Mittwoch, 13. Januar 2016

Zwei Legalwaffenbesitzer ohne Hirn

Vor wenigen Tagen habe ich eine Antwort auf einen Artikel von Roman Grafe in der FAZ geschrieben. Er verdächtigt Legalwaffenbesitzer per se und unterstellt dieser Gruppe eine Bedrohung zu sein. Dem habe ich mit Daten und Fakten entschieden widersprochen.
Jetzt aber fühle ich mich verpflichtet, einmal die Schattenseite anzusprechen. Das fordern zwei Tote Mädchen.

Eine 11jährige ist in Unterfranken an Silvester mit ihren Eltern in einem kleinen Dorf auf der Strasse und feiert. Dann fällt sie zu Boden. Später wird man feststellen, dass eine Kugel sie in den Kopf getroffen hat. Nur Stunden nach dem Ereignis haben unermüdliche, am Feiertag arbeitende Ermittler und Pathologen das Kaliber des Projektils bestimmt. Es war ein Kleinkaliber, also eine kleinere Kugel, die vor einer recht kleinen Treibladung sitzt. Das mag unwichtig klingen, ist es aber nicht.
Seit Januar 2013 gibt es das Nationale Waffenregister, ein Archiv in welchem jede Waffe und jeder dazugehörende Besitzer festgehalten sind - rein numerisch, nicht ballistisch. Man kann also nicht die Kugel vergleichen, der Aufwand wäre zu groß. Aber die Ermittler hatten somit die Adressen aller Legalwaffenbesitzer im Kreis, klappern diese ab. Sie wollen herausfinden, wer in dieser Nacht nicht mit Raketen sondern auch mit scharfer Munition herumgeschossen hat.
Heute wird dann die Festnahme gemeldet - es soll ein Justizbeamter gewesen sein, der mit seinem privaten Kleinkalibergewehr den Tod des Mädchens verursachte.
Für das bessere Verständnis: scheinbar hat der Mann nicht gezielt auf das Mädchen geschossen. Soweit bis jetzt bekannt gegeben war er nicht am Tatort. Wie also hat er das Mädchen in den Kopf schießen können? Ich vermute, das hat er nicht. Um es "knallen zu lassen" hat er wohl seine Waffe genommen und in die Luft geschossen. Jeder, der heute eine Waffenberechtigung haben will, muss ein Seminar zur Sachkunde besuchen, bei dem er oder sie eindringlich vor solch einem Verhalten gewarnt wird. Auch Polizisten und Justizbeamte mit Waffenzugang erhalten solch eine Schulung, genau wie Soldaten. Jede Kugel, die in die Luft geschossen wird, kommt auch wieder runter - nur kann niemand sagen, wo. Jeder mit dieser Information sieht Bilder vom Balkan und aus dem Orient, wo zu jedem Geburtstag oder zur Hochzeit mit automatischen und halbautomatischen Großkalibern geknallt wird mit Schrecken. Und in der Tat sind solche "Unfälle" in diesen Ländern verbreitet.
Das soll keine Entschuldigung oder Relativierung sein. Im Gegenteil. Der Mann war 100% über die Gefährlichkeit seines Handelns im Bilde und hat die Gefahr ignoriert. In der Folge ist ein kleines Mädchen tot, seine Eltern haben das Liebste und Wichtigste in ihrem Leben verloren, müssen ihre Tochter zu Grabe tragen.
Es ist kein Mord, weder nach dem Gesetz, noch nach dem Ablauf der Dinge. Aber moralisch empfinde ich es so. Es ist für mich identisch mit der Tötung von Menschen durch Geisterfahrer, private Autorennen², Brandstiftung mit Todesopfern uvm.


Ähnlich beim zweiten Fall.
Ein Jäger feiert mit seiner Familie Silvester. Seine Familie und er befinden sich in Badem-Würtemberg in der "guten Stube". Er hantiert aus mir bislang unbekanntem Grund mit einer geladenen Schrotflinte. Dann löst sich, angeblich als Unfall, ein Schuss, trifft die 16jährige Tochter. Diese stirbt vor den Augen ihrer Familie an den Verletzungen.
Es gibt keinen, nicht einen einzigen Grund für diesen Vorfall der eine verständliche und nachvollziehbare Erklärung abliefern würde. Der einzige, mir vorstellebare Grund, dass ich meine Waffe aus meinem Waffenschrank nehme, sie mit Munition bestücke und durchlade (oder in diesem Fall entsichere / scharf mache), ist die Selbstverteidigung. Sollte das nötig sein, habe ich meine Familie zu diesem Zeitpunkt in den sichersten Raum des Hauses geschickt oder gebracht.
Aus keinem (!) anderen Grund bringe ich Munition in meinem Haus in meine Waffe. Auch das ist Grundwissen.
Weiteres Grundwissen: mit einer Waffe wird nie in Richtung Menschen gezielt, wenn es nicht um Selbstverteidigung (oder im Krieg um einen Kampf) geht. Auch nicht, wenn man sich 100% sicher ist, dass sie ungeladen sei.
Wie es also zu diesem "Unfall" kommen konnte, sollte geklärt werden. Der Mann ist schwer gestraft, wenn es sich so verhält, wie geschildert. Seine Tochter ist tot. Durch seine Hand, seine Schuld umgekommen, vor seinen Augen. Seine Familie ist ihr Lebtag seelisch gezeichnet, ebenfalls durch seine Schuld. Ein normales Familienleben wird ohnehin nie mehr möglich sein.
Bei allem Mitleid: der Mann hat sich ultimativ fahrlässig verhalten. 
Die Sicherheitsregeln im Schusswaffenumgang sind keine freie Erfindung. Sie basieren genau auf solchen Fällen.


