Sonntag, 21. April 2013

Fortsetzung der Diskussion über Minarette, Demokratie usw.

Zuerst meine Bitte um Entschuldigung. Ich trage ja überdeutlich zur Ausuferung unserer Diskussion bei. Es ist nicht meine Absicht auf alles ewig lange Texte zu verfassen noch von Stöckchen auf Hölzchen zu kommen, empfinde es aber als Notwendigkeit.
Dann die Bitte: unbedingt lesen: Necla Kelek zu diesem Thema.
Moment. Es ging um die Symbolhaftigkeit der Minarette. Da von Demagogie und Hetze zu reden, find ich ein wenig übertrieben. Ein Bauwerk ist keine Hetze.

Es ging um diesen Satz hier: "Ähnlich wie die vielfache Benennung von Moscheen nach dem Schlächter von Konstantinopel, was man nicht anders als ein Signal in unsere Richtung verstehen kann, sind auch Min. und die von ihnen klingenden Rufe eine Aussage die uns betrifft."
Daraufhin sprachst Du von Redefreiheit - was ich zwar direkt auf den adhan (Gebetsruf) bezog aber indirekt auch auf die Botschaften in den Symbolen - Redefreiheit bezieht sich nicht nur auf das gesprochene / geschriebene Wort.
Wer ständig von "Überlegenheit" , spricht, von der eigenen Stärke im Kontrast zur Schwäche und den Irrtümern der anderen geht sehr wohl in jene Richtung, wer dazu seine wichtigsten bzw. zentralen Gebäude als offensichtliche Ehrung nach jemandem benennt, der den Krieg gegen die "Unterlegenen" mit äußerster Härte führte - was ist das anderes als Demagogie? Versetze dich bitte in die umgekehrte Situation - meinetwegen auch eine Abstrakte. Nicht umsonst wurden bspw. Strassen von Namen wie "Göring" befreit. Eine Kirche in Israel "Torquemada" zu nennen ist für uns nicht umsonst undenkbar und unmöglich, ebenso wie Kirchen in Jerusalem mit Kreuzfahrersymbolen als Bauelementen zu überziehen.
Das setzt sich, von Dir und einem großen Teil der Bevölkerung mglw. unbemerkt ,dann auch an anderer Stelle fort. Wer die türkische Verfilmung der Eroberung von Konstantinopel "Fetih 1453" oder die türkische Serie "Tal der Wölfe" gesehen hat wird eine Heldenverklärung, Geschichtsklitterung und Dämonisierung sehen, die man zuletzt in Machwerken sah, welche heute klar mit dem Stempel Propaganda versehen sind und durchaus zum "auf Linie bringen" beitrugen.
Ähnlich verhält es sich eben auch mit Minaretten. Ich wiederhole es: diese sind nicht nur Gebäudeelemente, nicht nur Zierde. So wenig wie eine Schild mit der Aufschrift "Deus vult" oder "Novit enim Dominus qui sunt eius" am Gartentor oder als Eingangsspruch einfach nur Zierde wäre.
Ähnlich sieht man das in Fällen wie diesem. Dabei ist das besagte Symbol selbst in anderen Kulturen völlig anders belegt.

Aber ich bin skeptisch, ob man das wirklich unter allen Bedingungen erkennen kann.

Das ist Dein gutes Recht. Aber mal ehrlich, wenn jemand oder etwas Schmerzen (körperlich / seelisch) hat erkennt man das. Sei es am Gesichtsausdruck, der Körperhaltung oder von sich gegebenen Geräuschen. Und egal was mich dazu getrieben hat, das zu verursachen, spätestens beim Eintreten sollte dann der Mensch, egal ob religiös oder nicht merken: was tue ich da?
Es gibt historisch jede Menge Beispiele von Menschen, die genau das bezeugen. Und natürlich gibt es Situationen, in denen man den Menschen nur einen gemilderten Vorwurf machen kann. So wenn sie die Auswirkungen gar nicht erleben, wenn sie aufhören wollen aber zum weitermachen gezwungen werden etc. (schmerzhaft über solche Dinge nachzudenken). Aber einem bspw. in Rassismus gleich welcher Art Aufgewachsenen wird deutlich vor Augen geführt, was er einem Menschen antut, wenn er ihn vergewaltigt, versklavt, verwitwet usw. Er entscheidet da für sich, dass es ihm egal ist, das er dieses Leid anders bewertet.

