. Da dürfte die Ärztin durchaus die Lorbeeren als Lebensretterin zustehen - aber auch das würde nicht ins heroische Bild passen.
Und nur nochmal: überhaupt ruhig und überlegt zu handeln ist bewundernswert. Hätte Frau Reker es dabei belassen, würde ich ihr Anerkennung zollen.
Ich überspringe aus Platzgründen weite Teile des folgenden Austauschs von Bewunderung. Immerhin steckte einiges Interessantes über ihre familiäre Geschichte darin.
Was relativiert eine so extreme Gewalterfahrung im Leben?Eine Behauptung, die jene Pressekonferenz unmittelbar nach bekanntwerden der Silvestervorgänge und jene nach dem Krisentreffen eindeutig widerlegen. Sie nahm in pauschalisierenden Behauptungen, lange vor irgendeinem Untersuchungsergebnis und ohne persönlichen Einblick in die vorliegenden Daten Aussagen vor wie
Man lernt, noch klarer das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Ich rege mich noch viel weniger über Sachen auf als früher, über Behauptungen, Schuldzuweisungen. Der Attentäter hatte die Demokratie zum Ziel. Ich war nur zufällig das Ziel.
Es gibt keinen Hinweis, dass es sich um Menschen handelt, die hier in Köln Unterkunft als Flüchtlinge bezogen habenOb der Attentäter "die Demokratie" zum Ziel hatte, wenn er immer wieder betont, es sei ihm gezielt um Frau Reker und niemanden sonst gegangen, dass er sie einer bestimmten Politik beschuldigte, sie als Exremistin bezeichnete - das bezweifle ich ebenfalls. Aber es klingt natürlich viel vollmundiger und man stellt sich in ein bedeutenderes Licht.
Ab hier wird es aber wahrlich unerträglich. So ist Frau Reker nun nicht mehr nur medizinisch auf dem Niveau des Rettungsarztes sondern auch historisch jedem Fachmann "weit voraus".
Woher kommt diese Enthemmung, die in der Gesellschaft Raum greift?Das ist mal wieder eine der Behauptungen, die ein kritischer Journalist nicht durchgehen lassen sollte, aber trotzdem mitnimmt, weil das Bild in die eigene Anschauung trifft.
Es war immer so in der Geschichte, dass auf Worte und Parolen Taten gefolgt sind. Bei der Verleihung des Böll-Preises sagte Herta Müller: „Wenn Hassparolen wie ‚Volksverräter‘ oder ‚Lügenpresse‘ spazieren gehen, dann geht auch irgendwann ein Messer spazieren.“
Nur ein Beispiel: das Wort Lügenpresse wurde in den Zeiten der Hippies und Kommunen in vielen Demos gegen BILD und Co. auf Demos und sit ins benutzt. Photos dazu finden sich mittlerweile einige im Netz. Waren diese Demos und die 68er Bewegung darum Bedrohungen für Demokratie und Gesellschaft oder gar den Staat an sich? Ist die 68er Bewegung darum insgesamt verantwortlich für die RAF? Ist womöglich Adorno am Ende....
Das sind, und es tut mir leid da einer Literaturnobelpreisträgerin so etwas an den Kopf zu werfen, simplifizierende Versuche der Pauschalisierung. Hassparolen führen eben nicht immer zur Gewalt und zu Anschlägen. Freie Meinungsäußerung kann durchaus unschön und beleidigend und unterstellend sein, polemisch, rabulistisch und viele Dinge mehr. Auch Internettrolle gehören dazu. In einer Zivilgesellschaft führt dies zu Diskurs - nicht zu Mord und Totschlag. Es ist faszinierend, dass die gleichen Menschen, die behaupten, man könne Drogenkonsum nicht verbieten weil es immer Konsumenten gäbe auf der anderen Seite behaupten, Menschen würden irgendwann alle Mörder und Schwerverbrecher aus ihrer Mitte loswerden können, wenn man nur die freie Rede einschränken würde...
