Soviel vorweg. Gestern habe ich kurz meinen Frust über die unterschiedliche Behandlung, die pure und schreiende Ungerechtigkeit in der Medienbetrachtung zu zwei aktuellen tragischen Anschlägen, "Schießereien", "Massenmorden" und wie immer es genannt wird, herausgelassen.
Mit etwas weniger Wut im Bauch, möchte ich an einem bestimmten Punkt anknüpfen. Während es lange angezweifelt wurde, dass jenes muslimische Ehepaar in Californien wirklich einen Terroranschlag (14 Tote, 21 Verletzte) beging, wurde in Colorado Springs (3 Tote, 12 Verletzte) sofort aufgrund des Ortes geäußert, scheinbar beschlossen, dass es sich um einen weißen, christlichen, "domestic" Terroristen handeln musste, welcher natürlich auch bereits in der Vergangenheit Einrichtungen der Abtreibungsorganisation Planned Parenthood, welche hierzulande gerne als "Frauenklinik" beschrieben wird, verwüstet hätte.
Mittlerweile kommen mehr und mehr Details zum Vorschein, in beiden Fällen.
Diese machen eindeutig klar: bei dem Täter aus Colorado handelt es sich um einen gewaltätigen Menschen, welcher scheinbar stets an der Grenze des gesunden Menschenverstands lebte. Journalisten und Aktivisten bemühen sich seit nunmehr über einer Woche, Beweise zu sammeln, dass der Mann ein "Anti-Abtreibungs-Aktivist", ein "fundamentaler Christ" und überhaupt das inkarnierte Problem der US Gesellschaft war. Wer sich den englischsprachigen Wikipediabeitrag durchliest, erhält bspw. die Information, seine Ex Frau habe ihn 1993, während der Scheidungsverhandlung, als jemanden bezeichnet, der sich selbst als evangelikalen und bibelkundigen Christen bezeichnet, der es aber ablehne die Regeln des Christentums zu befolgen, da er "nur durch das Bekenntnis" bereits errettet sei und "machen könne, was er wolle".
Auch habe sie von früheren Attacken auf Planned Parenthood Einrichtungen berichtet - er habe die Schlösser eines Gebäudes mit Klebstoff verkleistert.
Bislang gibt es in Wirklichkeit kein klares Statement dieses "Terroristen". Er hatte seinen großen Fernsehauftritt bereits, bei der Verkündung der Anklage. Das Gericht war via Internet mit dem Zellentrakt in dem er sich derzeit u.a. unter medizinischer Überwachung befindet verbunden, als ihm erklärt wurde, was ihm vorgewirfen wird, welche Folgen das haben kann und was weiter geschieht.
Im Gesicht des Mannes ist keine Befriedigung, kein Triumph, keine Freude, aber auch kein Schrecken, keine Angst, keine Reue zu erkennen. Auch keine Ablehnung, kein Hass, keine Wut. Eher eine große Gleichgültigkeit, fast schon Müdigkeit. Eine gewisse Langeweile. Wer sich fragt, was er da trägt: er gilt als suizidgefährdet und diese Westen sind konzipiert, dass sie die meisten üblichen Selbstmordmethoden unmöglich machen sollen oder erschweren.
Robert Lewis Dear |
Erst als die Polizei eintraf, zog sich Dear scheinbar schießend in die Abtreibungsklinik zurück und lieferte sich dort eine über fünf Stunden andauernde Belagerung mit der Polizei. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich Mitarbeiter, Kunden und Besucher der Organisation im Gebäude - bislang wurde keine Information bekannt, nach der Dear in den fünf Stunden versuchte, an diese Geiseln heranzukommen.
Nachdem es Polizisten gelungen war, ins Gebäude zu kommen, redeten sie auf ihn ein und überzeugten ihn, aufzugeben.
Mir ist es nicht gelungen mehr über seine Bewaffnung zu erfahren, als dass er eine "Langwaffe", also ein Gewehr dabei hatte und Jagdkleidung trug.
Mehr an Informationen, abseits von den Statements dutzender Politiker aller Größenordnung, u.a. auch Obama, sind kaum zu bekommen. Er solle viel geredet haben - u.a. über "Baby parts" - also über Teile von abgetriebenen Babies, auf einen Skandal anspielend, der herausbrachte, dass Planned Parenthood bei der Abtreibung von vollentwickelten Babies darauf achtete "Körperteile zu ernten" - also unbeschädigt abzusagen oder auszukratzen - ein unwürdiger Vorgang der nach Ansicht der Gegner dem Profit und der Verteidiger der Forschung dient.
