Mittwoch, 30. Dezember 2015

Die FAZ blamiert sich. Mal wieder.

Das neue Jahr rückt heran. Zwischen Weihnachten und Silvester arbeiten zu müssen, dass ist ein schweres Los für Journalisten. Zumal für jene, die bei namenhaften Zeitungen oder Sendern über ein gutes Gehalt verfügen.
So wundert es kaum, dass die Qualität der aktuellen Recherche sehr zu wünschen übrig lässt. Aber die FAZ liefert mit Roman Grafes "Unzureichendes Waffengesetz. Aus Sport wird eben doch Mord" ein Glanzstück journalistischen Unvermögens ab. Obwohl es eher eine Plattform für eine Gruppe von Aktivisten ist, die sich im Artikel selbst auch vorstellt und über den Klee lobt.

Gleich Eingangs wird bemerkt:
Nichts aus den Massakern gelernt: Mehr als 200 Menschen wurden in den vergangenen Jahren mit Waffen deutscher Sportschützen getötet.

Aha. In den vergangen Jahren. Wie später im Artikel vermerkt wird sind diese "vergangenen Jahre" die letzten 25. Die Rechnung wird von 1990 an geführt.
Ungenauer gehts nicht. Dann prüfen wir das Mal.

1999 wurden in Deutschland 2850 mal ein Verbrechen "gegen das Leben" begangen. Das beinhaltet Mord, Mordversuch, Mord im Affekt, Tötung auf Verlangen und Totschlag sowie versuchter Totschlag und fahrlässige Tötung. Theoretisch fällt auch Schwangerschaftsabbruch darunter, dieses Verbrechen wird aber in Deutschland nach der §218 Debatte nicht mehr verfolgt.
Von den besagten Verbrechen wurden 381 mit Schusswaffen begangen. Von diesen 381 Schusswaffen waren ganze 22 legal, also im Besitz von Jägern, Sammlern oder Sportschützen. Das sind knapp unter 0,7% der benutzten Tatwaffen.

Ein kleiner Sprung nach vorne, in das Jahr 2002. Für dieses Jahr kann man sich den Kriminalbericht aus dem Bereich Feuerwaffen und Sprengstoff ansehen. Auf Seite 44 wird von 50 Morden und 78 Totschlägen geschrieben, bei denen Schusswaffen am Tatort sichergestellt wurden (nicht zwangsläufig aber die Tatwaffen waren). Von 449 angegebenen Morden (ohne Totschlag und die übrigen Verbrechen die unter den Begriff "Verbrechen gegen das Leben" aus dem Jahr 1999 fallen) in 2002 insgesamt.
Davon waren bei den 50 Morden fünf (5) und bei den Totschlägen sechs (6) legale Schusswaffen beteiligt. Würde man noch die schwere Körperverletzung hinzuziehen, bei welcher unter 125 Schusswaffen lediglich eine legal war...
Die Grafik auf Seite 46 zeigt: im Jahr 2002 wurden gerade mal 2,6% der Straftaten mit Schusswaffen mittels legalen Geräten begangen. Insgesamt.
Unter rund 450 Morden also fünf mit legalen Schusswaffen. Die Prozentzahl kann sich jeder selbst ausrechnen und ob diese fünf Leben durch ein Verbot gerettet worden wären ist eine nicht nachvollziehbare "was wäre wenn" Behauptung.