Ich bin kein Böll-Fachmann, nicht mal ein freudiger Leser, aber ausgerechnet diesen Preis mit so einer Botschaft zu verbinden halte ich für einen Grund auf verdächtige Geräusche aus seinem Grab zu lauschen.
Unfreiwillig entlarvt der Journalist denn auch das Weltbild oder eher das Menschenbild der Bürgermeisterin.
Zur obigen Frage fügt sie an:
Einer der schlimmsten Tage seit dem Attentat war für mich, als im Juni die Labour-Abgeordnete Jo Cox ermordet wurde. Da bin ich so früh wie möglich nach Hause gegangen, habe mich ins Bett gelegt. Das hat mich wirklich umgehauen.Ein Mord in England durch einen Rechtsradikalen oder Geisteskranken (oder beides) an einer Politikerin hat sie also in die Knie gezwungen. So weit, so verständlich für mich. Was folgt ist der Grund für meine Galle im Mund:
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von dem mutmaßlich islamistischen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin gehört haben?
Dieser Schock ist uns allen in die Glieder gefahren. Allen, die für die Sicherheit in Metropolen verantwortlich sind, war die abstrakte Gefährdungslage bekannt. Trotzdem war ich bestürzt, dass es zu diesem schweren Anschlag gekommen ist. Er hätte auch Köln treffen können. Ich bin froh, dass die Kölner Polizei sofort sichtbare Maßnahmen ergriffen hat. Große Zufahrtsstraßen zu den Weihnachtsmärkten wurden mit Polizeifahrzeugen verstellt, an den Zugängen Beamte mit Maschinenpistolen postiert. Mich erinnert das ein bisschen an Paris.
Satz für Satz beschämend.
Zuerst eine Phrase: "Dieser Schock ist uns allen in die Glieder gefahren". Mehr als eine Phrase ist das nicht. Und in Relation zur vorhergehenden Reaktion auf einen einzelnen Mord eine ausgesprochen milde Reaktion, die sie im vereinnahmenden Plural wiedergibt. "uns allen". Da war nichts von persönlicher Betroffenheit.
Dann die falsche Verwendung von Worten und Informationen.
"Allen, die für die Sicherheit in Metropolen verantwortlich sind, war die abstrakte Gefährdungslage bekannt." Sie ist die Bürgermeisterin. Sicherheit gehört entweder nicht zu ihrem Ressort (s. Silvester und ihre Äußerungen damals wie in diesem Interview noch kommend) oder sie übernimmt die Verantwortung voll und ganz - worauf die Frage entsteht, wie sie noch im Amt sein kann.
Zudem war die Gefährdungslage "konkret". Nicht abstrakt. Das haben die Meldungen der letzten Tage herausgestellt. NRW hatte Berlin ganz konkret mit Namen und Daten gewarnt. Die Warnungen des BND vor möglichen Anschlägen war nicht abstrakt. Es handelte sich um klare Hinweise, dass Weihnachtsmärkte zu Zielen erklärt wurden.
Sie sei, eine weitere Phrase, "bestürzt" gewesen - "trotzdem". Das sollte wohl retten, macht es aber schlimmer.
Als "Betroffenheit" auf einen erfolgreichen Anschlag mit mehreren Toten zu reagieren mit einem "es hätte auch uns treffen können" ist bestenfalls unsensibel.
Es ist die Haltung vieler Deutscher. Solange es uns nicht trifft, ist es nicht schlimm.
Die Kölner Polizei zu loben, dass sie "sichtbare Maßnahmen" ergriffen habe ist schon Satire.
NACH einem erfolgreichen Attentat ist eine Reaktion eine Selbstverständlichkeit - und keine gute Arbeit, wenn Sicherheitsmaßnahmen vorher fehlten.