Aber er soll auch über Präsident Obama und vieles mehr gesprochen haben - und trotzdem gab es bislang keine Aussage über sein Motiv von offizieller Seite.
Was man weiß ist, dass er viel Zeit in seiner Hütte verbrachte. Diese hier.
Dears Hütte |
Nachdem man nun diese Dinge gesehen hat - ist das ein Terrorist? Ein Mensch, der möglichst vielen Menschen das Leben nehmen will um damit noch viel mehr Menschen in Angst und Schrecken (also in "Terror") zu versetzen? Oder ein Terrorist, der mit seinem Anschlag ein größeres Ziel verfolgt? Folgt er einer religiösen oder politischen Weisung wie die Anhänger des IS, der RAF oder der ETA? Ist er vernetzt mit Anderen die so denken wie er, hat er wenigstens eine Terrororganisation "geliked"? Hat er sich in die Gesellschaft eingepasst, so dass er keiner Sicherheitsbehörde ins Auge stach die nicht gezielt nach den kleinsten Auffälligkeiten suchte? Hat er sich vorbereitet auf ein Gemetzel mit allen Mitteln? Hat er die Taten genutzt um eine Botschaft zu übermitteln?
Soweit wir wissen - und das dieses Wissen ist sehr begrenzt: nein. Er hat nicht versucht, die Leute in Planned Parenthood bis auf den letzte Anwesenden zu töten oder wenigstens als Schutzschilde zu nutzen. Er ging nicht kämpfend und "Deus vult" rufend unter. Wir haben keine Ahnung über sein genaues Motiv und was ihn dazu trieb, aber bisher scheint er keine Komplizen gehabt zu haben, es fanden sich scheinbar keine Aufzeichnungen die über ablehnende politische Statements und Verfolgungswahn hinaus gingen. Die Behörden hatten ihn wegen vorherige Probleme bereits auf dem Schirm und seine Nachbarn wussten um ihn und seine Exzentrik. Von Anpassung kann keine Rede sein. Sein Erscheinungsbild vor Gericht spricht Bände - im Gegensatz zu ihm.
Bislang klingt das für mich eher nach einem Wahnsinnigen, einem Durchgeknallten als einem Terroristen. Der "grande terreur" verzichtete nie darauf, die Köpfe der Hingerichteten der Menge zu präsentieren und Statements zu platzieren, die sagten: seht her, jeder der gegen uns ist, endet so; ihr wolltet den Tod dieses Menschen, hier habt ihr ihn usw.
Und auf der anderen Seite haben wir das Ehepaar Farook. Die beiden haben die Weihnachtsfeier des Arbeitgebers (Inland Regional Center) gestürmt. Syed Rizwan Farook arbeitete dort als "county helth inspector" - ein Posten mit Verantwortung. Sie stürmten dort mit automatischen Gewehren und selbstgebauten Bomben hinein und richteten ein Blutbad an. Da sie dabei auch die Feuermelder trafen und somit die Sprenkler aktivierten wie auch die Notrufzentrale, zogen sie sich gerade rechtzeitig zurück, denn die Polizei war nach nur vier Minuten da. Die beiden suchten NICHT die Konfrontation, nicht das Gefecht. Statt dessen ließen sie mindestens einen Sprengsatz zurück, der jedoch nicht zündete.
Noch vor zwei Tagen titelte die deutsche Bildzeitung dazu:
Amoklauf nach Streit in Behinderteneinrichtung
Diese Überschrift ist mittlerweile verschwunden, findet sich jedoch noch über google. Aber sie verwundert nicht, denn auch in den US Medien wurde versucht, zuerst die Meinung in diese Richtung zu lenken und zu beteuern: auch wenn Syed und seine Frau Muslime seien, handele es sich hier nicht um ein religiöses Attentat sondern einen Amoklauf. Syed sei ein gut integrierter, moderater Muslim, der lediglich durch die Umstände zum ausrasten gebracht worden sei, und weil die Waffengesetze so lasch seien, hätten ihn die Waffen regelrecht gezwungen so zu handeln (im Artikel unter diesem Link ist ein Verweis "woher die Attentäter ihre Waffen hatten" - welcher lediglich behauptet, mindestens zwei der Waffen seien legal erworben worden - und glatt auslässt, dass die einzigen benutzten, die Gewehre, es eben nicht waren - und ansonsten die Schusswaffen einer Reihe anderer Massenmörder vorstellt).
Mittlerweile verbreitet die Familie der beiden sogar, dass die beiden Sündenböcke für etwas völlig anderes wären und nur dazu dienten, die amerikanischen Muslime schlecht zu machen.