Das Lagebild der Polizei 2014 belegt dies ebenfalls eindeutig. Insgesamt 9585 Straftaten (also auch Raub, Erpressung, Entführung, Bedrohung etc.) haben 2014 unter Verwendung von Schusswaffen stattgefunden. Nicht nur, dass diese Zahl einen weiteren Rückgang um 5% zum Vorjahr bedeutet (Tendenzen die im Artikel ebenfalls nicht interessieren), es wurde auch wieder weit weniger geschossen. 5018 mal wurde geschossen, davon 1684 mit dem Hintergrund der Sachbeschädigung. Also gezieltes Schießen auf Gegenstände in fremden Besitz. Körperverletzungen machen immerhin 741 und damit rund 15% der Fälle aus, aber "gegen das Leben" gerichtete Straftaten waren nur noch mit. 110 Fällen vertreten, oder 2,2%. Das "nur" soll nicht versuchen, die Dramatik hinter jedem einzelnen dieser Fälle zu negieren, aber in Relation zu der Masse an Fällen überhaupt in Deutschland
Und bevor geglaubt wird, dass dies nun alles mit legalen Schusswaffen passiere: von den 443 insgesamt sichergestellten Waffen in 2014 waren lediglich 4,9% legal (in Zahlen, fünf). Das waren nicht alles Waffen, mit denen geschossen wurde oder ein Verbrechen gegen Menschen begangen wurde, sondern eben auch illegal beschafte, unrechtmäßig mit sich geführte Geräte. So wurden Waffen bei den Razzien in Häusern der organisierten Kriminalität und bei verfassungswidrigen Organisationen gefunden und gesichert.

Von 2000 bis 2015 wurden ca. (eine grobe Schätzung) 5635 Morde begangen. Ohne Totschlag und Versuche, deren Zahlen nochmal mehrfach höher sind und angesichts der stark gefallenen Zahlen an Pathologien mit einer unbekannten Zahl an unerkannten Morden, die als Unfall oder natürliche Todesursache durchgingen. Je nach Bundesland und Jahr wird dazu etwa schwierig zu bestimmen sein, ob eine Familie, welche durch einen Drängler zu Tode kam, ohne dass dies bemerkt worden wäre in den Statistiken auftaucht oder wenn ein Autofahrer durch einen Unfall mit einem Geisterfahrer zu Tode kommt in eine bestimmte Kategorie fällt.
Der Autor hat darüber hinaus den Zeitraum auf die 90er Jahre ausgeweitet - ein Jahrzehnt, welches bei Kriminalzahlen negativ auffällt, wie jedem der einmal bewusst über "die höchste Einbruchsrate seit den 90ern" in den aktuellen Schlagzeilen gestolpert ist bekannt sein dürfte. Ich denke, wir dürfen also wenigstens weitere 5000 Morde darauf rechnen. Und von diesen Morden entfallen nach Angaben des Herrn Grafe 200 auf legale Schusswaffen. Das wären bei 200 Morden von 10 000 also glatte 2%. Es erscheint mir zutiefst heuchlerisch, hier gegen die Tatwerkzeuge tätig zu werden, während ein vielfaches an Morden u.ä. Verbrechen mit anderen Dingen begangen wird. Da geht es nicht mehr um die verlorenen Leben, nicht um Rettung, da geht es schlicht um die eigene Meinung, die eigenen Abneigungen und das eigene Erleben.


Einer der Doppelstandards des Autors ärgert mich besonders: zwar werden weder der Kriminalpolizei noch der Regierung zugetraut korrekte Daten zu liefern und auszuwerten, aber die Forderung dann genau diesen Menschen eine neue Gesetzgebung anzuvertrauen und im Anschluß für unsere Sicherheit sowie die Umsetzung des Verbotes zu sorgen scheint dann wieder von höchster Kompetenz auszugehen.
Kein Wort verliert der Schreiber über die Unfähigkeit bestehende Komplettverbote umzusetzen. So sind im letzten Jahr mindestens drei Anschläge mit Kriegswaffen durchgeführt worden. Diese sind das, was Grafe fordert: vollständig verboten. Es gibt sie nirgends. Nicht für Sport und schon gar nicht für die Jagd. Nur deaktiviert dürfen sie gesammelt werden.Trotzdem behauptet er frech:
Der Kugelhagel in Paris ist ein Grund mehr, den Irrsinn legaler privater Schusswaffen endlich zu beenden, nicht nur in Deutschland.
Nochmals: die genutzten Waffen sind komplett verboten, in Frankreich, in Deutschland, in Europa. Sie wurden illegal eingeschmuggelt und in Kombination mit völlig illegalen Sprengmitteln zum Einsatz gebracht. Ebenso wurde die Munition illegal besorgt.
Wie man von diesem in absolut jedem Bezug illegalen Vorgang die legalen Waffen und ihre Besitzer "ins Visier nehmen" kann, dazu erfordert es völliger Zielfixierung, einer Realitätsferne die schmerzt.

