Mittwoch, 6. März 2013

Experten und Geschichte

Geschichte ist komplex, mitunter nahezu rätselhaft. Die Frage nach der Motivation der Menschen ist ebenso schwer zu beantworten, wie Texte aus lange vergangenen Jahrhunderten mitunter zu übersetzen oder auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen sind. Einen Überblick über alle Quellen zu einem Ereignis oder Thema zu haben ist manchmal fast schon unmöglich.
Und trotzdem gibt es keinen Bereich des Wissens, bei dem Menschen mit einer geradezu arroganten Selbstverständlichkeit der Meinung sind, so viel zu Wissen und zu verstehen, dass sie ihr vermeintliches Wissen verbreiten oder Fachleuten zu widersprechen, die sich manchmal ein Leben lang mit den Themen auseinandergesetzt haben. Nicht selten nennen sie sich selbst dann gerne Experte, Historiker oder ähnliches. Manche tun dies so lange, bis andere darauf anspringen und sie ebenfalls Experten nennen.
Für mich liegt in diesem Interview mit Günter Seufert, auf das ich durch einen Hinweis des Blogs "Menschenrechtsfundamentalist" aufmerksam wurde, genau solch ein Fall vor.
Günter Seufert, als Experte für die Türkei bezeichnet, äußert darin folgenden Absatz:

Der Antisemitismus, der sich im Islam findet, kommt aus Europa. Die Judenfeindlichkeit im Islam war nie so ausgeprägt wie die europäisch-christliche. Grundsätzlich wurden Juden im Islam besser behandelt als im christlichen Europa. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es weder Judenpogrome, Verfolgungen oder gar einen Holocaust in der islamischen Welt. Der Antisemitismus in der Gestalt eines Rassismus, mit dem Versuch, diesen wissenschaftlich zu grundieren, ist ein Export aus Europa in die islamische Welt. Dieses gedankliche Modell aus Europa wurde dann in eine religiös begründete Distanz zu den Juden integriert. Bedenkt man dann noch, dass in den muslimischen Ländern die religiöse Identität eine größere Rolle spielt als bei uns und zieht man die nach dem Sechs-Tage Krieg erfolgte Radikalisierung in Betracht, ist die Existenz des Antisemitismus in der islamischen Welt zumindest ein Stück weit erklärt.

An diesem Absatz ist so viel falsch, dass die Veröffentlichung schon fast als Volksverdummung zu bezeichnen ist.
Schon der Satz:  "Der Antisemitismus, der sich im Islam findet, kommt aus Europa." bezeugt, dass der Urheber entweder niemals den Koran und die aHadith gelesen hat, geschweige denn eine Geschichte der islamischen Geschichte oder eine Geschichte der Juden im Orient. Selbst die Aufregung um die kürzlich veröffentlichten Äußerungen des heutigen ägyptischen Präsidenten Muris muss an ihm völlig unbeachtet vorbeigezogen sein.
Am deutlichsten ist die Grundlage islamischen Antisemitismus und antichristlichen Haltung in Sure 5 vertreten. Dort, zwischen den Versen 50 und bis 63 bekommt man etwa die klare und unmissverständliche Forderung zu lesen: Nehmet nicht die Juden und die Christen zu Freunden. (Sure5, Vers 51).
Die Stelle bezüglich der Schweine und Affen findet sich im oben verlinkten Artikel über Mursis Äußerungen behandelt.
Viel deutlicher wird Sure 9. Dort findet sich folgende Anordnung: Kämpfet wider diejenigen aus dem Volk der Schrift, die nicht an Allah und an den Jüngsten Tag glauben und die nicht als unerlaubt erachten, was Allah und Sein Gesandter als unerlaubt erklärt haben, und die nicht dem wahren Bekenntnis folgen, bis sie aus freien Stücken den Tribut entrichten und ihre Unterwerfung anerkennen.(Sure 9, Vers 29)
Falls Zweifel herrschen, als Völker der Schrift werden Juden und Christen bezeichnet, welche zudem immerhin die Chance bekommen, "Tribut zu entrichten", im Gegensatz zu bspw. Buddhisten und Hindus.
Es finden sich noch eine Reihe weiterer, ähnlich eindeutiger bis noch deutlichere Aufforderungen im Koran. Zwar gibt es auch Aufforderungen zur Toleranz und Verurteilungen von Gewalt, diese stehen jedoch im deutlichen Kontrast zu den historischen Darstellungen des Lebens Mohammeds, des islamischen Religionsgründers.  Womit wir zu den ahadit kommen.
Dies sind geschilderte Ereignisse oder Wortmeldungen aus dem Leben Mohammeds, die in den Jahrhunderten nach dessen Tod gesammelt und verifiziert wurden und so als Beispiele für ein "gefälliges" Leben dienen. Darunter finden sich die Vernichtung eines jüdischen Stammes, der
Banu Quraiza in Sahih Bukhari Volume 4, Book 52, Number 280 die sich heute noch in Kampfliedern und bei Demonstrationen in gesungener Form häufig als Drohung wiederholt findet.
Und nicht zu vergessen, die Endzeitvision, die im arabischsprachigen Fernsehn recht häufig rezitiert wird. Darin heisst es: "Allah's Apostle said, "You (i.e. Muslims) will fight wi the Jews till some of them will hide behind stones. The stones will (betray them) saying, 'O 'Abdullah (i.e. slave of Allah)! There is a Jew hiding behind me; so kill him.' " Sahih Bukhari Volume 4, Book 52, Number 176 & 177

