Sonntag, 3. April 2016

Irlandkonflikt - ein Konfessionskrieg?

Bodo Ramelow behauptete jüngst, wie es mancher in der Republik gerne unternimmt, dass der Irlandkonflikt ein Konflikt der religiösen Fanatiker war.
Ja, es gab in dem Konflikt auch eine religiöse Note, denn die Iren sind mehrheitlich Katholiken, ihre "Feinde", die englische Regierung, die von ihnen angesiedelten Neu-Iren und die britische Armee sind bzw. waren mehrheitlich protestantisch oder anglikanisch. Die religiöse oder besser konfesionelle Stimme war also unvermeidlich. So unvermeidlich, wie sie es im Krimkrieg war, wie sie es im japanisch-russischen Krieg war, wie sie es in dutzenden Kriegen und Konflikten der Welt war und ist. Note bedeutet in diesem Fall die Anwesenheit der jeweiligen Religion während des Konfliktes und mitunter die auf den Lippen geführten Bekenntnisse.
Religiöse Lebensmomente wurden genutzt, um dem "Feind" zu begegnen. Dazu gleich noch mehr.
Anders als bspw. im Syrien- und Irakkrieg gegen den IS ist aber die Religion weder als Begründung, Motivator noch Katalysator im Einsatz. Im Gegenteil. Es waren katholische Priester, die bei den friedlichen Protestmärschen vorneweg gingen, in der Hoffnung, den Frieden zu bewahren, indem sie beruhigend auf die Iren einwirkten und den Soldaten Englands signalisierten, dass hier kein bewaffneter Feind anmarschiert.

 Namensgebung als Signal

Schon nach außen hin signalisierten die beteiligten Gruppen, dass es ihnen nicht um die Religion ging. Die "IRA" auf der einen, " (Ulster) Loyalisten" oder "Oranjes"" und "British Army" auf der anderen Seite.
Keine der beiden Fraktionen betonte ihre Religion oder Konfession. Vielmehr wurde wert auf nationale Zugehörigkeit gelegt, und es ging nicht um die Errichtung eines religiösen Staates, Durchsetzung eines Glaubensbekenntnisses, Auslöschung der jeweils anderen Konfession. Begriffe wie "Ungläubige, Häretiker, Ketzer, Frömmler" oder sonstiges aus dem reichhaltigen Vorrat dieser Schmähungen waren eben nicht die Norm, ja nicht mal ordentliche Ausnahmen.

"Corporal killings"

Heute fast vergessen ist ein Vorfall, eigentlich eine Serie, der meine Behauptung erklärt, wie kaum ein anderer. Am 19.03.1988 gerieten zwei englische Soldaten außer Dienst mit ihrem Fahrzeug in eine katholische Beerdigung. Zu Grabe getragen wurde Kevin Brady (mit irischem Namen Caoimhín Mac Brádaigh). Dieser war drei Tage zuvor von einem Attentäter der Loyalisten, Michael Stone, zusammen mit zwei anderen auf einer anderen katholischen Beerdigung ermordet worden. 60 weitere Besucher der Grablegung wurden dabei verletzt.
Der Rahmen ist also klar religiös. Eine Beerdigung. Ist dies ein religiöser Ansporn zu morden? Für Michael Stone war klar, dass auf der Beerdigung von IRA Mitgliedern, denn darum handelte es sich, auch eine große Zahl weiterer IRA Mitglieder zu treffen seien. Und so war es auch. Kevin Brady war ebenfalls IRA Mitglied.
Hier ein Video mit Bildern des Attentates.

Die beiden britischen Soldaten gerieten drei Tage späer durch einen unglücklichen Zufall in ihrer Freizeit in die Prozession - und wurden von den durch den zuvor geschehenen Angriff sehr sensiblen Sicherheutsleute und Besucher für weitere Angreifer gehalten. Sie umringten aufgebracht den Wagen, bedrohten die Insassen, von denen einer seine Pistole zog und einen Warnschuss abgab - ein fataler Fehler. Die Menge begriff dies als Angriff, zerrte die beiden aus und von dem Auto weg.
Und hier ist die Religion, die Konfession das Gegenteil des von Ramelow behaupteten. Der Priester Pater Alec Reid versuchte, für die beiden zu diesem Zeitpunkt bereits übel zugerichteten Männern, die nun auch noch gefoltert wurden, einen Krankenwagen zu organisieren und sie von dort weg zu bringen. Es waren Mitglieder der IRA, die ihn daran hinderten und vom Platz abdrängten. Man drohte ihn zu erschießen.
Die beiden Soldaten wurden fortgebracht, auf eine nahegelegene Mülldeponie und dort 10 Minuten nach Beginn der Ereignisse erschossen. Pater Reid war ihnen unter Lebensgefahr gefolgt, hatte erneut versucht einzugreifen und gab den beiden Opfern am Ende die Sterbesakramente.
Dabei entstand das berühmte Photo.
Auch dieses Ereignis war von Reportern gut dokumentiert worden.


Pater Reid und der Frieden

Es ist der gleiche Pater Reid, der später bei den Friedensverhandlungen in den 90er Jahren maßgeblichen Einfluß auf die irische Seite nehmen sollte und so das Ende der Kämpfe erwirkte.
Das Abkommen zur Beendigung der Gewalt wird u.a. "Karfreitagsabkommen" genannt.
Die Friedensfindung trägt also mindestens ebenso eine religiöse Note, wie der Konflikt selbst.


Andere Ereignisse

Egal, welches der blutigen Ereignisse man sich ansieht, bspw. die "Bloody Sundays" von 1971 (hier wurde ein katholischer Priester Pater Hugh Mullan, von einem Scharfschützen ermordet, als er einem verletzten helfen wollte) oder von 1972 (eine Reihe von Teenagern wurde z.T. hinterrücks erschossen, ein katholischer Priester, Edward Daly, versuchte mit anderen Freiwilligen einem der Getroffenen zu helfen), es finden sich keine religiösen Motive - lediglich religiöse Begleitumstände, wie besagte Beerdigungen. Im Gegenteil, die katholischen Priester interessierte es ebenso einen feuchten Dreck, welcher Konfession die Menschen, denen sie Trost und Sakramente spendeten angehörten, wie die Soldaten und Terroristen, die ihnen Gesundheit oder Leben nahmen.
Nicht ein Soldat der mörderischen Fallschirmjäger, nicht ein IRA Angehöriger nannte die Konfession als Motiv, als Grund für sein tun.
Ausgesprochen selten, mir von Seiten der Anführer sogar völlig unbekannt, wird Religion, religiöse Texte oder Worte Christi angeführt.

Vielmehr kann man den Nordirlandkonflikt nicht von der Geschichte Irlands und Englands trennen. Von den ersten Besetzungen über Cromwell bis zur Unabhängigkeit.

Man muss entweder von Geschichtsklitterung verblendet sein oder selbst zu einem bestimmten Zweck an ihr teilhaben, um zu behaupten, was Ramelow von sich gab. Schade, dass diese Aussage nicht in Frage gestellt wurde. Vor allem angesichts der Nebeneinanderreihung der hunderten von Terroranschlägen der letzten Jahre und der angeführten Gegenbeispiele.

Randnotiz:
 Michael Stone, der Attentäter vom Begräbnis in Milltown, wurde 2000 im Rahmen des Friedensabkommens freigelassen und 2006 erneut verhaftet und zu weiteren 16 Jahren Haft verurteilt - er hatte im Parlament Bomben gelegt, bewaffnet das Parlament betreten und die Sicherheitskräfte verletzt.

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