Mittwoch, 23. März 2016

"Mehrheit der Terroropfer sind Muslime" und "Minderheit ist radikal"

Es hat wieder eingesetzt. Die Beruhigungslitanei der Politik und Medien. Die Beschwichtigungsrhetorik derjenigen, die Probleme lieber verschweigen und keinreden als sie anzugehen.
Einer der jetzt wieder beliebten Sätze lautet: "Die Mehrheit der Terroropfer sind Muslime". Diese Aussage ist einerseits richtig, die absolute Mehrheit der Anschläge die als Terrorismus wahrgenommen werden tötet oder verletzt Muslime. Angeführt wird dieses Argument aber zum einen, um jede Kritik moralisch in Frage zu stellen. Wie kann man die Opfer anklagen? Haben Sie nicht schon genug mitgemacht? Wie kann man Kritik am Islam üben, wenn Muslime selbst leiden?
Zum anderen aber ist es auch ein moralischer Zeigefinger. Wieso jammert ihr? Die paar Toten Christen sind doch nichts im Vergleich zu dem, was den Muslimen passiert. Terror in Europa ist nichts im Vergleich zu dem, was andernorts passiert.
So richtig die grundlegenden Informationen sind - sie sind nur ein Teil und ändern ihren Charakter, wenn andere dazu kommen.

I. Opferbestimmung

So ist die Frage nach dem warum eigentlich aufdringlich und doch ignoriert. Warum werden vor allem Muslime Opfer?

1. Wer verübt die Anschläge, woher kommen sie? 
Der Terror, der angeblich nichts mit dem Islam zu tun haben soll, findet natürlich dort die meisten Anhänger, wo die meisten Gläubigen seiner Lehre leben. Eurozentrisch berichtet unsere Presse natürlich gerne, wie viele IS-Soldaten aus welchem europäischen Land kommen. Dabei sind Pakistan, Türkei, Tschetschenien, Saudi-Arabien, Indonesien usw. usf. ebenfalls "Soldatenspender" - und das nicht zu knapp.
Im September 2015 wurde geschätzt, das ca. 30 000 Ausländer für den IS kämpfen. Darunter die größten Kontingente kommen aus dem angeblich moderaten Tunesien, Türkei, Marokko, Jordanien usw.
Diese Länder haben alle tausende von Kämpfern an den IS verloren - nicht im Kampf sondern weil diese für ihn zu den Waffen greifen.
Auch die Sympathie und Vehemenz mit der aus unserer Sicht "radikalem Gedankengut" begegnet wird ist bei weitem nicht so niedrig, wie immer behauptet, dazu aber unten mehr.
Das in dieser Atmosphäre, bei dieser Zusammensetzung mehr passiert, dürfte gerade jene nicht überraschen, die bereits die kleinsten erkennbaren Ansätze (zu Recht oder nicht) von Rassismus und Nationalismus als Alarmsignal bezeichnen.
Erschreckend ist dabei die hohe Teilnehmerzahl aus Ländern wie Frankreich, England, Belgien und Russland - in Relation zu den dortigen muslimischen Gemeinden ein dramatisches Warnsignal.

2. Wo passieren diese Anschläge auf Muslime? 
Pakistan, Afghanistan, Indonesien, Somalia, Nigeria, Elfenbeinküste, Mali, Sudan, Türkei usw. Neben dem unter 1. angeführten Bevölkerungskomplex gilt: diese Länder sind, was die innere Sicherheit angeht nicht unbedingt die bestausgerüsteten und bestausgebildeten Nationen. Es ist also leichter, einen Anschlag auszuüben.
Angesichts der hohen Zahl an vereitelter Anschläge in Europa in Relation zur Größe unserer muslimischen Gemeinde stehen wir aber keineswegs so viel besser da, was die Absichten und Versuche angeht. Das dies penetrant verleugnet wird, ist ebenfalls als Absichtserklärung zu lesen.

