Sonntag, 10. Januar 2016

Überschlagende Meldungen und eine löbliche Faktenorientierung der Medien

Ich komme kaum hinterher. In meinem Entwurffach stappeln sich die angefangenen Beiträge zu völlig anderen Themen (Schusswaffenmissbrauch, Akademikerverhalten, Wahlbetrügereien in Deutschland, Jahrestage des Weltkrieges, Bundeswehrjahrestage usw. usf.).
Dazu muss man wissen, ich schreibe über Dinge, die mich beschäftigen. Einer meiner durchschnittlichen Beiträge braucht dann auch mal mehrere Stunden, die ich i.d.R. nicht am Stück zur Verfügung habe. Also notiere ich mir Argumente, Fakten, Meinungen und Verweise, die ich verarbeiten möchte, beginne den Text, formuliere besonders wichtige Stellen vorab und erledige dann, was sich im realen Leben so angesammelt hat.
Wenn ich dann wieder Zeit finde (oder sie mir, wie momentan, nehme), schreibe ich oft genug an einem anderen Beitrag, weil mich dessen Inhalt in der Zwischenzeit eingeholt hat. Die letzten Tage aber dominierte hier bei mir das Thema Köln. Aus zwei Gründen: erstens weil mich sexueller Missbrauch und seine Verleugnung, sein Missbrauch in Privatstreitigkeiten wie Ignoranz gegenüber Opfern maßlos aufregt. Als Mann, als jemand der nicht wenige Opfer kennt, als Vater einer Tochter und Ehemann, Onkel einer Nichte und als jemand der väterlich gegenüber einer ganzen Zahl von wunderbaren (Ex-)Studentinnen und Schützlingen aus dem Sport empfindet.
Ein weitaus überraschenderer und aktuellerer Grund aber ist das Medienverhalten. Vor allem die ehemaligen konservativen Zeitungen Welt und FAZ haben auf einmal eine große Zahl an guten und eine ebenso große Zahl an "gut gemeinten" Artikeln mit Fakten und Kontexten, Interviews und Redaktions-Kommentaren (die ich normalerweise meide wie die Pest), dass ich mich frage, ob die Journalisten ausgetauscht wurden.

So wurde die letzten Wochen und Monate das Thema Flüchtlinge behandelt, als hätte das Innenministerium der DDR eine Weisung rausgegeben und die Funktionäre in den Redaktionen arbeiteten auf dieses Ziel him mit größter Anstrengung. Beim Begriff "Flüchtlinge" angefangen über die bedenkliche Gesetzesmissachtung durch unsere Regenten und einen erheblichen Teil der Bevölkerung, die entstehenden Kosten, die sehr selektiven und manipulativen Bilder und natürlich die damit verbundenen Entwicklungen und Gefahren.
So wurde bspw. im September und Oktober mehrfach vermeldet, es gäbe keine Hinweise, dass Terroristen den Einwanderungsstrom als Vehikel nutzten. Auch die Kriminalität sei nicht wesentlich höher als bei der eingesessenen Bevölkerung.
Selbst Chefredakteure mussten zugeben, dass gezeigte Aufnahmen und Photos nicht die Realität der Zusammensetzung der Flüchtlinge zeigten, sondern lediglich, was man zeigen wollte.
Ökonomen oder solche die sich dafür ausgaben jubelten, was die neuen Mitbewohner doch für eine wirtschaftliche Chance seien und wie schnell sich die Kosten wieder einspielen würden.
Solche und viele weitere Behauptungen fluteten ungeprüft durch die Zeitungen, Radiosender und, so sagte man mir, durch die Sendungen im Fernsehn. Kritik wurde schnell als Unmeinung, als Vorurteil und als rassistisch in den Müll randgesellschaftlicher Extremisten verbannt.
Dann kam der November, und das Massaker in Paris wurde mit einer Medienschlacht fortgeführt. Jeder, der kurz nach den Anschlägen einen Bezug zu Flüchtlingen aufmachte wurde als "Instrumentalisierer" gebrandmarkt und der Herde der tumben Rindviecher der Rechtspopulisten oder gar Rechtsradikalen zugeordnet. Ein falscher Smiley und die man konnte froh sein, die Redaktionsräume noch betreten zu dürfen. Daran änderte auch die bestätigte Information nichts, dass drei der 9 Attentäter als Flüchtlinge eingereist sind und bei mehreren weiteren einfach die Identität nicht geklärt werden kann.
Als dann etwa zwei Wochen nach der Tat die ein oder andere Meldung durchsickerte, dass ein, zwei und mittlerweile drei der 9 Attentäter nachgewiesener Weise als Flüchtlinge einreisten, wurde dies nicht zum Anlaß, sich zu entschuldigen, zurückzurudern, Maßnahmen zu besprechen oder wenigstens leiser zu treten.

