Dienstag, 5. März 2013

Antwort auf einen Kommentar I

Im Kommentarbereich zum ersten Teil meiner Deschnerkritik wurde folgendes Geschrieben:
Schon auf den ersten Seiten des ersten Bandes hatte er erklärt: ich mache die Spielregeln!

Das dürfte das schlimmste für die Kirche sein, dass sie nicht mehr die Spielregeln bestimmen konnte. Dass da einer gewagt hat über die Kirche und ihre Geschichte zu schreiben, ohne sich an die Spielregeln der Kirche zu halten. Ein Tabubruch allererster Klasse, den Deschner da gewagt hat.

Die einen sagen, er hat verloren, die anderen sagen er hat gewonnen; seine Historikerkollegen sind ja hin und her gerissen von seinem opus magnum. Eins ist klar, um sich das ganze Werk anzutun muss man schon eine gehörige Portion Masochismus mitbringen, sogar wenn man nicht ganz katholisch ist, alleine wegen dem Umfang; und wenn man versucht alle Belege zu prüfen, bräuchte man eine Armee von Historikern.
Bin gespannt auf die weitere Diskussion und was die Geschichte sagt.

Leider ist eine angemessen Antwort darauf viel zu lang für den Kommentarbereich geworden, weshalb ich hier einen eigenen Eintrag anlege.


Die Spielregeln, welche Deschner ignoriert, sind die Spielregeln der historischen Wissenschaft, die bereits seit wenigstens ca. 150 Jahren entwickelt werden (man suche nach Droysen), deren Grundlangen aber bereits in der Antike gelegt werden.

Die Behauptung, die Kirche würde die Spielregeln der Geschichtsschreibung bestimmen geht an den Fakten vorbei. Nur ein paar Beispiele:
1. Ein großer Teil der Quellen, die Deschner zitiert sind  "Männer der Kirche" oder Christen. Deren Arbeiten bejubeln und verherrlichen zwar sehr oft das Geschehen, ebenso oft berichten sie aber detailliert über Grausamkeiten und Massaker in kritischem bis ablehnenden Ton. Das Massaker in Jerusalem wird so u.a. vom Mönch Robert, dem Diakon Fulcher von Chartres und dem Priester Raimund von Aguilers berichtet, deren Schilderungen zwischen Begeisterung und Entsetzen schwanken.
Die Behandlung bis zu den Massakern an den Ureinwohnern Amerikas wird vor allem durch benediktinische, franziskanische und jesuitische Geistliche berichtet und z.T. scharf kritisiert. Dis geht bis hin zu päpstlichen Protesten und christlichen Gegenentwürfen wie dem Jesuitenstaat in Paraguay.

2. Kritische Berichterstattung und Literatur gibt es immer, und obwohl mancher dafür verfolgt, verhaftet oder sogar hingerichtet wird, ist die meiste Kritik eher folgenlos für die Kritiker. Man denke bspw. an die Darstellung der Vagantenlieder, die offen z.T. scharfe Kritik an Geistlichkeit, Institution und Vorgängen der Kirche äußerte.
Die Mär von den 9 Millionen Opfern kirchlicher Hexenverfolgung als zweites Beispiel entsteht in der zweiten Hälfte des 18. Jh. in Quedlinburg, geschrieben durch den Stadtsyndikus Gottfried Christian Voigt. Zu diesem Zeitpunkt gibt es bereits eine fast 100jährige Geschichtsschreibung zu dem Thema, die - mal kirchenkritisch mal nach den "Spielregeln" der Geschichtswissenschaften - versucht, diesem dunklen Element europäischer Geschichte nachzugehen. Bis heute aber halten sich im Volk völlig absurde Zahlen und Vorstellungen, die sich bspw. eben auch bei Deschner wiederfinden. Währenddessen spürt die Fachwelt, mit Ausnahmen der Instrumentalisierung unter Diktaturen wie den Nazis oder den Sowjets, nunmehr 300 Jahre der Realität nach. In dieser Zeit werden die Opferzahlen laufend nach unten korrigiert, und die Verantwortlichkeit beständig ausgeweitet. Anhand gründlicher Recherche und Quellenarbeit.