3. Warum werden sie verübt, was für einen Hintergrund haben sie?
Wer sich wirklich mit dem Islam auseinander setzt, stößt auf zwei Gruppen von "Feinden". Die Andersgläubigen (ihrerseits unterteilt in Schriftgläubige und Ungläubige) und die Kafr, die Ketzer.
Die Kafr werden als die größeren Feinde angesehen, wenn es um das Individuum oder Staatsinterna geht. Sie verstoßen als Muslime gegen den Islam, gegen den Willen Allahs und gegen Mohammeds Offenbarungen. Hier liegt ein Verbrechen vor. Säkulare oder wirklich moderate Muslime zucken mit den Schultern und beziehen sich auf einen Koranvers, in dem die Bestrafung Allah überlassen wird.
Ein sehr großer Teil der Muslime weltweit zählt nicht dazu.
Prägnante Beispiele sind die dauerhaften Konfessionskämpfe. Wie es zwischen Sunniten und Schiiten aussieht, das hat Marco Gallina in seinem Löwenblog vor wenigen Wochen angerissen. Die Ahmadiyya werden gleich von beiden verfolgt und ermordet. Fälle aus Indonesien, in denen sich spontan Mobs zusammenfanden, um Mitglieder dieser Konfession vor den Augen von Polizisten tot zu prügeln und die Leichen durch die Strassen zu schleifen oder sich verteidigende Mitglieder nach erfolgreicher Gegenwehr gegen solch einen Mob auch noch zu langen Haftstrafen verureilt werden, machen hierzulande leider selten die Runde, obwohl die Täter selbst stolz Videos ins Netz laden, welche die Tat zeigen.
Den Ahmadiyyas muss man lassen: sie gehören zu den friedlicheren Konfessionen des Islam - keineswegs aber zu den vorurteilsfreien.
Die Aleviten wiederum haben ihre eigene Geschichte in der Türkei - ein geben und nehmen, aufgrund des Minderheitenstatus meist ein einstecken.

Fazit:
Es sind also religiöse, demographische und staatliche Gründe, warum angeblich vor allem Muslime zu Opfern werden. Eigentlich ist das Argument aus dieser Perspektive eher ein weiterer Kritikpunkt am Islam, der die Auseinandersetzung damit bestärken und nicht beenden sollte - aber wer die meisten Informationen weglässt, der wird dies natürlich nicht eingestehen wollen.

Zum anderen gilt: Nur, wer "Terror" ausschließlich in den Opferzahlen von Bombenanschlägen und Massenschießereien zählt, wird zum Schluß kommen, dass vor allem Muslime Opfer werden.
Die Minderheiten in nahezu allen islamischen Ländern erleben einen alltäglichen, oft staatlichen Terror. Vom Verbot ihrer Religion bis hin zu immer wieder geschehenden, unverfolgten Entführungen und Zwangsislamisierungen bzw. der Unterwerfung unter die Scharia.
Wer sich die Statistiken der verfolgten Christen ansieht, kommt auf dutzende Millionen von Menschen, die einem Terror ausgesetzt sind, der ihre Leben vernichtet. Manchmal direkt durch brutale Morde, manchmal indirekt durch das, was ihren Familien, vor allen den Frauen, Schwestern,  Töchtern angetan wird.

Wer glaubt, die Sprecher sind sich dieser Dinge nicht bewusst, der ist löblich naiv. Diese Sätze sind rhetorische Mittel, Ziele zu verfolgen und arbeiten mit der Praxis des Verschweigens, Verleugnens und Lügens.


II. Sympathie und Radikalität in der muslimischen Welt

Ich habe mich ja bereits im letzten Beitrag dazu geäußert, wie wenig von Seiten der muslimischen Gemeinden an Handfestem, am wirklich eindeutig Sicht-, Spür- und Messbarem kommt.
Nach dem letzten Parisanschlag organisierte der Zentralrat der Muslime zwar eine Mahnwache, die wurde allerdings gleich mit gegen Islamophobie gedeutet, es kamen so bescheiden wenige Teilnehmer, dass auf der Bühne mehr Betrieb an Politprominenz herrschte als im Publikum an Muslimen und am Ende sollten die Parteien die ganze Sache noch bezahlen - immerhin war es scheinbar auch ihre Idee. Das Signal war also das genau Gegenteilige - eure Toten sind und eure Angst ist uns völlig egal.
Angesichts von immer noch reichlich fließenden Spenden für Terrornetzwerke, von dutzenden "radikaler" Moscheen und Prediger, von tausenden von in den Krieg ziehenden muslimischen Europäern, von sich wieder intensivierenden Kämpfen innerhalb der islamischen Welt (Stichwort Jemen) muss man schon ziemlich verblendet sein, um die Behauptung, die Radikalen seien statistisch irrelevant und die absolute Mehrheit sei gegen den Terror und die Gewalt weiterhin zu verbreiten.
Ben Shapiro, ein Redner, Anwalt und scharfer Kommentator mit libertärer Ausrichtung aus den USA hat dazu ein Video gemacht, dass sich mit den wirklichen Statistiken auseinander setzt und zu einem völlig anderen Schluss kommt.
Wenn ich die Zeit finde, werde ich demnächst eine Übersetzung davon hochladen. Wer bis dahin Verständnisprobleme hat, bitte melden. Es ist keine Schande eine Fremdsprache nicht zu beherrschen.

