Roman Grafe |
Nun hat auch einer der Dachverbände der Sportschützen reagiert und eine ausführliche Antwort veröffentlicht, welche sich direkt an die FAZ richtet.
Kurzerläuterung: Sportschützen sind in Deutschland in Vereinen organisiert, die wiederum i.d.R. in Dachverbänden organisiert sind.
Neben den Herstellern von Waffen und deren industriellen Verbänden sowie einigen Vereinen wie ProLegal, GRA und Legalwaffenbesitzer sind es diese, die mitunter als "Lobby" bezeichnet werden. Im Gegensatz zu Dachverbänden in anderen Sportarten, in denen Individualsportler auch nicht zwangsläufig in Vereinen sein müssen.
In diesem Fall war es der DSB, der Deutsche Schützenbund e.V. Durch seine angegliederten Vereine hat dieser Dachverband ca. 1,4 Millionen Mitglieder in ganz Deutschland, die in vielen verschiedenen Disziplinen mit völlig unterschiedlichen Waffen antreten. Das reicht vom Bogen über Luftpistolen bis zu Großkalibergewehren und Vorderladern (Gewehre die relativ umständlich und meist nach historischem Vorbild geladen und genutzt werden). Diese Antwort ist teilweise hervorragend und teilweise unterirdisch schlecht.
Für den interessierten Laien sicher interessant ist bspw. die Einleitung zur Geschichte des deutschen Schützenwesens. Leider richtet sich der Brief nicht an solche und die Veröffentlichung sollte auch für uninteressierte Sachfremde nicht zu einer langweiligen Herausforderung werden.
Es hätte daher gereicht, auf die Entwicklung des deutschen Waffengesetzes in den letzten Jahren und Jahrzehnten einzugehen und dies in Kontext mit der Behauptung Grafes, es sei trotz Handlungsbedarfes nichts unternommen worden zu stellen. Konkret ist dies vor allem folgender Absatz.
Der Erwerb von Kurzwaffen (Pistole und Revolver) und Langwaffen (Büchse und Flinte) ist in der Bundesrepublik inzwischen streng geregelt. Allgemein gilt, dass Deutschland eines der schärfsten Waffengesetze in Europa und der Welt hat. Nach dem kurzfristigen Verbot des Waffenbesitzes nach dem 2. Weltkrieg erlaubten die Alliierten bald wieder den Erwerb von Waffen, so dass das Sportschießen in den Schützenvereinen wieder aufgenommen werden konnte. Während sich in der Bundesrepublik recht bald ein blühendes Schützenwesen mit erfolgreichen Sportschützen entwickelte, ließ die DDR – in der Ihr Autor aufgewachsen ist – Schützenvereine nicht zu und stellte das Sportschießen als staatliche Aufgabe unter eine strikte staatliche Reglementierung. Bis zum Jahr 1973 war ein gegenüber heute erleichterter Erwerb von Schusswaffen in der Bundesrepublik möglich. Während dieser Zeit gab es – sieht man von dem Flammenwerfer-Attentat 1964 auf eine Schule in Volkhoven ab – keine Amokläufe. Aufgrund der Attentate der so genannten Baader-Meinhof-Bande wurde sodann 1973 der Erwerb und Besitz von Schusswaffen streng reglementiert. Dieses Gesetz wurde 2003 novelliert, wobei nach dem Amoklauf von Erfurt der vom Bundestag bereits beschlossene Gesetzentwurf noch einmal verschärft wurde.Um den grundlegenden Standpunkt von Herrn Grafe, der sehr weit verbreitet ist und vermutlich auch bei meinen Lesern nicht wenige betrifft überhaupt diskutabel zu machen, sind dies die wichtigsten Informationen. Viele Menschen lehnen Schusswaffen ab, weil sie die simple Gleichung verinnerlicht haben: wo Schusswaffen da Mord und Terror.
Das behauptet auch Herr Grafe.
Die Geschichte präsentiert uns genau das Gegenteil. Das beleuchtet der Absatz leider in der gleichen Länge, wie den organisatorische Aufbau des Schützenwesens im 20. Jh. Das ist schnell mal überlesen.
Hervorgehoben und betont wäre dieses Argument treffender.
