Samstag, 14. Mai 2016

Salomons Urteil, Augsburger Kreidekreis und "regretting motherhood" - mein "Kinder- und Elterntag"

Wir hatten nun Christi Himmelfahrt (oft als Vatertag umgetauft), wir hatten den Muttertag - ich mache heute meinen persönlichen "Kinder- und Elterntag".

Als jemand, der aus einer Familie kommt, deren Beziehung untereinander nur als defekt bezeichnet werden kann, stehe ich ständig im Konflikt mit den 10 Geboten - zumindest was meine Überzeugung angeht. Vater und Mutter ehren, das ist mir schlicht nicht möglich. Aus verschiedensten Gründen. Mein Beichtvater und ich haben schon einiges an Zeit über diesem Thema verbracht, aber so abgeschlossen der Fall für mich in der Realität ist, so sehr bewegt er meinen Wunsch, den Geboten meiner Religion nachzukommen.
Daher ist die Beziehung zwischen Eltern und Kindern für mich schon immer ein besonders heikles Thema gewesen, und ich neige dazu, einer Lesart zu folgen, die ich in der Bibel wie bei Brecht vorgefunden habe. Und der seltsamen Zusammenstellung bin ich mir bewusst, denn normalerweise mag ich Brecht absolut nicht.
Die meisten Leser dürften die Geschichte des salomonischen Urteils kennen, welches den Streit zweier potentieller Mütter über ein Kind beendete. Beide behaupteten die Mutter des Kindes zu sein, aber erst, als er drohte, das Kind zu halbieren und jeder eine Hälfte zu geben, offenbarte sich jene Frau, die nur von Eigennutz und ihren persönlichen Interessen getrieben das Kind bekommen wollte, während die andere aus Liebe zu dem Kind verzichtete und den Trennungsschmerz hinzunehmen bereit war.
Damit war klar, wer die "wahre Mutter" sein musste - ganz ohne Gentest und völlig gleichgültig, ob sie dieses Kind wirklich geboren hatte.
Der Augsburger Kreidekreis von Brecht ist sehr ähnlich aufgebaut. Ein nach damaligen Vorstellungen reicher Handwerker zur Zeit des 30jährigen Krieges wird bei der Einnahme der Stadt erschlagen. Er hinterlässt Frau, Kind und Gesinde, welche sich eigentlich hätten in Sicherheit bringen sollen. Da die Frau aber zu sehr an materiellen Dingen hing, dauerte der Aufbruch zu lang, so dass sie am Ende überstürzt mit Hab und Gut fliehen muss. Dabei lässt sie das Kind zurück, welches nun von der Magd, die sich ohnehin öfter um den kleinen Mensch gekümmert hat, aufgenommen und versorgt wird. Damit sie, die unverheiratete und nun arbeitslose Magd das leisten kann, kehrt sie zu ihrer Familie zurück, die eine unverheiratete Mutter nicht tolerieren mag, weshalb sie zuerst lügt und schließlich irgendjemanden heiratet, der wirkte, als würde er bald sterben, was natürlich nicht passiert und sie den unangenehmen Menschen ebenfalls erträgt. All dies für das Kind einer anderen Frau, welches sie angenommen hat, ohne je davon materiell profitieren zu können.
Wie zu erwarten kehrt die "Mutter" zurück und nimmt das Kind gegen den Willen der Magd und des Kindes selbst an sich. Die Magd zieht vor Gericht, der Richter läßt die Sache im "Kreidekreis" entscheiden. Das Kind wird in einen Kreis aus Kreide gestellt, welche Frau es über den Rand bringt soll die Mutter sein. Beide Frauen stürzen los, packen das Kind und ziehen. Der dabei verursachte Schmerz läßt das Kind schreien und weinen, worauf die Magd sofort losläßt, während die eigentliche Mutter triumphierend das Kind an sich nimmt - nur um vom Richter zu erfahren, dass sie damit bewies, nicht die richtige Mutter zu sein.

