Montag, 11. März 2013

Diskutiert Deutschland?

Unsere Deutschlehrerin, geboren, aufgewachsen und ausgebildet in der DDR, bestand darauf, dass jeder von uns zwischen der 7. und 12. Klasse jedes Jahr an einer Diskussionsrunde aktiv teilnahm, entweder indem er / sie eine These äußerte und verteidigte oder indem man sie eben zu widerlegen versuchte. Ihr war dabei wichtig, dass wir mit Argumenten, nicht mit Emotionen oder Haltungen arbeiteten. Natürlich habe ich damals weder ihre Beweggründe verstanden noch den Sinn dieser Übung. Erst als ich ins Erwachsenenalter kam und im Studium schon etwas fortgeschritten war, die Methoden des Faches begann zu verinnerlichen, da merkte ich auf.
Heute bin ihr sehr dankbar. Nicht nur, dass sie Lehren aus den Zuständen in der DDR zog und freie Meinungsäußerung und Diskussionen zu schätzen vermittelte, auch die Art wie man miteinander umgeht, wenn man unterschiedlicher Ansichten oder Überzeugungen ist sind aus meiner heutigen Sicht riesige Leistungen eines Einzelnen.
Umso bedenklicher empfinde ich bestimmte Entwicklungen in unserem Land, ja in unserer Kultur. Ich empfinde eine zunehmende Diskriminierung, besser noch, eine Kriminalisierung von Andersdenkenden und Andersglaubenden. Dieses empfinden beruht auf Erfahrungen, Berichten und Meinungsäußerungen unserer Medien ebenso, wie auf aufgezeichnetem Verhalten.
Ein paar Beispiele:
1. Heute fand sich auf dem Blog Klosterneuburger Marginalien ein Link zur Berichterstattung des Blattes Münstersche Zeitung betreffend des in Münster abgelaufenen Protestmarsches "1000 Kreuze", eine Demonstration für das Lebensrecht abzutreibender bzw. abgetriebener Kinder. So wie ich diesen Protest verstehe, geht es dabei darum, darauf hinzuweisen, dass auch diese nie geborenen Kinder Menschen waren und ein Recht auf Leben haben. Das es dabei nicht um Abtreibungen aus Not geht, also um die Mutter aus einer lebensbedrohlichen Situation zu retten, verstehe zumindest ich so. Dabei ist festzuhalten, dass Frauen in Deutschland bis zu einem gewissen Monat das Recht haben, ihre Kinder abzutreiben und dies pro Jahr mehrere tausend Mal geschieht. Dagegen protestieren die Lebensrechtler bei ihrem Marsch.
Die Zeitung bezeichnet diese Menschen aber bereits in der Kurzerläuterung als "fundamentale Christen" oder auch "radikale Abtreibungsgegner", ohne zumindest im weiteren Text auf deren Argumente weiter einzugehen. Statt dessen werden die Verhältnisse umgedreht. Nun sind nicht mehr die Menschen mit den Kreuzen in der Hand die Protestierenden, sondern diejenigen, die versuchen diese Menschen durch Lärm, Beschimpfungen und schließlich Pyrotechnik einzuschüchtern. Ohne Polizeiabsperrungen würden diese Menschen ihren "Gegnern" die Demonstration verweigern, den Weg versperren. Aber auch so haben sie ihr Ziel erreicht, der Marsch wurde vor dem erreichen des Zieles abgebrochen, wie der Bericht kurz am Ende vermerkt. Mehr Augenmerk erhält ein Teilnehmer, der sich dem Stress durch das Aufsetzen von Lärmschutz zumindest audiell / akustisch zu entziehen versuchte. Diesem wird prompt mangelnde Dialogbereitschaft vorgeworfen. Wieder wird aus dem Opfer der Täter, denn wo fand ein Dialog statt? Ist ein Protestmarsch ein Ort des Dialoges oder erstmal nur ein Zeichen der Meinung, ein Bestandteil der Meinungsfreiheit? War der Polizeieinsatz dementsprechend eine staatliche Unterbindung eines Dialoges? Versteht der angebliche Journalist unter der Nutzung einer Trillerpfeife nahe dem Gehör einen Dialog?
Offensichtlich geht es hier nicht darum, ein Ereignis so neutral als möglich zu berichten, sondern eine Seite negativ darzustellen.

