Mittwoch, 6. April 2016

Schreibblockade - eine Bergmetapher

Vielleicht kennt der ein oder andere das. Man steht vor etwas und weiß nicht weiter. Oder ist einfach unglaublich erstaunt.
Mir geht es so. Beruflich beschäftige ich mich gerade mit etwas, dass ich versuchte zu meiden, wo es geht. Zeitgeschichte. Also die erst jüngst zur Vergangenheit gewordene Geschichte. Dinge, die nach dem einzig zulässigen deutschen Ereignis der Geschichtsschreibung passierten - als BRD / DDR Gründung, Abkommen, Wirtschaftswunder, Kalter Krieg bis hin zur Wende. Und mittlerweile auch bereits darüber hinaus. Ja, so lange ist der Mauerfall schon her...
Und worauf ich dabei stoße, sind so viele kleine Aufreger, so viele kleine Ähnlichkeiten zu aktuellen Entwicklungen, so viele Namen die heute wieder an prominenter Stelle auftauchen das mir etwas anders wird.
In mir brodelt es - seit Silvester bereits aber die zwischenzeitliche Abkühlung hat sich dadurch wieder erledigt. Und jetzt steht man vor diesem Berg von Informationen, staunt über seine Größe, blickt sich um und merkt: die Leute sehen den gar nicht. Ein paar stehen neben einem. Ähnlich erstaunt oder immerhin stutzend. Einige gehen weiter, andere bleiben wie man selbst nach Luft und Worten ringend stehen. Im Berg sieht man dutzende grausame Szenen, die einen fesseln und nicht mehr loslassen.

Man will schreien, glaubt es auch zu tun. Aber scheinbar stumm. Oder es geht unter im Lärm um einen. Denn das ist das nächste Auffällige. Um den Berg herum stehen Menschen und lärmen, schreien, wedeln mit bunten Bildern. Sie unternehmen alles, um die Menschen abzulenken, zum weitergehen zu bewegen. Man selbst merkt, wie man mitunter einen Schritt macht, den Kopf beginnt zu senken. Süße Kätzchenbilder bewegen vielleicht nicht, aber da sind unangenehme Details über das Privatleben eines Autors, der über diesen Berg schrieb. Da ist ein Tourguide, der einem anbietet, den Berg zu erkunden, nur um dann einmal drum herum zu gehen und zum weitergehen aufzufordern...

Aber genug der Metapher. Ein konkretes Beispiel.
Wer sich noch öffentlich-rechtliches Fernsehn antut, der wird derzeit mit einem Dreiteiler über den NSU "informiert". Eine Miniserie, die, vor Ende des Prozesses, bereits dem Zuschauer vermeldet, was passiert ist. Auch wenn das sehr oft niemand außer Zschäpe weiß. Die wiederum nur wenig sagt.
Jedenfalls werden gegenüber der Polizei darin, und dank des hohen Niveaus unserer Journalisten folglich auch erneut in mehreren Zeitungen, Vorwürfe der Vertuschung und Schlamperei laut, der bewussten Vereitlung der Strafverfolgung.
Und gerade vor wenigen Tagen stolperte ich über den Namen Plüschke. Vielleicht erinnert sich mancher der Zeitzeugen.
Herr Plüschke war Grenzer und in einen Schusswechsel an der deutsch-deutschen Grenze 1962 verwickelt. DDR Grenzer hatten versucht Bundesgrenzer festzunehmen, nachdem sie den Eindruck hatten, BGS Beamte hätten erneut die Füße über der Grenze (ein grüner Grenzbereich, nicht eindeutig erkennbar). Bei dieser versuchten Festnahme ordnete der kommandierende Offizier einen Warnschuss an. Die BRDler nahmen den Schuss aber als das, was damals an der DDR Grenze durchaus vorkam - einen gezielten Schuss und die Festnahme als versuchte Entführung. Eine damals gängige Methode der Stasi. Daher "erwiderten" sie das Feuer. Eine Schuss aus dem Gewehr Plüschkes traf und tötete den Hauptmann der Grenztruppen, Rudi Arnstadt. Die DDR Propaganda, allen voran der "Schwarze Kanal" unter Eduard von Schnitzler schlachtet diesen "Märtyrertod" aus. Ein Stein wird gesetzt, der von "gerechter Strafe" gegenüber den "Mördern" spricht.
Nach der Wende lebt Plüschke einerseits in Angst, andererseits im Bedürfnis, seine Version der Abläufe darzustellen. Er geht an die Öffentlichkeit, trägt aber eine Waffe bei sich, um sich zu verteidigen.
1998 wird er ermordet. Er befand sich auf der Fahrt um Gäste aufzunehmen. Die Abläufe sind bis heute unbekannt, ebenso wie der Täter. Unweit der Stelle, an der die Geschehnisse von 1962 stattfanden wird er mit genau der gleichen Wunde die auch Rudi Arnstedt tötete aufgefunden. Es war kein Raub, seine Einkünfte als selbstständiger Taxiunternehmer liegen unangetastet neben ihm.

Wäre nicht der Ort und die Wunde, so könnte man von Zufall ausgehen, so aber schreit alles danach, dass es sich um die Vergeltung eines "ewig Gestrigen" gehandelt hat. Um jemanden, der nicht vergessen hat. Und nachdem zweifelsfrei geklärt war, wer seinerzeit schoss, wurde Rache genommen.
Es handelt sich also durchaus um einen politischen Mord. Eine Vergeltungstat.
Aufgeklärt ist er bis heute nicht.
Solche und viele ähnliche Fälle, die kaum oder gar keine Schlagzeilen machen stehen direkt neben dem seit Jahren schlagzeilenträchtigen NSU - als würden diese Opfer nichts zählen.
Wer soll angesichts dieser eindeutigen Entwicklung, diese Wertung von Menschenleben noch Worte finden.

2 Kommentare:

  1. Sie!Bitte finden Sie Worte, weil es sonst fūr die "anderen Opfer" keiner tut. Immerhin kenne ich das Schicksal des Grenzers doch auch. Ist das nichts wert?

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    1. Doch, das ist viel Wert. Ich hoffe, Sie sprechen auch darüber, denn heute werden diese Opfer gerne vergessen. Was jedes Jahr am Gedenkstein der Opfer des Stalinismus passiert ist eine unbeachtete bzw. ignorierte Schande der Nation.
      Für die Ermunterung danke ich sehr, auch wenn ich mich selbst nicht als Stimme der Opfer sehen kann und mag. Ich habe, Gott sei Dank, keine Verwandten an der Grenze verloren, aus der Familie meiner Frau (Ostdeutsche) ist niemand in den Knast gegangen. Eher im Gegenteil, kenne ich aus meiner Zeit in Sachsen eine Reihe von Mitläufern und Tätern.
      Es frustriert aber unglaublich, wie verlogen und verheuchelt die Gesellschaft Menschenleben wertet.

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