Mindestens 680 Millionen Radikale oder Unterstützer von Radikalen. Diese sind nicht alle darauf aus, Christen, Europäer, oder Nicht-Muslime zu töten. Aber ihre Glaubens- und Wertewelt ist vereinbar, oft identisch mit jenen, die sich in U-Bahnen in die Luft sprengen und dabei Unschuldige aller Altersstufen, jeden Geschlechts und jeglicher Werte in den Tod oder das Trauma reißen.

Wer sich nun mit Geschichte auseinander setzt, sei es der NSDAP oder den Bolschewiki in Russland, den Faschisten in Italien, den Franquisten in Spanien, den Maoisten in China usw. usf. der findet sehr ähnliche Datenlagen. Nirgendwo kommt die "direkte Unterstützung an die "absolute Mehrheit", aber überall gab es einen soliden, wenn auch mitunter "klein" wirkenden Teil von Anhängern.
Es ist für die Außenwirkung wie die Folgen also bspw. wesentlich wichtiger, wie stark der Widerstand ist. Der Wille, etwas zu tun. Und angesichts der verschiedenen Gelegenheiten, bei denen Maßnahmen in diesem Lande abgelehnt, kritisiert und totgeredet wurden, kann ich da kaum etwas erkennen.
Das liegt, um es nochmal zu betonen, nicht daran, dass es keine Muslime gäbe, die ihn hätten (Necla Kelek, Hamed Abdel-Samad, Bassam Tibi uvm.) - aber die "Toleranzbesoffenen" (man sehe mir diese kleine Beleidigung bitte nach, der Frust muss raus) verhindern Hand in Hand mit den Radikalen unter den Muslimen, dass sie zu einer breiten Bewegung gelangen können.

Wenn sich daran nichts ändert, wird es zu spät sein. Macht einen kritischen Muslim zum Chef einer anerkannten Dachorganisation. Gebt ihm oder ihr Personenschutz und erkennt diese Organisation an. Sie sollte die einzige sein, die Moscheen erlaubt, Prediger zulässt und Islam an den Schulen verwaltet. Der Gebetsräume an Unis überwacht und und und.
Nicht Ditib, nicht Salafisten, nicht der Zentralrat der Muslime. Alle drei haben ihre eigenen radikalen Tendenzen. Teilweise offen, teilweise leicht versteckt.
Ich vermute aber, wir ziehen jetzt die Appeasementpolitik durch, bis es zu spät ist. Mir graut vor dem, was da kommt.



1 Kommentar:

  1. Wieder schön klar und nüchtern auf den Punkt. Leider glaube ich persönlich, dass der Moment der „kritischen Muslime“ vorbei ist; wir hatten sie (wie von dir aufgezählt), aber nicht nur Resignation macht sich breit: ein Mann wie Abdel-Samad muss mit seiner Einstellung um sein Leben fürchten. Viele Vertreter des Lagers, die von einem Euro-Islam sprechen, führen dann immer wieder an, der Islam brauche eine „Aufklärung“. Die Zahl der von radikalen Katholiban bedrohten und getöteten Aufklärer hielt sich allerdings während des 18. Jahrhunderts im überschaubaren Rahmen.

    Ich will es nicht an die Wand malen, aber ich fürchte nach den neuerlichen Geschehnissen, dass selbst beim schlimmsten anzunehmenden Vorfall in Deutschland viele immer noch lieber ihre Phrasen wiederholen. Erwähnte ich, dass ich zu Schulzeiten die Hauptrolle in Max Frischs „Biedermann“ spielen durfte? Deja-vus wohin ich heute nur sehe.

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