Bis 1973 war es in der Republik (allerdings mit Ausnahmen, da die Länder für die Waffen zuständig waren) für jeden gesetzestreuen Bürger sehr einfach, eine Schusswaffe zu kaufen und zu besitzen. Und das taten auch eine Menge Bürger. Genaue Zahlen sind nicht zu bekommen, aber man geht nach dem zweiten Weltkrieg bis zur Schaffung eines strikteren Waffengesetzes von ca. 20 bis 30 Millionen legal erworbenen Schusswaffen aus.
Erst mit einer Grundgesetzänderung, welche das Waffenrecht in die Hände des Bundes legte, änderte sich das. Nach dem Wüten der RAF, die selbst bei solch leichter Erreichbarkeit trotzdem illegale Waffen einsetzte und Spreng- wie Brandmittel für Morde und Anschläge nutzte, die niemals legal waren, wurde ein erstes, strengeres Waffengesetz 1976 in Kraft gesetzt.
Zuvor, 1964, gab es den ersten Massenmord in der Geschichte der Bundesrepublik. 1964 hatte in Volkhoven, Köln, ein Frührentner sich aus bis heute erhältlichen Gegenständen aus dem Baumarkt mit minimalem Aufwand einen Flammenwerfer und eine Lanze gebaut, mit der er eine Grundschule mit erschreckendem Erfolg Angriff.
Es kann nicht genug betont werden, dass Schusswaffen bzw. ihre legale Verfügbarkeit weder für die RAF noch für den geisteskranken Kindsmörder von Köln eine Rolle spielten. Obwohl sie vermutlich hätten legal erwerben können, haben sie es nicht getan und trotzdem sehr viele Menschenleben ausgelöscht und Millionen von Menschen terrorisiert.
Trotzdem wurde das Gesetz verschärft. Und wieder ein wenig entschärft. Denn von den vielen Millionen Waffen, welche durch das neue Gesetz erstmal alle illegal wurden, weigerten sich die Besitzer, der Meldepflicht nachzukommen. Man strich daraufhin die Befristung der Erlaubnis, mit dem Erfolg, dass immerhin einige wenige Millionen gemeldet wurden. Der Rest ist aus der heutigen Datenlage einfach verschwunden und in den Augen der Medien und der von ihr informierten Öffentlichkeit einfach verschwunden.
Bis auf den Einleitungssatz folgt in der Stellungsnahme ein hervorragender Absatz, der vielleicht ein wenig deutlicher und anhand direkter Beispiele erläutert sein könnte.
Zur tödlichen Waffe wird das Sportgerät erst dann, wenn der dahinter stehende Mensch es missbraucht. Dies gilt aber für viele Dinge, die im bestimmungsgemäßen Gebrauch keine Gefahr bilden, jedoch durch menschliches Versagen zum gefährlichen Instrument werden können.
Hier wären Verweise auf die Massenmorde von Apeldoorn 2009, dem Dreifachmord mit über 30 Verletzten von Graz 2015 und anderen sogenannten Amokfahrten hilfreich gewesen. Im Bewusstsein der Menschen sind Morde mit anderen Gegenständen als Schusswaffen entweder nicht existent oder sehr auf die Täter fixiert, wie es ja auch sein sollte. Da wäre es hilfreich, wenn bspw. der Massenmord, wie er dieses Jahr durch einen Copiloten in einer Passagiermaschine verübt wurde auch als solcher immer wieder betont würde und nicht als eine Art Naturkatstrophe oder unvermeidliches Unglück verankert würde.
Im Versuch zu erläutern, dass auch die Massenmorde mit Schusswaffen nicht nur deshalb passierten, weil die Menschen Schusswaffen besaßen (denn auch dies ist eine Unterstellung von Menschen wie Grafe und wird im Artikel auch versteckt so behauptet), wird die Wortwahl vielleicht etwas zu kompliziert. Ein Problem, welches ich nur zu gut kenne.
Zu den in dem Artikel beschriebenen Amokläufen ist zu bemerken, dass hierbei das Tatmittel – die Schusswaffe – nur ein kleines Mosaiksteinchen in einem Tableau ist, zu dem noch Anderes, Entscheidenderes gehörtDarauf folgt dann eine Reihe von Gründen, warum Menschen zu solchen Taten fähig werden.
Über die einzelnen Punkte kann man diskutieren, insbesondere, wenn sie als "entscheidender" bezeichnet werden, aber mehr als einer der Punkte entspricht der Systematik, die hinter Grafe selbst steht: die persönliche Überzeugung legt eine Behauptung vor.