Anders als behauptet haben Kriminelle keine Probleme an Waffen zu kommen, ebensowenig wie Terroristen Probleme haben an Kriegswaffen und Sprengmittel zu kommen. So folgt im Text ein Bezug auf Breivik, den Terroristen aus Norwegen. Dieser selbst bestätigte Ermittlungsergebnisse, nach denen er versucht hatte in anderen europäischen Ländern an Waffen zu kommen. Was der Artikel nicht erwähnt: er wollte eine vollautomatische Waffe und eine Handgranate - und diese Dinge bekam er auch nicht über den legalen Weg. Vielmehr stellte er sich bei seinem Versuch in Prag so ungeschickt an, dass er in den fünf Tagen seiner Versuche nicht einen Kontakt aufbaute.
 Umgekehrt brachte 2008 die französische Polizei ca. 1500 bis 1600 illegale Waffen bei Razzien, Personenkontrollen, Zollfahndung und Zufallsfunden auf. Ein Jahr später waren es schon 2700, und seitdem stiegen die Zahlen weiter. Wie viele davon Kriegswaffen sind, konnte ich nicht ermitteln, aber es ist anzunehmen: sehr viele.
England, welches Schusswaffen 1996/97 völlig verboten hat und wohl das Vorbild für Grafe darstellt ist in den Statistiken nicht nur seit vielen Jahren als das gewaltätigste und gefährlichste Land Europas eingangen, auch hier sind die Zollbeamten mit einer immer größeren Zahl an Waffenschmuggeleien konfrontiert, und auch hier tauchen mehr und mehr Kriegswaffen auf. Obgleich es Schusswaffen zu Spottpreisen schon vor, während und nach dem Verbot im lokalen Schwarzmarkt gab und gibt. So berichtet der Guardian bspw. dass ein Webley Revolver gerade mal 150Pfund  in London kostet - weit weniger, als ein gesetzetreuer Sammler oder Sportschütze in Deutschland dafür ausgeben müsste.
Ebenso unerwähnt bleibt durch Herrn Grafe: Breivik baute sich eine Bombe, die eine beeindruckende Explosion verursachte und acht Menschen tötete sowie sehr viele weitere schwer verletzte. Diese Tat hätten Schusswaffengesetze nicht verhindert. Auch unerwähnt: nach eigener Aussage wählte Breivik ein unbewachtes Ziel, bei dem er nicht mit Gegenwehr zu rechnen hatte aber dafür seine Opfer in der Falle saßen.
Mit anderen Worten: er hätte sich auch, wie 1964 ein Frührentner in Köln, seinen eigenen Flammenwerfer, einen eigenen Bogen und eigene Klingenwaffen herstellen können - das Ergebnis wäre wohl nur unwesentlich anders.

Man hat den Eindruck, Menschen wie Herr Grafe haben noch nie einen Blick in Geschichtsbücher oder über Landesgrenzen in Richtung Afrika und Asien geworfen. Serien- und Massenmorde sind kein Phänomen des Schusswaffenzeitalters und auf den besagten Kontinenten gibt es sehr wohl Massaker und Massenmorde mit Hieb- und Stichwaffen, mit Gift und Giftgas, Feuer und Fahrzeugen in unserer modernen Zeit. Trotz verboten von Schusswaffen oder ihrer Abwesenheit.

Letztlich bekennt der Autor mehrmals, wer er ist, was ihn zu seiner Aktion treibt und warum er den Artikel schreibt. Er gehört dem Verein "Sportmordwaffen" an, betont dessen Aktionen und geißelt alle negativen Bescheide von Gerichten, jede ungenehme Datenlage durch Ministerien und Institute als verlogen, unfähig, dumm oder gesetzeswidrig.
Wenn schon der Lektor der FAZ nicht eingriff, der Chefredakteur hätte es tun sollen. Dieser Faktenverdrehende und manipulative Artikel ist dieser ehemaligen größten aller deutschen Zeitungen nicht würdig. Selbst heute nicht.



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