Die Maßnahmen waren zwar "sichtbar", aber alles andere als effektiv. Und damit meine ich nicht nur den durch die Medien gegangen Moment der Peinlichkeit, als ein Photo zwei von ihrer Ausrüstung offensichtlich überforderten Beamtinnen zeigte, die nicht mal ihre Waffen geladen hatten und so einen feuchten Absatz zur Sicherheit beitrugen. Auch das gesamte Konzept war lediglich Show zur Beruhigung der Besucher. Nirgendwo war ausreichend Personal vorhanden (24 Beamte mit Maschinenpistolen...) um einer ernsthaften Attacke gleich welcher Art zu begegnen. Ein Anschlag wie im November in Paris oder ein LKW Anschlag wie in Nizza und Berlin wäre mit ein paar Pollern und solch verstreutem Aufgebot nicht zu begegnen gewesen. Von Selbstmordbombern oder Sprengsätzen wie in Ludwigshafen zu schweigen.
Sollte Frau Reker das Lob also ernst meinen oder gar glauben, dann fehlt ihr der Sinn zur Realität um die Bürger ihrer Stadt wirklich zu vertreten und zu schützen.
Dazu gehöre auch die Anschuldigungen der Beamten gegen ihre Vorgesetzten. Ein "zu martialisches Erscheinungsbild" sei ungewollt gewesen. Ich weiß natürlich nicht, ob das so stimmt. Angesichts der Wahl bspw. zwei körperlich wenig imposante junge Frauen aufzustellen, würden leere Waffen diesem Bild entsprechen. Andererseits kann der Laie in Deutschland den Ladezustand nicht unterscheiden und daraus auch keinen Bedrohungsfaktor ermitteln...
Sei es drum. Anschließend kommt Frau Reker mit dem üblichen "Lebensweise nicht ändern, sonst haben sie ihr Ziel erreicht" Unsinn.
Für die Toten und ihre Familien ist es kein Trost, dass alles so weitergeht, als sei nichts geschehen. Aber das kann die Bürgermeisterin nicht nachvollziehen, ihr Angriff wird so schnell nicht vergessen oder runtergespielt werden. Sie steht permanent im Mittelpunkt.
Sie lobt noch organisierte Aktionen wie die Predigten von Imamen in der Gedächtniskirche und andernorts als "Zeichen der Menschen".
Es sind Zeichen der Politik und jener, die den Tatsache nicht ins Gesicht sehen wollen. Es sind jene, die nie auf den Gedanken kämen zu Fragen, warum keine Priester in Moscheen predigen, wenn das andersrum doch so selbstverständlich passiert.
Statt dessen gehen wir nun zum Abwälzen aller Schuld über. Schon der Journalist lässt dabei wichtige Informationen und Details weg.
Im Schatten des Domes wurden Frauen massenweise von jungen Migranten beraubt und sexuell belästigt. Wann war Ihnen die wahre Dimension des Ereignisses bewusst?Die Vergewaltigungen lieber nicht nennen...
Die Informationslage verdichtete sich ja erst Tage nach dem Ereignis. Das war ein schleppender Prozess.War es nicht. Die Informationen waren da. Die Zeugen und Opfer waren da. Die Beamten waren da. Die Meldungen der Betroffenen in den social networks waren da. "Das System" in Köln hat nur versucht, sie zum schweigen zu bringen. Meldungen in Kommentarbereichen wurden gelöscht. Die Polizei meldete "keine Vorkomnisse", obwohl über Funk wie in den Berichten der Betroffenen ein völlig anderes Bild zu finden war.
Was da "schleppte" waren vertuschende Vertreter der Stadt, Journalisten die ihren Job nicht oder ideologisiert wahrnahmen und eine Bürgermeisterin, die entweder unfähig oder ebenso verbrämt ist, wie jene, die Massenbelästigung, -raub und -vergewaltigung als "nicht erwähnenswert" finden, wenn er nicht von Rechtsradikalen oder Fußballhooligans begangen wird.