Dies sind die Grundlagen des islamischen Antisemitismus. Gleichzeitig widerlegen sie die Behauptung, "Vor dem Ersten Weltkrieg gab es weder Judenpogrome, Verfolgungen oder gar einen Holocaust in der islamischen Welt." Sie finden sich von den Zeiten über die Jahrhunderte immer und immer wieder umgesetzt. Das die einzelnen Vorkomnisse nicht bei uns bekannt sind, liegt eher an der eurozentrischen Haltung unserer Medien und Schulbildung als an ihrer Nichtexistenz. Diverse Pogrome begleiten die islamische ebenso wie die christliche Welt durch die Jahrhunderte. Allein die organisierte Dimension des Holocaust ist ihnen fremd. Erinnert sei nur an das Jahr 1033 in Fès und 1066 in Granada. Danach geht es Reihe um Reihe weiter. 1676 werden im Jemen die Juden der Region in die Wüste getrieben. Wer dort nicht umkommt wird versklavt, Kinder werden zwangsislamisiert. Damaskus 1840, 1874 in Beirut, 1890 in Kairo und noch sehr viele Male dazwischen und danach.

Häufig liest man, dass es Juden in der islamischen Welt besser erging, als in der christlichen. Angesichts einer Sondersteuer, Beschränkungen in Karriere und Berufswahl, Kleidungsvorschriften, Ghettoisierung und der Gefahr von Pogromen frage ich mich häufig, woran dies festgemacht wird. An den Juden Spaniens wird dann oft beispielhaft von einem Reich der Toleranz berichtet. Die Fachwelt ist sich darüber nicht einig, wie ein relativ guter Artikel selbst bei wikipedia berichtet.

Fazit: die im Kölner Stadtanzeiger vom interviewten "Experten" entbehren jeglichen Wissens, sind eine glatte Lüge und Unterstellung. Einzig, dass die islamische Welt selbst keinen Holocaust kannte ist wahr. Die bürokratisch-industrielle Vernichtung eines ganzen Volkes, von Millionen von Menschen war der islamischen Welt fremd. Der Holocaust ist aber ebenfalls nicht "vor dem ersten Weltkrieg" geschehen, und zu diesem Zeitpunkt hatte die Türkei, für die der Mann ja ein Experte sein soll, bereits einen Völkermord an den Armeniern hinter sich, der an verübter Unmenschlich- und Grausamkeit nicht nachsteht. Und dazu steht die Türkei bis heute nicht.


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