Dienstag, 14. Juni 2016

Terror und seine Folgen

Was erreichen die Terroristen eigentlich?
Ganz unmittelbar Leid, Tod, Angst, Traumata, Trauer, Verlust.
Und mittelbar? Viel mehr als sie sich erhoffen können. Denn unsere Gesellschaft, angefangen bei Medien und Politik, aber auch die Individuen und Vereine reagieren. Sie reagieren in dem sie eine mögliche Reaktion als Horrorszenario in den Raum stellen und unbedingt verhindern wollen.
Das wären Horden von Nichtmuslimen, die mit Fakeln und Heugabeln bzw. mit vollautomatischen Waffen und Fallbeilen die Bartholomäusnacht neu interpretieren und dabei jeden der nach Muslim aussieht abschlachten. Eine neue "Verfolgungswelle", in der Muslime "die neuen Juden" würden.


In Paris wurden in den letzten Jahren immer und immer wieder Menschen von Terroristen umgebracht oder es wurde versucht. Von Einzeltaten wie dem Mord an einer jungen alleinerziehenden Mutter und Tänzerin oder den tödlichen Schüssen auf eine Hilfspolizistin bis hin zu unglaublichen Massakern wie an der Redaktion von Charlie Hebdo oder im Bataclan und auf den Strassen von Paris im November 2015. Erst nach dem letztgenannten wurde der Staat aktiv, verhängte den Ausnahmezustand und hat Woche für Woche, Monat für Monat sensible Stellen überwacht, Moscheen durchsucht und eine strengere Waffengesetzgebung durch die EU vorangetrieben.
Wurde man in zahllosen Moscheen fündig was Propagandamaterial anging und ziemlich häufig auch deutlich gefährlicheres Material, so ist der letzte Schritt purer Aktionismus. Keine der genutzten Waffen der letzten Jahre war legal erworben oder gehalten worden. Die Kanäle über die Waffen und Munition bezogen wurden sind teilweise bekannt und alle gehören dem Terrorismus oder der organisierten Kriminalität an - beide interessieren sich für Gesetze einen Dreck. Fast alle der genutzten Waffen sind bereits für den Bürger verboten. Automatische Waffen sind vollkommen verboten, Sprengstoffe ebenso. Die Täter nutzten genau dies.
Warum dieser Schritt trotzdem gefordert wird, ist besagte Reaktion der Gesellschaft. Sie braucht jemanden, der schuldig ist und Maßnahmen, an die sie glauben kann. Da Waffen benutzt wurden, liegt der Schluss also nah - auch wenn er im Licht betrachtet völlig unlogisch ist.
Aber die Gesellschaft geht noch viel härter vor.
Der Sänger der vom Anschlag im November betroffenen Band Eagles of Death Metal sagte aus, er habe jubelnde und sich freuende Muslime auf den Strassen während seiner Flucht gesehen. Dafür bzw. für diese Aussage wurde er nun als Rassist gebrandmarkt und von zwei Festivals ausgeladen - seine Auftritte, die der Anschlag nicht beenden konnte, beendet die "tolerante" Gesellschaft.
Ungeachtet der Tatsache, dass in Frankreich größere Sympathiekundgebungen für Terroristen wie Mohammed Merah bis zu den Mördern von Charlie Hebdo nicht nur bekannt sondern auch dokumentiert und teilweise in den Medien vermeldet wurden - es also keineswegs so abstrus erscheint, was Hughes berichtet.