In der Pressekonferenz Anfang Januar habe ich das gesagt, was mir zuvor der damalige Polizeipräsident mitgeteilt hatte. So kam auch meine Aussage zustande, dass unter den Tatverdächtigen keine in Köln untergebrachten Flüchtlinge seien. Daraus machten dann die meisten Medien „Keine Flüchtlinge unter den Tatverdächtigen“Zuerst ist natürlich nicht sie schuld, sondern der mittlerweile im Ruhestand befindliche ehemalige Polizeichef. Niemand weist darauf hin, dass sie die Daten selbst hätte prüfen können und bei einem so außergewöhnlichen Fall vor einer so deutlichen Stellungsnahme in einem ihr so wichtigen Sachverhalt (Flüchtlinge) das auch hätte tun sollen. So ist ein Sündenbock für ihre Fehler gefunden, der ohnehin schon maximal möglich bestraft ist - für seinen Mist. Nicht maximal notwendig - nur möglich.
Wer Reker kennt, der hat hier ein déjà vu. 2014, vor ziemlich genau zwei Jahren, ging sie ihren jetzigen "guten Freund" Kardinal Woelki scharf an. Der hatte die Unterbringung der Flüchtlinge damals kritisiert (noch vor der eigenlichen Massenankunft) - woraufhin die zuständige Reker zurückschoß. Die Kirche habe nicht geliefert, was sie versprochen habe, und darum nicht das Recht zu solcher Kritik, so der Tenor. Das die von der Kirche angebotenene Immobilien von ihr als "unzumutbar" bewertet wurden, weil sie nicht zentral lagen ging dabei irgendwie nicht in einer Gegenkritik vor die Jury...
Danach folgt im Interview die Geschichte von der verzerrten Widergabe durch die Presse. So habe sie das nicht gesagt mit den Flüchtlingen, habe sie nicht in Generalschutz nehmen wollen.
Nur gibt es eine Reihe von Interviews und Äußerungen, in denen genau das passiert. So ein Interview mit Klaus Kleber vom ZDF.
Auch bei der Sache mit der „Armlänge Abstand“ haben manche mich schlicht missverstehen wollen.Jaja, das gewollte Missverständnis. Die Pressekonfernz gibt es bei youtube in voller Länge und mit einigen Kommentaren dazu. Da gab es nichts falsch zu verstehen. Wer in einer Konferenz zu den Ereignissen der Silvesternacht solch einen Mist verzapft ist entweder zu dämlich für die Aufgabe oder versucht mit Nebelkerzen die Sache in eine andere Richtung zu lenken.
Widerlich verlogen finde ich dann noch:
Die Diskussion über Flüchtlinge ist offener geworden. Und offene Diskussionen schaden nie. Sie dürfen aber nicht abgleiten und dazu führen, dass man die Gesamtheit der Flüchtlinge dafür verantwortlich macht, was ein kleiner Teil begangen hat. Interessant ist auch, dass das Ereignis bei einigen ganz wesentlich dazu beigetragen hat, dass Videoüberwachung und Polizeipräsenz kein Teufelszeug, sondern eine Notwendigkeit sind.Nicht nur, dass sie es war, die im oben genannten ZDF Interview die "Offenheit", welche sie jetzt lobt, als "nicht zulässig" regelrecht verbieten wollte als es noch nichtmal um die "Gesamtheit der Flüchtlinge" sondern lediglich ihre Präsenz unter den Tätern ging (und wer dem Link um die Woelki- Diskussion folgt weiß, dass Reker auch jene als Flüchtlinge bezeichnet hatte, welche sie dann nach Silvester versucht von diesen abzugrenzen). Sie widerspricht sich selbst, indem sie am Ende pauschalisiert, nachdem sie genau das vorher verteufelte...
Der Rest des Interviews ist belanglose Augenwischerei. Der einzigen kritischen Frage nach Feminstinnen und Sexismus weicht sie aus.
Alles in allem ein Bild der Bürgermeisterin, dass mich eigentlich mehr ans Satire oder Comics der 70er und 80er erinnert, als an die Realität. Wenn der Wahnsinn regiert hilft auch ein Reker Abstand nicht...
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