Erst jetzt, fast zwei Monate und ein kriminelles Massenereignis später, wird die Debatte wirklich begonnen. Polizeibeamte trauen sich, illegitime Weisungen und Verhaltensweisen zu veröffentlichen. Daten und Zusammenhänge, die vorher ganz anders klangen oder gar nicht bekannt oder sogar dementiert wurden, finden Einzug.
Das sind wertvolle Informationen, die das Bild, welches viele Menschen vorher aus ihrem Erleben und ihrem Empfinden heraus hatten bestätigen und einen frustrierenden Widerspruch endlich beheben. Manches davon ist widersprüchlich oder kontrovers - so die gegenseitigen Beschuldigungen von Kölner Polizeiführung und der NRW Landeszentrale, aber in diesen Dingen erstmal alle Informationen zu bringen und weiter zu recherchieren ist m.E. die bis dato oft vernachlässigte Pflicht der Journalisten.

Versucht wurde eine Verhinderung der Information und Debatte unmittelbar nach der Tat ja trotzdem. Keine Medienaufmerksamkeit, eine falsche Polizeilagemeldung und die auf die Publikation folgende Reaktion der Obrigkeit sprechen eine ebenso eindeutige Sprache wie die Anordnung keine weiteren Informationen mehr rauszugeben.
Obwohl die Zugehörigkeit der Täter jedem Zeugen und Betroffenen offensichtlich war, wurde mit Hilfe zweier satten Lügen ("wir wissen noch nichts über die Täter, aber es sind keine Flüchtlinge gewesen") und einer Haarspalterei ("sie kommen wohl nicht aus Flüchtlingsheimen und sind bereits länger als die anhaltende Flüchtlingskrise im Land") versucht, Fakten zu vertuschen bzw. die Debatte abzulenken.
An anderer Front wird relativiert, was das Zeug hält, selbst wenn man dafür Zahlen frisieren und Pauschalisierungen vornehmen muss (Oktoberfest als Vergewaltigungshochfest im Vergleich zu Silvester am Dom) - also das, was man "den anderen" vorwirft und als Schreckgespenst in den Raum stellt.
Ob die Debatte aber nun geführt werden kann, oder unter Rassismus und Populismusvorwürfen, auf radikalem Beharren der einen wie der anderen Seite sofort wieder erstickt, werden die nächsten Wochen zeigen.




Wie es um die Debattenkultur bestellt ist, haben aber bereits die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, ihr Kollege aus Baden-Würtemberg und nun auch ihre Parteien klar gemacht. Sie verweigern das Gespräch mit einer demokratischen Partei, weil sie mehr über ihre politischen Gegner bzw. deren "wahre Absichten und Methoden" wissen, als alle anderen. Auch die CDU bekleckert sich nicht mit demokratischem Ruhm, deren Kandidat äußerte: an einer Debatte im ÖR-Fernsehn zur Wahl sollten nur im Landtag sitzende Parteien eingeladen werden. Sprich: nicht noch mehr Parteien, keine weitere Pluralität und bloß nicht des Bürgers Wille beachten.

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