Einer der Überlebenden des Massakers, Patrick Baccari berichtete statt dessen aber, das es da nichts gab. Keinen Streit, keinen Rauswurf, kein böses Wort. Statt dessen sei Syed einfach verschwunden und zwei Stunden später wieder aufgetaucht.
Im Haus und Auto des mörderischen Ehepaares, welches ihren sechs Monate alten Nachwuchs bei der Familie an diesem Tag unter einem mittlerweile als falsch herausgestellten Vorwand abgegeben hatten, fand man später tausende Schuss Munition und mindestens ein dutzend Rohrbomben, wie jene in der Anlage.
Spätestens hier war klar: das war vorbereitet. Und zwar nicht zwei Stunden, nicht zwei Tage sondern über Wochen, vielleicht Monate. Angesichts der Tatsache, dass die Eheleute Farook erst ca. ein Jahr verheiratet waren, eine bedeutende Zeit. Derzeit wird nun darüber spekuliert, wer von beiden wen radikalisierte. Als wäre das von Bedeutung. Syed wurde in den USA geboren, seine Eltern waren eingewanderte Pakistanis, seine Frau ist wohl eine Pakistanerin. Die beiden haben sich in Saudi-Arabien getroffen, als er dort zum zweiten Mal war. Wohl auf der Hadsch, auf der Pilgerfahrt der Muslime nach Mekka.
Zurück zum Ablauf: die beiden flohen also vom Tatort. Eine Verfolgungsfahrt schloss sich an, an
Ein Anwohner filmte die Flüchtigen und ihre Verfolger und nahm auch die Geräusche des anschließenden Feuergefechtes auf.
Moment des Zugriffs unmittelbar nach dem Schusswechsel |
Die Erschossene unmittelbar nach Sicherung |
Nicht so diese beiden. Es ist für mich absolut unklar,wie Behörden noch Tage später behaupten konnten: ja, da waren Kontakte zu Extremisten, ja da war eine strengere Auslegung des Islam als die meisten Muslime, die wir als "moderat" bezeichnen, da war eine erkennbare Veränderung, da waren Waffen und Sprengstoffe, die nicht typisch für einen Wutanfall oder spontanten Amoklauf sind und da war ein "stand off", eine abschließende Schießerei die nur auf eine Art enden konnte - aber wir sind uns noch immer nicht sicher, ob das Motive wirklich Terrorismus sein könnte.
Für Obama spielt das alles gleich gar keine Rolle. Seit Dears Tat wiederholt er wieder einmal die Phrase von Waffengesetzen. Als wären Rohrbomben und vollautomatische Gewehre in Kalifornien legal - oder das umbringen von Menschen irgendwo in den USA.
Diese zutiefst unterschiedliche herangehensweise zeigt für mich deutlich, wo Vorurteile, wo Rassismus und wo Missbrauch von Opfern wirklich zu finden ist. Wie seinerzeit die Medienwelt beim Breivik-Attentat jubelte, endlich einen "christlichen" Terroristen, und gleich noch so einen schaurig erfolgreichen, zu haben, so triumphierte das "progressive" Amerika als es endlich sein Feindbild vor die Kamera ziehen konnte. Hier gab es keinen Aufruf, ruhig und besonnen, ohne Verallgemeinerungen und Vorverurteilungen an die Sache heranzugehen und abzuwarten, was die Behörden rausfinden.
Die kamen erst, als es in Kalifornien noch viel mehr Opfer gab und nur dank der schnellen Beamten und der Hilfe des Zufalles noch ein solcher Anschlag verhindert werden konnte.
Es stehen sich gegenüber: ein Außenseiter, der schon seit vielen Jahren durch Verschwörungstheorien und einen erbärmlichen Lebensstil sowie soziale Disfunktion auffiel und ein Ehepaar, welches vermutlich über Monate einen massiven Anschlag plante und dabei mit einer der schlimmsten extremistischen Organisationen sympathisierte, die seit Monaten eine Reihe von Anschlägen in Europa, den USA und Australien zu verantworten haben.
Für mich steht hier deutlich ein Wahnsinniger, der dringend weggeschlossen und behandelt werden muss einem Paar von Terroristen gegenüber - bei denen geklärt werden muss, woher sie Waffen und Sprengstoff hatten und wie viele Menschen wie sie ticken.
Aber das wird wohl nicht geschehen. Das Feindbild ist auch in den USA klar. Der konservative, christliche Republikaner, der womöglich auch noch Waffenbesitzer und am allerschlimmsten Mitglied in der NRA ist.
Und dieses Weltbild ist bei uns noch dramatischer.
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