Dienstag, 22. Oktober 2013

Todenhöfers Unfug hält sich.

Im Jahr 2008 gab Jürgen Todenhöfer, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der CDU, Schriftsteller, "Experte" usw., der Taz ein Interview, in welchem er unter anderem folgenden Absatz unterbrachte:
Es gibt 45 muslimische Länder. Keines von ihnen hat in den letzten 200 Jahren ein westliches Land überfallen. Immer waren wir es, die militärisch angegriffen haben. An den blutigen Kreuzzügen, der Kolonisierung, dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, den furchtbaren Massenvernichtungen unter den chinesischen und den sowjetischen Kommunisten, am Holocaust - an all diesen Verbrechen waren die Muslime nicht beteiligt.
Damals las ich es, lachte kurz aber herzlich über die Widersprüche, den rabulistischen Aufbau und die mangelhafte Recherche und vergaß es wieder. In den letzten drei Tagen begegnete mir der Absatz aber gleich mehrere Male. Mitunter hält sich Unrat am längsten.
Daher nun eine kleine Kritik.
Ich verstehe die Kernaussage Todenhöfers wie folgt: so viele islamische Staaten haben so lange schon Frieden gehalten und sich damit so viel anders verhalten als wir.
Das Argument wird eingeleitet mit dem Hinweis auf die Zahl muslimischer Länder derzeit. Lassen wir beiseite, dass die Zahl selbst fraglich ist, je nachdem wie man "islamischer Staat" bewertet, so entsteht ein klarer Bezug auf die aktuelle Zeit und eine ganz konkrete, nicht kleine Zahl.
Der nächste Satz bereits bezieht sich auf die "letzten 200 Jahre".  Ein klar umrißener Zeitraum.
In diesem Zeitraum hat ein großer Teil der heutigen islamischen Staaten aber gar nicht existiert. Ein kurzer Blick auf eine Weltkarte der Jahre 1800 - 1830 zeigt uns, dass es damals ein riesiges Land namens "Osmanisches Reich" gab, welches weite Teile der nordafrikanischen Küste und entlang des Nils ebenso beherrschte wie Teile des hinteren Orients. Die darunter fallenden Staaten, wie Türkei, Syrien, Libyen, Ägypten, Sudan etc. gab es nicht, was die Zahl sofort sprunghaft nach unten schnellen lässt und den Eindruck der Aussage verändert.

Das waren aber nicht einzigen Kämpfe und Kriege am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jh.
Auch in der Kernaussage, dass "wir" es "immer" innerhalb seiner 200 Jahre waren, die militärisch angriffen spricht Todenhöfer nicht die Wahrheit.
Das, aus Sicht des Militärhistorikers, wichtigste Beispiel sind die beiden Kriege der USA mit den Barbareskenstaaten 1801-1805 und 1815. Diese beiden Kriege wurden durch die massiven Übergriffe der Schiffe jener islamischen Staaten auf US-Schiffe und die anschließenden Erpressungen, also Lösegeld und Tribute, ausgelöst. Die Weigerung der USA diese teilweise unglaublichen Summen (1800 lagen sie bei ca. 21% des US Gesamthaushaltes) weiterhin zu bezahlen führte zur Kriegserklärung an die USA.
 Nimmt man die 200 Jahre als etwaigen Maßstab, dann bereits irrt zwei Mal und bleibt man mit dem Blick auf den militärischen Übergriffe der Sklavenjagd durch muslimische Schiffe in Spanien, Italien, England bis hinauf nach Island hängen - dann irrt Todenhöfer generell. Dieser Eindruck wird verstärkt, gerade wenn man Texte des Schriftstellers zum Recht auf Selbstbestimmung vor Augen hat, mit der Beachtung der Griechen und des Balkans im 19. Jh. Die Montenegriner und Serben sahen sich immer wieder in die Lage versetzt, sich selbst zu regieren, nur um durch osmanische Truppen niedergemacht zu werden. Die beiden Konflikte in den 70ern des 19. Jh. der sog. Serbisch-Osmanische Krieg bildeten den Höhepunkt - innerhalb der besagten 200 Jahre. Gleiches gilt für die Bestrebungen der Griechen und der sie unterstützenden Russen - was bspw. zum Russisch-Türkischen Krieg von 1828 bis 1829 führte, den ebenfalls die Osmanen durch Aufkündigung vorhergehender Friedensverträge offiziell machten.
Der berühmteste Krieg dürfte der durch Tolstoi geschilderte Krimkrieg 1853 bis 1856 sein, den die Osmanen den Russen erklärten.
 Natürlich kann man gerade im Konflikt Russland-Osmanisches Reich einwenden, dass die Kriegserklärungen seitens der Osmanen nur Reaktionen auf Provokationen und Aktionen der Russen waren. Erweitert man so aber die Frage auf Aggressionen wird die Zahl der Übergriffe noch größer. Ganz vorne steht dabei der Spanisch-Marokkanische Krieg von 1859 auf meiner Liste. Permanente Übergriffe auf spanisches Territorium führten zur Kriegserklärung des europäischen Staates an Marokko. Es war ein anderes westliches Land, dass intervenierte und den Krieg schnell wieder beendete.