Auch jetzt, nach Orlando, geht das Spiel wieder los. Ein weiterer Terroranschlag, der Selbstbeschuldigung, Selbsteinschränkung und den Niedergang informativer Berichterstattung zur Folge hat.
Ein sich zum IS bekennender Islamist greift eine Schwulendisko an und tötet dabei ca. 50 Menschen. Seine Frau hilft ihm bei den Vorbereitungen, seine Ex-Frau behauptet in Interviews, er sei geistig verstört gewesen.
Fast zeitgleich ermordet in Frankreich ein weiterer bekennender IS-Anhänger einen Polizisten, dessen Frau und hält deren Kind, welches die Tat mit ansehen muss über Stunden als Geisel.
Die Reaktionen sind erbärmlich, kindisch, kleingeistig. Ein Kommentator schrieb hier unter einem Beitrag über die Klagen zur Toilettenbenutzung durch Transgender-Menschen, das die Kirche für die Morde in Orlando verantwortlich sei.
Die FAZ würgt Falschinformationen hervor, die noch aus dem Kontext gestellt werden, um eine gewünschte Zielsetzung zu erfüllen.
Das Massaker von Orlando fällt mit seinen 49 Todesopfern und 53 Verletzten nicht nur in diese Kategorie, es führt die Liste der mit Schusswaffen verübten Massaker in Amerika an. Weltweit sei es laut Lankford das dritt-tödlichste „mass shooting“ gewesen. Davor kommen nur das Massaker 2011 in Norwegen, bei dem der rechtsextreme Anders Breivik 69 zumeist junge Menschen in einem Sommercamp tötete, und die Tat eines Polizisten, der 1982 in Südkorea 56 Menschen erschoss.
Nicht nur, dass der Anschlag von Paris im November 2015 unerwähnt bleibt (auch hier wurden fast alle Opfer durch Schusswaffen getötet) - es werden Terroranschläge und "mass shootings" mal eben durcheinander geworfen und die Tatsache, dass die verlustreichsten Anschläge weltweit wie auch in den USA mit Flugzeugen und (meist selbst gebauten) Bomben durchgeführt wurden. 2001 komplett auszublenden, während man über islamistische Terroranschläge schreibt.
Auch der Rest, bspw. die Auswertung der langen Dauer bis zur Erstürmung und dem Zusammenhang mit der Opferzahl ignoriert, was im Bataclan passierte.
Sätze wie:
Ein Nachtclub, in dem laut Zeugenberichten etwa 350 Leute auf engem Raum dicht aneinander zu lauter Musik tanzen, ist für einen Schützen mit dem Ziel, so viel Schaden wie möglich anzurichten, ein gefundenes Fressen.
Werfen die Frage auf - warum passiert dies also nicht ständig, angesichts der "mass shootings" in den USA, über die sich die FAZ auslässt? Schulen, Universitäten, Parkplätze, Strassen - das sind die häufigsten Ziele. Warum also nicht Diskotheken, Technofeten, Festivals, Warteschlangen in Verngügungsparks? Kurz vor dem Jahrestag des Anschlages in einer Kirche in Charleston.
Schlechte Recherche kommt noch dazu:
Auch bereiteten sich Attentäter zu dem, was sie vorhaben, immer gezielter vor, zeigen die Recherchen Lankfords. Demnach kopieren die Täter oft Strategien, die bereits von anderen verwendet wurden. „Mateen hatte Waffen benutzt, die denen anderer Massaker ähneln“, sagt Lankford. Er gehe davon aus, dass sich der Täter von Orlando einiges bei den beiden Schützen des islamistisch motivierten Massakers im kalifornischen San Bernardino abgeschaut hat. In beiden Fällen wurde eine AR-15 verwendet, ein halbautomatisches Sturmgewehr, entwickelt für das amerikanische Militär. Es ist legal im Handel zu erwerben.
Der technische Fehler, ein Sturmgewehr kann par definitionem nicht "halbautomatisch" sein, sondern höchstens wählbare Schussmodi aufweisen, ist ja noch bekannt. Aber das der letzte islamistische Anschlag in den USA, erst wenige Monate zurückliegend und im recht strengen Kalifornien passiert, mit umgerüsteten und eben nicht legal erworbenen Waffen ablief, wie auch sonst die meisten "mass shootings" eben nicht mit legalen Waffen unternommen werden - nicht gewusst aber das falsche Gegenteil behauptet.
Insofern ist Orlando eben keine Kopie, sondern schon in dreifacher Hinsicht neu: Opfergruppe, Anschlagsort und Waffe. Genau das Gegenteil des behaupteten.

Panik vor Waffen, das ist hier die Hauptreaktion. Dies zeigt sich auch in der aktuellen Bundeswehrdiskussion. Waffen auf Besuchertagen? Geht gar nicht. 

Statt sich zu bemühen ein genaues, ehrliches und neutrales Bild der Geschehnisse zu geben, werden wir lieber mit Reaktionen der Promis konfrontiert. Das Lady Gaga sich diesmal genötigt sieht, eine Trauerkundgebung zu veranstalten liegt einzig und allein an der Opfergruppe. Das ist ihr Recht - hinterlässt aber einen schalen Geschmack den die Medien ignorieren, die Gesellschaft sogar bejubelt.

Das Obama sich dahingehend äußerte, dass es keine Beweise für eine Steuerung durch Terroristen gäbe und darum die Vermutung und Benennung als Terroranschlag abwies - eine Haltung die er bereits beim Anschlag in Kalifornien zeigte, nicht aber bei jenem weißen Mann, der vor einer Abtreibungsklinik in Colorado Springs mordete und sich darin verschanzte. Dort war auch ohne Beweise sofort klar wer und warum und womit. Das der angebliche Rassist von Charleston einen schwarzen Freund hat und sich zuvor nicht derart äußerte und Obama trotzdem eine Rassismuskampagne startete... Auch hierzu schweigt oder nickt Medienwelt, Politik und Gesellschaft.