1. Jede Waffe ist immer so zu behandeln, als sei sie geladen. Es gibt kein "außer" und "kein" aber.

2. Die Mündung zeigt nur auf das, was ich auch zu beschießen bereit bin.

3. Der Finger liegt lang außen an der Waffe und berührt erst dann den Abzug, wenn ich auf das Ziele, was ich beschießen will und unmittelbar vorhabe, dies auch zu tun. Will ich nicht schießen oder habe kein sicheres Ziel, FINGER WEG VOM ABZUG.

4. Ich sehe mein Ziel, erkenne es eindeutig und weiß, was dahinter ist.


Für Laien nicht nachvollziehbar - aber für christliche Leser vielleicht verständlich: diese Regeln sind für Legalwaffenbesitzer sowas wie die 10 Gebote. Mitunter werden sie noch erweitert, etwa mit Zusätzen für Sportschützen oder Soldaten (bspw. 5. Es wird nur geschossen, wenn die aufsichtführende Person / der Ausbilder / der Offizier das Kommando gibt) - aber das sind situationspezifische Momente.

All das macht die Mädchen nicht wieder lebendig. All das macht diese tragischen Fälle, verursacht durch gedanken- und rücksichtslose Menschen, nicht ungeschehen. Mein Mitgefühl gilt den Familien und Freunden, ich bete für die Mädchen. Mögen sie Frieden finden und am jüngsten Tage wieder mit ihren Liebsten vereint werden.


Wer jetzt aber glaubt, auf dem Rücken dieser Familien, auf Kosten dieser Toten wieder seine Agenda zum Verbot von Schusswaffen verfolgen zu müssen, der sollte sich schämen.
Wie ich oben schrieb, ist fahrlässiges, gedankenloses Verhalten ohne Rücksicht auf andere nicht allein mit Schusswaffen tödlich, bei diesen aber bedeutend seltener als im Alltag. Wie viele Menschen haben in der Fahrschule beigebracht, mit angemessenem Schuhwerk zu fahren, Heruntergefallenes erstmal liegen zu lassen und falls es zwischen die Pedale zu rutschen droht, rechts ran zu fahren und anzuhalten? Vermutlich alle. 
Handys wurden aufgrund ihres ablenkenden Charakters und der eingeschränkten Manövrierbarkeit ohne Freisprecheinrichtung verboten.
Und trotzdem sieht man Frauen mit hohen Absätzen den Fahrersitz einnehmen, hängen immer wieder Leute am Handy während sie ein tonnenschweres Fahrzeug durch eine Menge anderer Menschen manövrieren.
Nicht zu vergessen solch simple Dinge wie Schulterblick, Spiegel und Toten Winkel nicht vergessen - und trotzdem passiert es täglich mehrfach, mitunter sogar ohne gravierende Folgen für den Täter.
Autorennen und Geisterfahrer sprach ich schon an.
Selbst völlig harmlose Gegenstände können fahrlässig gehandhabt tödlich sein. 2011 starb eine 14jährige als ein Mitschüler mit einem Schirm nach ihr warf. Dieser bohrte sich in ihre Brust.
Für die üblichen Schlagzeilen sorgten in den letzten Jahre Prozesse, in denen zu klären war, ob beim SM-Sex getötete Menschen durch Unfall oder durch fahrlässige Tötung starben - wobei sich mir diese Frage nicht stellt angesichts von abgeschnürter Luftzufuhr...
Unfälle auf Baustellen und ähnlichen Arbeitsplätzen entstehen meist aus dem gleichen Kontext: jemand hält sich nicht an Sicherheitsregeln und so wird ein offener Schacht, eine Treppe, eine Kreissäge zum gefährlichen oder tödlichen Element.

Wie gesagt, dass ist keine Entschuldigung für die Schützen, es ist lediglich eine Einordnung. Wir wären bedeutend weiter, wenn wir uns darauf konzentrieren würden, den Menschen die Einhaltung von Sicherheitsregeln nahezulegen, statt jedesmal Schreckensbilder zu prophezeien oder von der Rettung der Welt zu träumen.





²Hier ist es übrigens erstaunlich, dass der Unterschied bei Waffengegnern nicht ins Gewicht fällt. Zwei junge Männer liefern sich ein Autorennen, töten einen und verletzen vier weitere Menschen dabei - als Strafe wird der Führerschein ein Jahr einbehalten.
Fahrlässige Tötung mit einer Schusswaffe bedeutet (in meinen Augen zu Recht), dass der Verurteilte nie wieder eine Schusswaffe besitzen darf, seine Erlaubnis und seine Zuverlässigkeit werden dauerhaft einkassiert.

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