Sollten nach Ansicht Todenhöfers Aufstände der nicht-islamischen Bevölkerung wie Armenier, Serben und Griechen nicht unter die Rubrik "Angriffe von islamischen Staaten" fallen, dann dürfte der Mahdi-Aufstand, der "Kreuzzug der Muslime" wenn man so will, von 1881 - 1899 dafür als Retourkutsche angerechnet werden. In dieser Zeit führte der "Endzeitbringer" Krieg gegen die britischen Herrscher Ägyptens.

Spätestens jetzt ergibt sich eine Frage: warum 200 Jahre? Todenhöfers Zeitraum endet also ca. 1800 (exakt 1808). Was war unmittelbar davor? Auch Frieden?
Mitnichten. Es geht Todenhöfer nur um Ausklammerung der Expansionszeiten der islamischen Staaten und Reiche.
Unmittelbar vor seiner Datierungsgrenze liegen der Russisch-Türkische Krieg von 1768 und der Krim-Konflikt von 1783. Beide wurden vom Osmanischen Reich erklärt. Ebenso die 1787 erfolgte Kriegserklärung an Russland und Österreich (um deren Kriegsplanung zuvor zu kommen wohlgemerkt).
Das es Todenhöfer aber nur um die Ausklammerung geht erkennt man am Satz nach seinem Zeitlimit. Was listet er da auf? Die Konflikte mit den Russen und Griechen? Den Beistand den das Osmanische Reich von Frankreich, Britannien und Sardinien erhielt?


An den blutigen Kreuzzügen, der Kolonisierung, dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, den furchtbaren Massenvernichtungen unter den chinesischen und den sowjetischen Kommunisten, am Holocaust (...)
Kreuzzüge, Kolonialisierung, Weltkriege und Blockbildung. Der erste Kreuzzug began 1096. Das wären 912 Jahre vor 2008. das sprengt den Rahmen von 200 Jahren nicht nur etwas.
Was war der Auslöser jenes Kreuzzuges zu dem in Clermont aufgerufen wurde? Ein Hilferuf des byzantinischen Kaiser und die fortgesetzten Überfälle auf christliche Pilger im Heiligen Land.
(Der kritische Leser mag bitte nicht Ursache und Auslöser verwechseln.)

Exkurs:

Byzanz erwehrte sich zu diesem Zeitpunkt seit dem 7. Jahrhundert der Angriffe der Muslime, hatte den größten Teil seines Imperiums eingebüßt. In den Aufzeichnungen des Reiches ist kein Angriff auf Mohammed und seine anhänger verzeichnet, lediglich die islamischen Ahaddit sprechen von einem muslimischen Präventivschlag gegen ein sich angeblich versammelndes Riesenherr. Die aktuelle Forschung hat dies längst widerlegt. Byzanz war zu jenem Zeitpunkt militärisch am Ende, durch den Perserkrieg erschöpft. Die betreffenden Anlagen hatten nicht genug Versorgungspotential um dort ein riesiges Angriffsherr zu versammeln. Und doch griffen die Muslime an, und an, und an. Ein Angriff der bis zur endgültigen Eroberung Konstantinopels 1453 durch Mehmet "den Eroberer" und "Träger des Schwertes des Glaubens" andauerte. Mancher Konflikt dauert über Jahrhunderte an und ist isoliert nicht zu betrachten. Die Geschichte der Kreuzzüge wurde in den vergangen 40 Jahren gerne derart isoliert ausgewertet und auch heute wird lieber auf die Vorgeschichte verzichtet. Nur wenige wagen sich dagegen anzugehen. Dabei lernte man zu meinen Schulzeiten noch, dass alles eine Vorgeschichte hat.
Als zweite große Anklage folgt die Kolonisierung. Es gibt leider noch keine Auswertung der Expansionszüge der Muslime außerhalb Europas und des Mittelmeerbereiches die es zu großem Erfolg oder Bekanntheit gebracht hat. Aber vor nicht allzulanger Zeit erschien das Buch des muslimischen Gelehrten Tidiane N'Diaye "Der verschleierte Völkermord", in welchem dieser auf den 1300 Jahre dauernden Sklavenzug nach Afrika und Europa, die Verschleppung und Kastration von Millionen Menschen zu sprechen kommt und einen Einblick gibt in das, wir bereits heute nach den Anstrengungen weniger Forscher wissen. Nimmt man dann die Erinnerungen der Inder noch mit auf, liest ein wenig über die Kriege gegen China und blickt auf "Al Andalus" so verschiebt sich das Zeitalter der Kolonialisierung durch Muslime vor jenes der Europäer.