Umgekehrt hingegen herrscht in der Medienlandschaft unserer Zeit ein sehr einseitiges Bild. Die Kritik am Vatikan ob der Nazi-Zeit findet kein Ende, und dies bereits seit dem Ende des zweiten Weltkrieges. Beginnend mit dem Vorwurf des Schweigens über das oft singulär hingestellte Reichskonkordat bis zur Rattenlinie. Fast gar nicht wird erwähnt, wie die Kirche 1932 ihren Anhängern eine Mitgliedschaft bei der NSDAP untersagte, wie viele katholische Geistliche in den KZs festgesetzt oder hingerichtet wurden. Die Sittlichkeitsprozesse, obwohl in mehreren tausend einzusehen, spielen in der Berichterstattung nahezu keine Rolle. Dieser Tage förderten Historiker die Korrespondenz des Vatikans anläßlich des österreichischen Anschlusses und der Haltung der dortigen Geistlichkeit zu Tage, berichtet wird dies fast nur in katholischen Medien, die langsame Korrektur der historischen Person Papst Pius XII. kommt zwar nach und nach in Vad Yashem, nicht aber der europäischen öffentlichen Darstellung an.

3. Gleichzeitig stellt sich natürlich auch die Frage nach der Überlieferung. Ein Instrument, Geschichtsschreibung der ungewollten Art zu unterbinden ist etwa die Verhinderung der Überlieferung. Wo aber finden sich Werke wie die Vakantenlieder, die Hinweise auf christliche Übergriffe auf sog. Ketzer, die Akten von Quälerei und Hinrichtung? In den Archiven der Klöster und des Vatikans bspw. Das Material der Carmina Burana fand Carl Orff in Klöstern.
Gerne wird darüber behauptet, es gäbe keinen Zugang zu den "Geheimarchiven" des Vatikans. Das ist nicht nur eine unfaire Behauptung, kein staatliches Archiv etwa existiert heute ohne Sperrfristen für bestimmte Vorgänge, während der Zugang zu den Archiven des Vatikans für Historiker kein Problem darstellt. Lediglich, wie in den meisten größeren und bekannteren Archiven, eine Anmeldung ist erforderlich, um ein vernünftiges Arbeiten überhaupt zu ermöglichen und den Bestand vor Vandalismus und Diebstahl zu schützen.

Der Tabubruch des Herrn Deschner ist also gar keiner. Lediglich umfang, vehemenz und die dabei offen geäußerte Grundhaltung / Ausgangsposition sind bemerkenswert. Die Dimension der offenen Feindschaft und des Hasses sind es, gepaart mit der Frechheit mit der die Prinzipien der Geschichtswissenschaft getreten werden, die neu sind.

Gelobt wird von Historikern i.d.R. ausschließlich der Grad an Gründlichkeit mit der Deschner durch die Jahrhunderte zieht und keine dunkle Ecke, vermeintlich oder real, auslässt. Die fachliche Kritik bleibt dabei meistens unangetastet. Dazu komme ich aber vermutlich erst in Teil 3 meiner Deschnerkritik ausführlicher.

Man bräuchte auch keine "Armee von Historikern" um alle Belege zu prüfen, auch wenn er aufgrund der Vielzahl und der Menge an bezuglosen oder irreführenden Quellenangaben und der dargestellen konvolutform Steine im Weg auftürmt, die nicht sein müssten. Allerdings bräuchte man durchaus Fachleute aus allen Bereichen, zumal wenn es zügig gehen sollte. In meiner Privatbibliothek finden sich vornehmlich antike Quellen und Literatur aus eben diesem Bereich. Meine Ausbildung erlaubt es mir vor allem im Bereich der Antike schnell nachzuvollziehen was Deschner angibt. Würde ich meinen Lebensunterhalt in der Zeit gesichert bekommen könnte ich die Bände der Antike vermutlich (es handelt sich um eine Schätzung) in einigen Monaten täglicher Arbeit durcharbeiten. Beim Mittelalter bräuchte ich bereits deutlich länger und müsste deutlich mehr Kosten decken, allein schon der Strecken zu Bibliotheken und Archiven wegen.
In der Neuzeit schließlich wäre ich wohl im Bereich von wenigstens einem Jahr wenn nicht mehr.
Dies dann in schriftliche Form zu bringen... und dann noch für ein breites Publikum verständlich... Der Erfolg wäre, so zeigen die Reaktionen auf fachliche Kritik in der Vergangenheit, schon im Vorfeld fraglich. Es interessiert jene, die überzeugt von Deschner nicht, ob er Quellen stellenweise in falscher Übersetzung wiedergibt oder aus dem Kontext reisst. Die Menge an Verweisen, die überhaupt keinen Bezug zu den dargestellten Verhalten haben finden sie irrelevant. Und wenn etwas nicht als reine Erfindung entlarvt wird ist bei ihnen, gemäß Deschners Vorgabe, mit dem Wort "falsch" sowieso nichts anzufangen. Ein klassisches schwarz-weiß denken, ganz oder gar nicht. Und somit Kern des Problems.

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