2. Als ein gewisser Anders B. Breivik vor nunmehr fast zwei Jahren zum Massenmörder wurde, fand man von seiner Hand bald ein 1500 Seiten dickes "Manifest". Spätestens ab diesem Zeitpunkt berichteten die Medien, es handele sich bei ihm um einen fundamentalen Christen, einen Kreuzzügler. Dies basiert darauf, dass er in seinem Wälzer seine imaginäre Terrorzelle nach dem Vorbilde der Templer gestaltet haben will und vorne dick ein Tatzenkreuz darauf prangt, das Symbol diverser Ritterorden. Allerdings erläutert er auch am selben Ort, dass er seit Jahren nicht mehr gebetet habe, schon ewig keine Kirche gesehen habe und eigentlich zu den Freimaurern gehöre. Damit wäre er alles andere als ein Christ, geschweige denn ein "fundamentaler".
Einige Zeitungen berichten dies trotzdem noch heute, wenn die Rede auf ihn kommt. Alternativ wird er zum Islamhasser gestempelt. Kurz darauf waren zumindest in den deutschen Medien Mittäter gefunden. So wurde dem Publizisten und Kritiker H.B. Broder von einem Journalisten der Frankfurter Rundschau vorgeworfen geistiger Anstifter des Attentates sei, da seine als "Antiislamismus" kritische Sicht auf den Islam diesen mit motiviert hätte. Als vermeintlichen Beweis wurde das Manifest des Massenmörders vorgelegt, in welchem dieser Broder mehrmals zitiert. Ähnliches fand sich in anderen Ländern mit den dortigen jeweiligen Islamkritikern.
Nicht nur, dass die Anschuldigung, vorgebrachte Kritik auf der Basis realer Ereignisse wie mittlerweile tausenden von Anschlägen, Frauenunterdrückung usw. sei verantwortlich für die Gewalttat eines einzelnen Amokläufers, ist so abstrakt, dass sie eher zynisch wirkt. Auch die Opferwahl Breiviks ( seine Anschläge galten alle der sozialistischen Regierungspartei bzw. deren Mitgliedern) sprechen eine andere Sprache. Ebenso wie die psychologischen Beurteilungen, die ihm alle die schwerwiegendsten Störungen attestieren. In seinem Manifest zitiert er zudem Voltaire und Marx, beide treffen die Vorwürfe nicht. Während diese Journalisten also den Menschen eine Mitschuld geben, die auf Gewalt, Diskriminierung und Unterdrückung im Namen des Islam als Problem hinweisen, kritiseren sie diese Hinweise als Verallgemeinerungen, die man, trotz der hohen und steigenden Opferzahlen, nicht auf "den Islam" zurückführen könne.
Jeder, der diese Leitlinie anders sieht wird schnellstmöglich öffentlich an den Pranger gestellt. Zwar nicht im altmodischen Sinne, es steht kein Gerüst auf dem Marktplatz, sondern viel breiter angelegt durch Artikel in den Massenmedien, Berichte im TV und durch Bücher, die noch dazu in den Medien angepriesen werden.
Man hatte also im konkreten Fall zum einen Broder, zum anderen das Christentum zu Mitschuldigen erklärt.