Hierzulande in einer anderen "Welt" aufzuwachsen ist nicht schwer. Aber überhaupt nichts von der Welt der anderen mitzubekommen ist nahezu unmöglich. Gerade die Parallelwelt die wir ansprechen ist dank Handy, PC, TV, Schulpflicht, Werbeflächen und weißnochwo stets präsent.
Sie aus Angst zu meiden bedeutet nur die Wahrheit der "Druck muss sein" Theorie zu belegen. Denn diese Menschen werden als Opfer von sich aus niemals / selten wahrgenommen werden.
Sie aus Ignoranz zu meiden ist selbstverschuldet. Sie aus Gruppendynamik zu meiden ebenso. Man entscheidet sich. Und das meine ich, als jemand, der stets und bewusst ein Außenseiter war, ehrlich.

Was Regierungschefs angeht, so muss ich zugeben, dass meine gedanklichen Lösungen oft in eine Richtung gehen, die einer Art Kolonialismus gleichen, und das kann ich nicht akzeptieren, schon gar nicht vor dem Hintergrund der Gräuel die darin begangen wurden, vor allem aber vor der erlebbaren Fehl- und Verführbarkeit bei unseren Vertretern wie uns selbst. So muss ich auch hier passen. Was da die Lösung ist, weiß ich nicht. Aber unterschiedliche Maßstäbe wenn es um Menschen und ihre Gebilde geht sind nicht in Ordnung. Das führt letztlich zu unbeachteten Opfern, Eskalation und Bigotterie.

Diesen Eindruck kann natürlich ein scharfes Durchgreifen erwecken, aber ich habe Bedenken. Eine Tochter, die für die Aussöhnung Todesgefahr auf sich nimmt, wie sieht die wohl die scharfe Bestrafung ihrer Familie? Erst muß über den Bildungsweg vermittelt werden, daß sie tatsächlich Opfe rund die Täter tatsächlich Täter sind. Bevor das Opfer das nicht begreift, kann jedes harte Durchgreifen erfolgreich als Islamophobie dargestellt werden, nach dem Motto: Seht her, wir haben uns Versöhnt und nun kommt der islamophobe Staat und stiftet Unfrieden…

Da hast Du Recht, aber ich sprach ja auch von einem mehrgleisigen Lösungsweg und von "gesellschaftlichem Druck", nicht von "scharf durchgreifen". Mit Polizeihunderterschaften von jetzt auf gleich anzurücken und die "No Go Areas" zu "befrieden" ist eine macchiavellische Lösung, und dieser warnte selbst davor das solches Vorgehen dann gnadenlose Blutbäder erforderte oder nach sich ziehe.
Das die Gesellschaft aber einfach nur zusieht, wie Mädchen aus Frauenhäusern wieder zu Familien zurückkehren, die sie misshandeln, bedrohen und schließlich auch mißbrauchen ohne ein wachsames Auge und bspw. aufgezwungene Unterstützung zu leisten geht auf Kosten der Mädchen. Man kann durch Aktionen viel kaputtmachen - die Alternative ist dem Drama von außen zuzusehen. Ich will es lieber versuchen.

Lüdemann verlor seinen Lehrstuhl, Küng bekam die Lehrerlaubnis entzogen, und wahrscheinlich noch ein paar mehr. Ich bin davon auch nicht begeistert, aber es ist Teil des Systems, das an sich so schlecht nicht ist.

Diese bekamen die Stellen "von oben" entzogen, Küng bspw. weil er nicht einfach nur "kritisch" war oder in einem Punkt uneins, sondern, nachdem er jahrzehntelang gelehrt und durchaus auch starken Einfluß und hohe Positionen besetzt hatte, dabei aber den gewünschten "Gesprächen" und "Anfragen" stets ablehnend auswich. Der Mann ist trotzdem weiterhin Priester, traf den Papst usw.
Ähnliches gilt für Ranke-Heinemann - welche man heute regelmäßig als schreiende Anklägerin in Talkshows auszuhalten hat, in denen sie pauschalisiert und dämonisiert bis die Balken brechen.
Bei Sven Kalisch war es anders. Weil er es wagte, eine Exegese vorzunehmen, also die eigene Religion nach den Maßstäben der Religions- und Wissenschaftsfreiheit zu behandeln haben sich seine Schüler und Assistenten gegen ihn gewandt. Ihr Einspruch lautet unter anderem, dass solch progressives Denken ihre Ausbildung bei den Muslimen diskreditieren würde und sie keine Akzeptanz fänden. Und am Ende fühlte sich der Professor sogar an Leib und Leben bedroht, bis er sich nicht mehr als Muslim fühlen konnte. Das sind dann doch andere Verhältnisse als in den besagten und angedachten Vergleichen.
(und ich muss zugeben, der Name Lüdemann sagt mir gar nichts.)



Doch muß auch keiner zur Ditib gehen. Wenn es parallel Angebote gibt, in Deutscher Sprache und mit Kontakt zur Wirklichkeit, dann wird sich das durchsetzen. Die Migrantenkinder können heute schon kaum mehr türkisch, die Imame wissen zum Teil um das Problem mit der Kommunikation. Auch diese Situation erzeugt Druck. Da kann die Religionsbehörde stur bleiben, und sehen, wie die Felle wegschwimmen, oder sich öffnen. Eine schwache Ditib bedeutet aber auch mehr Chancen für die wirklich Radikalen, wie Pierre Vogel und seine Gang.
Nur ist die Ditib nicht schwach, die Menschen meiden sie nicht - auch nicht bei parallelen Angeboten. Bei der Wahl entscheiden sie sich für sie - wie die Bundesrepublik übrigens auch. Nicht zuletzt auf sanften und unsanften Druck der Türkei selbst, und diese spielt ja ebenfalls eine wichtige Rolle in der Integrationsfrage. Brüskiert man die Türkei brüskiert man einen großen Teil der türkischstämmigen Muslime. Die größten Moscheen in Deutschland sind Ditib Moscheen.
Diese Sachlagen kritisieren Menschen wie Necla Kelek immer wieder.
Die Alternative wäre hier, alle Imame und Islamlehrer zwangsweise aus "westlicher Bildung" herzuholen. Was das bedeuten würde weißt du so gut wie ich.

Ich weiß nicht, worauf Du mit den Städtenamen anspielst.
Auf die jüngsten Beispiele von modernem, aufgeschlossenem und tolerantem Islam und dessen Entwicklung. Marxlohe, die bislang wohl größte Moschee in Deutschland hat vollmundige Integrations- und Toleranzversprechen gegeben. Die wurde nicht eingehalten, Integrationskurse gestrichen, Gelder veruntreut, die Türen für kritische Frager geschlossen gehalten.

Kerne und Zentren können sich bewegen. Neue Ansichten entstehen. Wenn ich ans Christentum denke und mich frage, wo da die Zentren sind und waren, dann ergibt sich da durchaus eine Fluktuation. Was spricht dagegen, daß Deutschland Ägypten udn Saudi Arabein als Zentrum ablöst?
Nein und alles. Ja, in den ersten Jahrhunderten gab es einige Bewegung in christlicher Geographie. Rom gilt mittlerweile zumindest den Katholiken seit Jahrhunderten als Zentrum. Das wird sich nicht mehr so schnell ändern. Das "Heilige Land" gilt wohl allen Christen mittlerweile seit wenigstens deutlich über einem Jahrtausend als Entstehungsort und besondere Region.
Im Islam ist das noch viel deutlicher ausgesprägt. Mekka ist und bleibt ein, den Muslimen vorbehaltenes, Zentrum des Islam, ebenso wie Medina und leider wohl auch Jerusalem. Das sind sie bereits seit Mohammeds Zeiten. Die theologischen Zentren schwanken zwar ein wenig in ihrem Standort, in ihren Überzeugungen und Lehren weit weniger. Die vier Rechtsschulen des sunitischen Islam dominieren diesen mittlerweile seit ca. 1000 Jahren den Islam - und wer hinter politische Ausgleichsbemühungen blickt erkennt auch klare Linien. Die Herausbildung neuer Linien führte zu blutigen Konflikten die zum Teil bis heute anhalten.

Babylon war auch jüdisches Zentrum, ohne im Heiligen Land zu liegen oder auch nur eine jüdische Mehheit zu beherbergen…
Wieder ein schwacher Vergleich, denn 1. haben wir große Probleme Legende und Fakten dieser Zeit auseinander zu bewegen, 2. war Babylon zu Zeiten des Exils sehr wohl in jeder Hinsicht ein Zentrum, 3. hatten die Eliten der Juden keine Wahl bzgl. Babylon und Judentum, 4. war allgemein anerkanntes Zentrum nach der Freilassung trotzdem Jerusalem / Zion.
Genausogut hättest Du auf die jüdischen Zentren in römischer Zeit hinweisen können, wie etwa Alexandria. Auch hierbei ist die Diaspora das entscheidende Element.
Man könnte also in Dein hypothetisches Szenario nur einen Fall Saudi-Arabiens nach dem Muster alter Zeiten einflechten um es in Gang zu bringen.

Im Zweifel müssen die Nichtintegrationisten lernen, daß es eben kein Bajonett ist, sondern ein Turm.
Die Gedanken sind frei. Ich kaufe Erdogan nicht ab, dass er von diesem damals zitierten Gedicht abgerückt sei. Den Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie ein Symbol zu verstehen haben klappt nur bei "good will", und den haben Integrationsunwillige und Islamisten garantiert nicht.

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