Sowohl am ersten als auch am zweiten Weltkrieg nahmen die Muslime teil. Zugegeben, als Staaten vor allem am Ersten Weltkrieg. Das Osmanische Reich stellte sich auf die Seite des Kaiserreiches, metzelte die Armenier nieder und der berühmte Lawrence von Arabien, britischer Offizier seiner Majestät, führte arabische Stämme zum Aufstand gegen die verhassten Türken. Das sonst wenig erfolgte lag mehr an dem zuvor kritisierten Kolonialismus: weite Teile der muslimischen Welt wurden durch Britannien, Frankreich oder andere Kolonialmächte beherrscht und stellten Truppenkontingente. Dies wiederholte sich im zweiten Weltkrieg. Stuttgart und Freudenstadt hatten die zweifelhafte Ehre, von den Franzosen für ihre algerischen und marokkanischen Truppen mehrere Tage "frei" gegeben worden zu sein. 
Und auch auf der anderen Seite finden sich Muslime. Ausgerechnet bei der SS. Die Waffen SS zwar, aber bis auf den Fall Günther Grass wird da in der Öffentlichkeit kein Unterschied mehr gemacht. Die 13. SS-Gebirgsdivision "Handschar" bestand vorwiegend aus freiwilligen Muslimen, durfte mehrere Besuche des Grossmufti von Jerusalem erfahren und wurde von eigenen Imamen betreut. Die Protokolle jener Zeit lesen sich eindeutig. Bis heute steht "Mein Kampf" in vorderorientalischen Ländern weit oben in Bestsellerlisten - neben den "Weisen von Zion" u.ä. Dreck.
Da passt, wie man so passend sagt, kein Blatt und kein Todenhöfer zwischen Hitler und den Mufti, was diese eine Frage angeht. 
Mitunter führt dies zu frappierenden Missverständnissen, wie das Video "Iran v Germany, 2004, National anthems" bei youtoube ab min 1:20 zeigt. (dieses Video lässt sich nicht einpflegen)
Pogrome gegen Juden hat es auch Anfang und Mitte des 20. Jh. im Heiligen Land gegeben.  Es ist eine Frechheit und Klitterung von Todenhöfer dies in Abrede zu stellen.

Schließlich muss die letzte Frage auf die "westlichen Staaten" erfolgen, die nicht angegriffen wurden.
Selbstverständlich hat Malaysia, um ein Beispiel aufzugreifen, England nie den Krieg erklärt. Oder gar den USA. Ihre Trägerflotten müssten ja erst noch gebaut werden, wozu der Inselstaat de facto nicht in der Lage ist. Wirtschaftlich wie technisch. Der Erfolg wäre zudem auch eher fraglich, sind die Berührungsflächen bestenfalls winzig zu nennen. Solch ein verallgemeinernder Vergleich ist dementsprechend bestenfalls polemisch, eher rabulistisch zu nennen. Dehnen wir aber (großzügig) "westliche Staaten" aus auf Länder, die einen westlichen Lebensstil oder Freiheitsbegriff leben und fassen dabei Länder wie Japan, Thailand oder die Philippinen mit ein, dann sieht es auch hier wieder Mau aus, selbst für diesen wirren Vergleich des Schriftstellers. Die Philippinen etwa haben seit Jahrzehnten mit Islamisten zu kämpfen, deren Finanzierung, Versorgung und Ausbildung über die bekannten Kanäle niemanden überrascht. Thailands Süden wird regelmäßig durch Angreifer erschüttert, die nach ihren Gewaltexzessen gegen Schulmädchen und buddhistische Mönche wieder zurück nach Malaysia gehen, wo sie keine Verfolgung zu fürchten haben.
Indien würde ich nun nicht "westlich" nennen, aber doch im Kontrast zur islamischen Kultur und seit Jahrzehnten im Dauerkrieg mit Pakistan und Bangladesh, was sich nicht selten auch in Terroranschlägen wie in Mumbai ausdrückt.

Zusammengefasst darf man, so finde ich, sagen: Todenhöfer erzählt Schwachsinn.

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