3. Sarrazin, nicht nur Herr sondern auch Frau. Es steht unzweifelhaft fest, dass dieser Mann wenig Mitgefühl und Einfühlungsvermögen besitzt. Seine Vorschläge vor vielen Jahren, Sozialhilfeempfänger müssten nicht heizen, heiss duschen oder könnten seinem Speiseplan folgend leicht auskommen waren z.T. regelrechte Einschnitte in die Freiheit und das Wohlergehen der Menschen. Bis dahin wurde er belächelt und zu Podiumsdiskussionen eingeladen, die vielleicht mal lauter wurden, aber immerhin durch Wortgefechte glänzten.
Nach seinem kritischen Buch zur Demographie, "Deutschland schafft sich ab", war das Fass allerdings voll. Die Kanzlerin erhob sich zur Kritikerin und nannte das Buch "nicht hilfreich", einige Zeitungen standen regelrecht Kopf und nicht wenige Stimmen in Politik und Öffentlichkeit, darunter der Bundespräsident welcher sich später durch einen Drohanruf bei einer Zeitung auszeichnete, forderten seine sofortige Entlassung aus dem gehobenen Staatsdienst, gleiches galt für Parteimitglieder der SPD, die ihn nicht in ihrer Partei haben wollten. Als eine mutige türkischstämmige Journalistin noch lange nach der Debatte mit ihm einen Besuch in Kruezberg machte wurde er verfolgt, beleidigt und schließlich aus einem Lokal geworfen. Die TaZ war sich nicht zu fein, ihn mit einer "alten Hure" zu vergleichen.
Seine Frau berichtete später, die ohnehin nicht besonders angenehme Situation an ihrer Arbeitsstelle wäre nach erscheinen besagten Buches noch schlimmer geworden. Sie wurde sozusagen in Sippenhaft genommen, und auch diese Klage wurde ihr daraufhin negativ ausgelegt, das Opfer wiederum zur (Mit)Täterin gemacht.

4. Zuletzt der Fall der südtiroler Band Frei.Wild. Der Sänger der Gruppe war bis 2001, also vor 12 Jahren, Mitglied der Gruppe "Kaiserjäger", welche dem rechten Milieu zugeschrieben werden muss. Aus diesem Grund und der Tatsache, dass die Band Frei.Wild ihre Heimat, deren Tradition und Gebräuche lobt sowie der Tatsache, dass es Rechte und Rechtsradikale gibt, die diese Musik ebenfalls mögen wurde der Vorwurf konstruiert, auch Frei.Wild sei rechtsextrem. Das die Band sich immer wieder in ihren Texten von der rechten Szene distanziert, sich in Plakaten bspw. über den Konzerteingängen gegen Extremismus jeder Art & Rassismus stellt wird dabei entweder ignoriert oder als "nicht ausreichend" bezeichnet. Daher wurde ihre Nominierung zur Preisverleihung "Echo" zurückgezogen, als die Band Kraftwerk und Mia öffentlich bekundeten, der Veranstaltung fern zu bleiben wenn die Gruppe Zugang erhielt. Das die Nominierung an Verkaufszahlen, also sozusagen im Willen der Bevölkerung liegt wurde dabei einfach ignoriert.
Mia jedenfalls trat 2008 mit dem Rapper Bushido auf, der damals u.a. mit Texten berühmt wurde, die frauenverachten waren und zur Gewalt gegen Homosexuelle und Minderheiten aufriefen oder sie zumindest positiv darstellten. Mittlerweile hat sich der Rapper zwar verbal distanziert, der verkauf der CDs und MP3s geht aber ungemindert weiter, es erfolgte keine Rücknahme der Veröffentlichung.
Dies eskalierte bei der Bambi Verleihung, aber nur der Sänger Heino protestierte auch durch Tat und gab seine Auszeichnung zurück. Von Mia hörte man kein Wort des Protestes.
Auch hier wird deutlich gemacht, dass es nicht um Taten oder Inhalte geht.

Die Liste ließe sich beliebig lange erweitern, etwa um Demonstranten und Aktionen, die offene Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihrer Überzeugungen fordern oder durchsetzen. Seien es Drohungen gegen Gastwirte, wenn sie die "falschen Gäste" bedienen oder die justizielle Absegnung der Bezeichnung "Kinderf*****sekte" für die katholische Kirche.

Den anderen als Menschen zu sehen, seine Argumente und Meinung anzuhören und bei Nichtübereinstimmung ggf. eine sachliche Diskussion anzustreben scheint heute kaum noch möglich. Schnell wird man in einen Topf gesteckt und manchen dieser Töpfe wird unmenschlich Feuer gemacht.
Daher möchte ich zum Abschluss auf einen Künstler verweisen, der dies anders sieht und macht. Dafür hat er in meinen Augen größtes Lob verdient. Er begibt sich damit zwischen die Fronten. Von solchen Menschen bräuchte es in diesem Land mehr.

6 Kommentare:

  1. "dass Frauen in Deutschland bis zu einem gewissen Monat das Recht haben, ihre Kinder abzutreiben".

    Fast: Das Recht haben sie nicht. Es ist sogar verboten! § 218 StGB: "Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Der Grund, warum es dennoch so häufig passiert: Es bleibt in Ausnahmefällen, z.B. im Falle jener Fristenregelung, straffrei.

    Die Ironie ist darum die, dass die bösenbösen Abtreibungsgegner gegen etwas demonstrieren, was ohnehin verboten ist! Es ist letztlich also eigentlich nur eine Awareness-Kampange und in keiner Weise irendwie illegal oder unethisch, worum es ihnen geht.

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    1. In der Bewertung stimme ich Ihnen völlig zu. In meinen Augen ist aber die Tatsache, dass etwas nicht geahndet wird wenn nur bestimmte, vom Staat zur Umgehung der Strafe vorgegebene Konditionen erfüllt werden (darunter die Frist, also "bis zu einem gewissen Monat) nichts anderes als die verklausulierte Erlaubnis.
      Die bekannten Zahlen der Abtreibungen in Deutschland sprechen ja auch nicht von einer Rarität, einer seltenen Ausnahme. Daher meine Formulierung "sie haben das Recht".
      Beste Grüße
      T.S.

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  2. Nur der Ergänzung halber: Kirchenrechtlich zieht sich jemand der eine Abtreibung durchführt gemäß can. 1398 CIC die Exkommunikation als Tatstrafe zu.

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    1. Danke für den Hinweis. Wie oft kam das in letztem Jahr in Deutschland vor?

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    2. Lässt sich leider nich so leicht sagen... Das mit der "Tatstrafe" (poena latae sententiae) bedeutet ja im Unterschied zur Spruchstrafe (poena ferendae sententiae), dass die Exkommunikation automatisch durch verüben der Tat eintritt. Die Kirche kann dann nur nachträglich feststellen, dass die Exkommunikation eingetreten ist (so wie bei den Piusbrüdern). Das Problem: Wie soll sie es feststellen, wann sich da wer die Exkommunikation zugezogen hat? Das ginge ja eigentlich nur durch "Denunziation" oder "Selbstanzeige", denn ich vermute stark, dass nicht jeder katholische Mediziner stets einen Abgesandten des Bischofs bei sich stehen hat, wenn er eine Abtreibung vornimmt.
      Also vermutlich ist es nicht allzu selten, denn es gibt viele Ärzte die "katholisch" in ihrem Ausweis stehen haben und die irgendwann einmal eine Abtreibung vorgenommen haben. Nur ist halt keiner da, der es offiziell feststellt. Falls du katholische Ärzte kennst, kannst du sie ja mal darauf hinweisen...

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    3. Vielen Dank, da habe ich jetzt einiges gelernt. Ich bin stets davon ausgegangen, dass Exkommunikation eine Spruchstrafe sei.
      Ich kenne zwar "katholische" Ärzte, aber eher von der weit verbreiteten Sorte "nur dem Papier nach".
      Nochmal Dank.
      Beste Grüße
      T.S.

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