Auch wenn ich mit der Einschätzung unserer Gesellschaft als "immer ich-bezogener" übereinstimme, ist die Frage, ob dies wirklich zu den Massenmorden beiträgt eine rein subjektive, durch nichts zu beweisende Behauptung. So sollte sie dann auch gekennzeichnet werden.
Auch die Wiederholung des "Videospiele verrohen"-Argumentes fällt in die Kategorie persönliche Meinung. Millionen von Menschen spielen diese Spiele, sehen sich sogenannte Splatter-, Horror- und Kriminalfilme an, lesen entsprechende Bücher ohne darüber Menschlichkeit, Mitgefühl und die Unterscheidungskraft zwischen Richtig und Falsch zu verlieren. Auch unter den jüngeren Sportschützen finden sich viele, die, entsprechend der Verbreitung in ihrer Altersgruppe, solche Spiele in ihrer Freizeit zur Entspannung oder dem Messen mit anderen nutzen.
Inhaltlich ist diese Anschuldigung ein Abwälzen auf eine andere, teilweise überschneidende Gruppe und ein Schnitt ins eigene Fleisch. Sie ist durch nichts belegt und rangiert auf der Ebene, in der auch Metalmusik, zu schnelles Fahren (ein Argument aus dem 19. Jh. als die Eisenbahnen immer schneller wurden) und sexuelle Unausgeglichenheit (Hysterie) für Dinge verantwortlich gemacht wurden, die nicht ins Bild passten.
Mit diesem Absatz vergrault der DSB einen Teil seines Nachwuchses.
Die letzten Absätze sind dann wieder gelungen, sowohl der Hinweis auf Menschenrechte und -freiheiten, auf die Rechtstreue der Sportschützen insgesamt und in Relation sowie die Aufforderung an die Herausgeber, mehr darauf zu achten, was und wen sie da in ihre Zeitung lassen.
Wie man sieht kocht der Verband nur mit Wasser. Da sitzt ein Mensch an der Tastatur, der versucht mit seinen Informationen und seinem Wissen, aber auch seinen Vorstellungen einer unsachlichen und unzutreffenden Darstellung einer Initiative entgegen zu treten.
Am Ende wird der Verband der Sportschützen in Diskussionen aber als "Lobby" bezeichnet, als eine starke Kraft die ihre Interessen vertritt - was natürlich nur dann ruchbar wird, wenn es nicht die eigenen sind. Unterstellt wird dabei aber ein massiver Einfluß auf Politiker - dabei ist der Artikel das beste Beispiel, dass der Einfluß nicht mal bis zu den Medien reicht, damit diese ihren Job entsprechend den Anforderungen erfüllen.
Weder in Brüssel, Berlin, Düsseldorf, München oder sonstwo sitzen Schützen, ihre Vereine und die Hersteller ihrer Geräte an irgendeinem Hebel. In der Regel werden sie nicht mal herangezogen, wenn es angebracht wäre.
So ist der neue Vorschlag zur Verschärfung des Waffengesetzes in der EU von einer Komission entwickelt worden, die zwar unzählige Initiativen und Vereine befragte und einlud mitzuarbeiten, aber nicht ein einziger Verband von Sportschützen, Jägern, Herstellern oder politisch aktiven Vereinen.
Unere Bundesregierung räumte Vertretern kürzlich erstmals zwei Stunden ein, mit Vertretern der zuständigen Arbeitsgruppe zu sprechen und zu diskutieren. Keine Zeit, um wirklich alle Informationen auszutauschen und zu analysieren.
In den Köpfen vieler gibt es eine Waffenlobby, die bestimmt, was passiert. Fakt ist: es gibt Interessensvertretungen - aber nicht mal im militärischen Sektor haben diese einen besonders starken Einfluß. Wer die Mainstreamhaltung der Öffentlichkeit betrachtet, der sieht auch, wie wenig die Vertretungen erreichen. Obwohl die Gleichung = Schusswaffen bedeuten Morde nicht stimmt, vielfach widerlegt wurde, ist sie tief in den Herzen unserer Bevölkerung eingepflanzt.
Wenn es eine Lobby gäbe, so sollte sie sich der Aufklärung verschreiben.
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