Für mich ist die Lehre daraus bzw. aus meinem Leben und solcherlei Erzählungen: Familie, das hat nicht zwangsläufig etwas mit Blutverwandtschaft zu tun. Familie kann auch jemand völlig fremdes sein, der sich letztlich aber wie ein Elternteil, eine Schwester oder Bruder verhält. Dafür können die eigenen Eltern oder Großeltern oder Geschwister als solche völlig disqualifizieren. Wer seine Kinder wie Ware behandelt, seine eigene Unterhaltung über das Wohl der Kinder stellt, Kinder überhaupt nur um des Erbes oder des eigenen Ansehens bekommt und auch nicht bereit ist, seine Fehler einzusehen, der verliert in meinen Augen das Recht diesen Familienrang zu behalten.

Aus der Perspektive habe ich ein wenig Verständnis für "bereuende Mütter" - ein wenig. Ich denke, alle Eltern kennen die Sorge, Nöte, den Zeitmangel, die Probleme die durch Kinder erstmal mitgebracht werden und wer kann sich freisprechen nicht einmal den Gedanken aus dem Kopf vertreiben zu müssen "hätte ich keine Kinder, wäre das jetzt völlig anders".
Aber genau an dieser Stelle kann man sich als Eltern beweisen. Wenn mir dieser Gedanke nach einer durchwachten Nacht oder einem "Spieltag" voller kleiner Bisse, Pitscher und Hiebe, möglichst stets dort wo es weh tut oder Folgen hat, durch den Kopf schießt, dann erinnere ich mich bewusst und sofort an das warum. Und das sind nicht materielle Dinge, nicht die Alterversorgung oder die helfenden Hände.
Das ist das Gefühl, welches einen überkommt, wenn ein kleiner Mensch in strahlendes oder glucksendes Lachen der Freude ausbricht, wenn er einen sieht. Der auf wackligen Beinen in mühsam erlernten Schritten und mit ausgebreiteten Armen auf einen zukommt, um sich voller Vertrauen fallen zu lassen. Das ist der Wunsch, die Zahl der Liebsten zu vergrößern, Liebe in sein Leben zu lassen, es besser zu machen als die eigenen Eltern und neuen Menschen einen guten Start ins Leben schenken zu können.
Und vermutlich noch vieles mehr. Und mitunter sehr individuell (wie bei mir eben das "besser machen").
Wer sich dagegen aufhält mit: "früher habe ich um diese Zeit entspannt" oder "das Geld reicht jetzt hinten und vorne nicht" oder "wieder kein Urlaub in Südafrika dieses Jahr" und dem stets beliebten "Stress, Stress, Stress. Immer auf den Beinen" usw. der KANN kein Glück finden und fühlen.
Kinder sind ein Segen, ein Glück und eine Bereicherung. Natürlich bringen sie auch Probleme mit sich, man muss auf vieles verzichten und oft genug danken sie es nicht.
Aber wenn man seine Kinder als Menschen erzieht und sich gegenseitig auch später als Mensch begegnet, dann ist der Gewinn, wenn auch nicht materiell, um einiges größer als der Verlust.

Und während ich dies schreibe, hat meine Erstgeborene es sich anders überlegt und den Nachmittagsschlaf, obschon eben noch im Bettchen eingekuschelt, abgesagt. Nicht toll, ich wollte diese Freizeit nutzen, etwa mit diesen Zeilen und längst nötigen Arbeiten am Haus. Aber: meine sonst sehr redefaule Tochter ruft mit einem zarten, vollendet formulierten "Paapi" (kein Schreibfehler, so betont sie) nach mir. Da schmilzt ein Elternherz und man kann sich gar nicht ärgern.
 Bleibt die Hoffnung, es nicht zu versauen, wie meine Eltern. Obwohl deren Fehler zu vermeiden einfach ist, aber es gibt ja genug andere...


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