Die Reaktionen der Parteien bzw. der Politiker erfahren in den deutschen Medien Beachtung und besonders Trumps absehbar harte Antwort wird als Ausnutzung und Missbrauch der Mordopfer dargestellt. Das eine Reaktion erfolgen muss, dass Amerika eine Reaktion zu Recht erwartet und diese dann eben der eigenen politischen Agenda entspricht - unwichtige Nebensache. Immerhin bekommt auch Clinton nicht nur Zustimmung.
In Europa rumort es kaum. Wir sind beschäftigt. Prügelnde Hooligans während der EM sind viel schlimmer und berichtenswerter. Folgenreicher sowieso. 

Würde ich eine Liste der Anschläge und Opfer des islamischen Terrors der letzten 16 Jahre versuchen, ich bräuchte Jahre. Nicht nur wegen der großen Zahl und der vielen Opfer, sondern auch wegen der mangelhaften Berichterstattung, die mitunter vorschnell zurechnet - aber viel öfter Ausreden und Entschuldigungen sucht und findet. Geisteskrankheit ist dabei eine der beliebtesten Versionen. Obwohl in Westeuropa mindestens vier Männer unter dem bekannten islamischen Schlachtruf in Menschenmengen fuhren, wenigstens zwei davon in Weihnachtsmärkte, wurde jeder Zusammenhang abgelehnt und bei fast allen auf Geisteskrankheit befunden.

Während also die Reaktionen auf die jüngsten Terroranschläge ALLES abdecken, außer dem Kern, der Frage nach dem Terror im Islam und diesen ENDLICH, nach hunderten von Talkshows und Podiumsdiskussionen nun endlich auch mal wirklich IM DETAIL zu führen, sich an Suren und hadith zu verbeißen, zu analysieren und zu verlesen, was der IS denn da findet, dass er "missbrauchen" kann, statt dessen also lieber die narzistische Selbstbeschäftigung. Als ginge es um die Diskussion über einen neue Umgehungsstrasse, den Bau eines neuen Bahnhofes oder Mehrausgaben für die Kommunen.

Statt in uns zu gehen, uns selbst zu definieren, unsere Grundwerte zu erklären und die Möglichkeiten unserer Wehrhaftigkeit zu überdenken, statt in die Welt zu blicken und mit den Opfern zu sprechen, statt ALLES zu tun, damit diese Grausamkeiten nicht wieder und wieder geschehen machen wir uns Sorgen, was Überreaktion und Hass bewirken KÖNNTEN. Dabei ignorieren wir die Realität, die wirklichen Vorgänge, die Opfer, die bewirkte Angst. Es werden jene beschimpft, die etwas ändern wollen, OHNE Mistgabeln und Fackeln und dem Ruf nach Hinrichtungen.
Die Folge dieser Reaktion ist Gewalt. So oder so. Die Terroristen werden nicht aufhören, ihre Anhänger werden sich weiter mehren, die Zahl ihrer Opfer ebenso. Die Kritiker werden weniger, denn es werden mehr und mehr ein Gefühl des Verrates, des allein-gelassen-werden verspüren und darüber sich nur noch mit ausgewählten Gleichdenkenden unterhalten, planen, handeln.
Wer glaubt, der Rassismus und Antisemitimus der Vergangenheit sei einfach da gewesen und hätte durch Auslassungen und Überbetonung von Positivem, durch Lügen und Beschimpfungen, durch Haftstrafen, Zensur und Meinungspolizei verhindert werden können, der irrt.
Es gibt einen zivilisierten Weg - aber auch dieser kommt nicht ohne die Anerkennung der Realität aus.
Es ist Zeit, liebe Grünen, Linke, AntiFas. Liebe selbsterklärten Menschenrechtler, liebe beschimpfte Gutmenschen. Ihr Idealisten und Helfenden. Wollt ihr verhindern, das die Gewalt, der Hass weiter eskaliert - dann nehmt die Scheuklappen ab, hört auf zu beschönigen und zu verschweigen und redet mit jenen anderer Meinung. Hört zu, widersprecht, diskutiert - aber akzeptiert Fakten. Und findet gemeinsam einen gangbaren, menschlichen Weg.
Sonst sind die Flammen der Fakeln irgendwann die kleinsten Feuer, die wir fürchten müssten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen