Mittwoch, 17. April 2013

Toleranz und Türkei

Egal wie oft und wie lange ich mich mit der Politik der Türkei beschäftige, ich komme stets zum gleichen Ergebnis. Ein Rätsel bleibt mir hingegen, wie sich Menschen wie Claudia Roth gegen diese Fakten einfach verwehren, obwohl sie sie kennen. So wurde von ihr beim letzten Besuch Erdogans vor allem die Türkei-Politik der Bundesregierung kritisiert, obwohl die darauf folgende Kritik an der Türkei deutlich drängendere Probleme bezeichnete. Trotzdem fordert sie weiterhin die "Integration der Türkei in die EU".
Das bei ihrer Aufzählung die Toleranz, oder vielmehr ihre Abwesenheit gegenüber Andersgläubigen gar nicht zur Sprache kommt, dass die angebliche Trennung von Staat und Religion durch die Ditib ins Negative verkehrt wird, die militärische Besetzung Nordzyperns, die Verweigerung der Nutzung von Bodenschätzen Zyperns und Griechenlands gegen bestehende Verträge, all das findet bei Claudia Roth in der Öffentlichkeit kaum oder keinen Ausdruck. Kein Wort darüber, dass Zypern bereits seit Jahren durch Förderung der Bodenschätze die aufziehende Krise hätte selbst überstehen können, wenn die Türkei nicht mit Kriegsschiffen angerückt wäre.
Dafür gibt es das legendäre Interview, in welcher sie neben ein klein wenig Kritik und eine heute in den Hintergrund gerückte "Kampfansage" in Sachen Hrant Dink vor allem verklärt und verharmlost.
Wie gesagt, es gibt unglaublich viele solche Menschen in Deutschland oder solche, die deren Art mittragen.

Tilman Geske & Familie
Bischof Luigi Padovese
Auf der anderen Seite steht die Realität in der Türkei. Obwohl bspw. ARD und ZDF ein anderes Bild kolportieren ist in der Türkei Diskriminierung an der Tagesordnung, und keineswegs eine gewaltlose oder Einzeltäter. Von der auf viele Drohungen folgenden Ermordung des Priesters Andrea Santoro über die Ermordung des Bischofs Luigi Padovese, der Christen Tilman Geske, Necati Aydin und Ugur Yüksel, diversen Attacken bis zu Mordversuchen. Das die meisten dieser Vorfälle in Deutschland und Europa nicht allzuviel Aufsehen erregten, kaum darüber berichtet wurde spricht ebenfalls Bände.

Stattdessen wird auf Erfolge verwiesen, die Toleranz und Entwicklung bedeuten würden. Wie es darum dann bestellt ist, zeigt zum einen die noch immer nicht erfüllte Verspruchung das Priesterseminar auf Chalki wieder zuzulassen, zum anderen der Fall der Bauerlaubnis für eine syrisch-orthodoxe Kirche. Das zugewiesene Land und daran gebundene Bauerlaubnis sind nämlich auf einem katholischen Friedhof angesiedelt, der zwar 1951 enteignet wurde, bei dem aber ebenfalls eine Forderung der katholischen Kirche vorliegt, das Gelände zurück zu erhalten und dort wieder bestatten zu dürfen.
Und andersherum wurden in den letzten Jahren etliche christliche Heiligtümer, welche nach der gewaltsamen Eroberung und Islamisierung des Landes durch die Turkmenen / Osmanen zu Moscheen ent- und umgeweiht wurden, dann aber durch Ataturk als Zeichen der Annäherung und Versöhnung zu Museen umgewandelt, wieder zu Moscheen gemacht oder dies beantragt. Besonders "unsensibel" ist dies im Fall der Kirche von Trabezon. Dort wurde vor wenigen Jahren der Priester Andrea Santoro von einem jungen Muslim während des Gebetes in einer anderen Kirche wegen seiner Religion und seiner Funktion erschossen. Dabei spielen die Behörden eine wichtige Rolle, ebenso wie im Fall der Hagia Sophia von Nicäa und den Überlegungen zur Hagia Sophia in Istanbul. Die Versuche das Kloster Mor Gabriel zu enteignen sind mittlerweile immerhin weit bekannt, aber auch sie finden kaum noch Beachtung in den Veröffentlichungen des Alltags.
Mor Gabriel
Und noch deutlichere Zeichen setzte die türkische Militärführung, als sie im Zuge einer Offensive gegen die PKK mehrere christliche Dörfer mit Flüchtlingen aus dem Irak bombardieren ließ.
Die Prozesse gegen die Mörder in den oben genannten Fällen sind samt und sonders durch Verschleierung und Verzögerung geprägt, ebenso wie jener gegen die Mörder des armenischen Journalisten Hrant Dink. Währenddessen nutzt die türkische Regierung die NSU Mordserie und den Prozess, um offen die ehrlichen Absichten Deutschlands anzuzweifeln und bei jedem Hausbrand eigene Ermittlungen aufgrund der angeblichen Fragwürdigkeit Deutschlands anzustrengen.
Die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern, trotz unzähliger Quellen als Beweis, ist heute noch immer üblich. Das einzige Versöhnungsdenkmal ließ Erdogan selbst abreißen.
Gegen Einzeltäter oder eine von oben vorgeschriebene Diskriminierung sprechen Umfragen und Volksaktionen wie die von der IGFM offengelegte Unterschriftensammlung der Grauen Wölfe zur Vertreibung des Patriarchen von Istanbul, welche von 2,5 Millionen Türken unterschrieben wurde.
Oder die Umfrage, nach der wenigstens die Hälfte der Türken keine Atheisten, Juden oder Christen als Nachbarn dulden. Sprechen Priester und Gemeinden offen, so bekommt man ein Bild gezeichnet, dass eher zu den oben beschriebenen Vorfällen passt, als die vom ZDF verbreitete Euphorie, obwohl sie es besser wissen. So auch von Erzbischof Ruggero Franceschini.
Das Problem dabei dürfte, wie die jüngsten Terroranschläge zeigen, nicht nur der Islamisus sondern auch der Nationalismus sein.
Wer die verlinkten Artikel aufmerksam gelesen hat, wird aber auch Gegenbeispiele finden. So kamen säkulare und auch muslimische Organisationen um bei Priestern für die Angriffe um Entschuldigung zu bitten und ihre Solidarität zu bekunden.
Warum es nicht möglich ist, solche Menschen zu bestärken und zu fördern während man sonst ehrlich den Anfeindungen und dem Hass ins Auge blickt, das bleibt dabei das Rätsel.



Weiterführender Link: Interessante Doku in der man auch Bischof Padovese erleben darf.

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